ist 1861 noch nicht wieder so hoch wie 1849, trotzdem daß 1861 wahrscheinlich unter den Meistern sehr viele mehr gezählt sind, die keine selbständigen Unternehmungen mehr haben, als 1849.
Ehe ich von den Folgen dieser allgemeinen Auf- lösung der alten Handwerkszustände spreche, will ich noch bemerken, daß der Zudrang zum Handwerk, der zunächst die Gehülfenzahl steigen läßt, nicht nothwendig ein den wirklichen dauernden wirthschaftlichen Bedürfnissen, sei es des alten oder des neuen Handwerks, entsprechender ist. Mit rasch wachsender Bevölkerung kommt leicht ein Zufluß, der seine Ursache nicht in dem dauernden Bedürf- niß der Gewerbe hat, sondern in andern. Umständen psychologischer und moralischer Natur, sowie vorüber- gehender wirthschaftlicher Art.
Man hat in Bezug auf eine starke Zunahme der Bevölkerung kurz nach einander gleich extremen und un- richtigen Theorien gehuldigt. Man hat, angesteckt vom ersten Schrecken der Malthus'schen Theorie, eine Zeit lang jede Zunahme für schlimm und unheilvoll gehalten, man hat dann wieder in optimistischer Uebertreibung der wirtschaftlichen Fortschritte unserer Zeit jede Zunahme an sich als ein Glück gepriesen. Sie ist es, aber nur in gewissem Sinne. Alle höhern Güter der Kultur sind nur erreichbar in dichtbevölkerten Gegenden. Aber jede starke Bevölkerungszunahme setzt Fortschritte, Aende- rungen in der ganzen Volkswirthschaft voraus, muß in der Regel verbunden sein mit einer ganz anderen Orga- nisation aller Geschäfte, aller Verkehrsverhältnisse, mit einer andern lokalen Vertheilung der Bevölkerung, mit
Die Urſachen des Zudrangs zum Handwerk.
iſt 1861 noch nicht wieder ſo hoch wie 1849, trotzdem daß 1861 wahrſcheinlich unter den Meiſtern ſehr viele mehr gezählt ſind, die keine ſelbſtändigen Unternehmungen mehr haben, als 1849.
Ehe ich von den Folgen dieſer allgemeinen Auf- löſung der alten Handwerkszuſtände ſpreche, will ich noch bemerken, daß der Zudrang zum Handwerk, der zunächſt die Gehülfenzahl ſteigen läßt, nicht nothwendig ein den wirklichen dauernden wirthſchaftlichen Bedürfniſſen, ſei es des alten oder des neuen Handwerks, entſprechender iſt. Mit raſch wachſender Bevölkerung kommt leicht ein Zufluß, der ſeine Urſache nicht in dem dauernden Bedürf- niß der Gewerbe hat, ſondern in andern. Umſtänden pſychologiſcher und moraliſcher Natur, ſowie vorüber- gehender wirthſchaftlicher Art.
Man hat in Bezug auf eine ſtarke Zunahme der Bevölkerung kurz nach einander gleich extremen und un- richtigen Theorien gehuldigt. Man hat, angeſteckt vom erſten Schrecken der Malthus’ſchen Theorie, eine Zeit lang jede Zunahme für ſchlimm und unheilvoll gehalten, man hat dann wieder in optimiſtiſcher Uebertreibung der wirtſchaftlichen Fortſchritte unſerer Zeit jede Zunahme an ſich als ein Glück geprieſen. Sie iſt es, aber nur in gewiſſem Sinne. Alle höhern Güter der Kultur ſind nur erreichbar in dichtbevölkerten Gegenden. Aber jede ſtarke Bevölkerungszunahme ſetzt Fortſchritte, Aende- rungen in der ganzen Volkswirthſchaft voraus, muß in der Regel verbunden ſein mit einer ganz anderen Orga- niſation aller Geſchäfte, aller Verkehrsverhältniſſe, mit einer andern lokalen Vertheilung der Bevölkerung, mit
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Die Urſachen des Zudrangs zum Handwerk.
iſt 1861 noch nicht wieder ſo hoch wie 1849, trotzdem
daß 1861 wahrſcheinlich unter den Meiſtern ſehr viele
mehr gezählt ſind, die keine ſelbſtändigen Unternehmungen
mehr haben, als 1849.
Ehe ich von den Folgen dieſer allgemeinen Auf-
löſung der alten Handwerkszuſtände ſpreche, will ich noch
bemerken, daß der Zudrang zum Handwerk, der zunächſt
die Gehülfenzahl ſteigen läßt, nicht nothwendig ein den
wirklichen dauernden wirthſchaftlichen Bedürfniſſen, ſei
es des alten oder des neuen Handwerks, entſprechender
iſt. Mit raſch wachſender Bevölkerung kommt leicht ein
Zufluß, der ſeine Urſache nicht in dem dauernden Bedürf-
niß der Gewerbe hat, ſondern in andern. Umſtänden
pſychologiſcher und moraliſcher Natur, ſowie vorüber-
gehender wirthſchaftlicher Art.
Man hat in Bezug auf eine ſtarke Zunahme der
Bevölkerung kurz nach einander gleich extremen und un-
richtigen Theorien gehuldigt. Man hat, angeſteckt vom
erſten Schrecken der Malthus’ſchen Theorie, eine Zeit
lang jede Zunahme für ſchlimm und unheilvoll gehalten,
man hat dann wieder in optimiſtiſcher Uebertreibung der
wirtſchaftlichen Fortſchritte unſerer Zeit jede Zunahme
an ſich als ein Glück geprieſen. Sie iſt es, aber nur
in gewiſſem Sinne. Alle höhern Güter der Kultur ſind
nur erreichbar in dichtbevölkerten Gegenden. Aber jede
ſtarke Bevölkerungszunahme ſetzt Fortſchritte, Aende-
rungen in der ganzen Volkswirthſchaft voraus, muß in
der Regel verbunden ſein mit einer ganz anderen Orga-
niſation aller Geſchäfte, aller Verkehrsverhältniſſe, mit
einer andern lokalen Vertheilung der Bevölkerung, mit
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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/365>, abgerufen am 24.11.2024.
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