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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die reine Geldablohnung der Gehülfen.
werden und da von seinen Gesellen den Vortheil zu
haben, den er jetzt seinem Meister bot. Diese Aussicht
ist verschwunden, darum schon muß der Lohn höher
sein. Außerdem muß die Naturalverpflegung ersetzt werden.
Die Löhne müssen noch mehr steigen, je mehr die Ge-
sellen verheirathet sind, je mehr sie in Fabriken Gelegen-
heit haben, als geschickte, technisch gebildete Arbeiter so
viel zu verdienen, daß sie leicht eine Familie ernähren
können.1

Alles das will der ehrbare alte Meister, der seine
Anschauungen aus einer andern Zeit mitgebracht hat,
nicht sehen, nicht anerkennen. Und darum steht er viel-
fach auf Kriegsfuß mit seinen Arbeitern. Dem Meister
an Bildung gleichstehend, empfinden die ältern Gesellen
den drückenden Unterschied zwischen Unternehmer und
Arbeiter doppelt. Viele unter ihnen haben vergeblich
versucht, ein eigenes Geschäft anzufangen. Oft sind das
mit die geschicktesten, begabtesten, die in dem Bewußt-
sein ihrer Talente nicht begreifen wollen, daß fehlende
moralische und Charaktereigenschaften sie in dem Ver-
suche einer eigenen Unternehmung scheitern lassen mußten.
Sie sind heute mit die unzufriedensten Elemente der

1 Es würde zu weit führen, wollte ich hier dieses Steigen
der Löhne durch Eingehen auf das vorhandene Beweismaterial
nachweisen; ich hebe nur zwei ausgezeichnete Arbeiten hervor:
"Statistik der Arbeitslöhne in Fabriken und Handwerken von
1830--65," im statistischen Anhang zu den württembergischen
Handelskammerberichten für 1865. S. 30--40. "Die Arbeits-
löhne in Niederschlesien" von Regierungsrath Jacobi, Zeit-
schrift des preuß. statist. Bureaus 1868. S. 326--351.

Die reine Geldablohnung der Gehülfen.
werden und da von ſeinen Geſellen den Vortheil zu
haben, den er jetzt ſeinem Meiſter bot. Dieſe Ausſicht
iſt verſchwunden, darum ſchon muß der Lohn höher
ſein. Außerdem muß die Naturalverpflegung erſetzt werden.
Die Löhne müſſen noch mehr ſteigen, je mehr die Ge-
ſellen verheirathet ſind, je mehr ſie in Fabriken Gelegen-
heit haben, als geſchickte, techniſch gebildete Arbeiter ſo
viel zu verdienen, daß ſie leicht eine Familie ernähren
können.1

Alles das will der ehrbare alte Meiſter, der ſeine
Anſchauungen aus einer andern Zeit mitgebracht hat,
nicht ſehen, nicht anerkennen. Und darum ſteht er viel-
fach auf Kriegsfuß mit ſeinen Arbeitern. Dem Meiſter
an Bildung gleichſtehend, empfinden die ältern Geſellen
den drückenden Unterſchied zwiſchen Unternehmer und
Arbeiter doppelt. Viele unter ihnen haben vergeblich
verſucht, ein eigenes Geſchäft anzufangen. Oft ſind das
mit die geſchickteſten, begabteſten, die in dem Bewußt-
ſein ihrer Talente nicht begreifen wollen, daß fehlende
moraliſche und Charaktereigenſchaften ſie in dem Ver-
ſuche einer eigenen Unternehmung ſcheitern laſſen mußten.
Sie ſind heute mit die unzufriedenſten Elemente der

1 Es würde zu weit führen, wollte ich hier dieſes Steigen
der Löhne durch Eingehen auf das vorhandene Beweismaterial
nachweiſen; ich hebe nur zwei ausgezeichnete Arbeiten hervor:
„Statiſtik der Arbeitslöhne in Fabriken und Handwerken von
1830—65,“ im ſtatiſtiſchen Anhang zu den württembergiſchen
Handelskammerberichten für 1865. S. 30—40. „Die Arbeits-
löhne in Niederſchleſien“ von Regierungsrath Jacobi, Zeit-
ſchrift des preuß. ſtatiſt. Bureaus 1868. S. 326—351.
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[351/0373] Die reine Geldablohnung der Gehülfen. werden und da von ſeinen Geſellen den Vortheil zu haben, den er jetzt ſeinem Meiſter bot. Dieſe Ausſicht iſt verſchwunden, darum ſchon muß der Lohn höher ſein. Außerdem muß die Naturalverpflegung erſetzt werden. Die Löhne müſſen noch mehr ſteigen, je mehr die Ge- ſellen verheirathet ſind, je mehr ſie in Fabriken Gelegen- heit haben, als geſchickte, techniſch gebildete Arbeiter ſo viel zu verdienen, daß ſie leicht eine Familie ernähren können. 1 Alles das will der ehrbare alte Meiſter, der ſeine Anſchauungen aus einer andern Zeit mitgebracht hat, nicht ſehen, nicht anerkennen. Und darum ſteht er viel- fach auf Kriegsfuß mit ſeinen Arbeitern. Dem Meiſter an Bildung gleichſtehend, empfinden die ältern Geſellen den drückenden Unterſchied zwiſchen Unternehmer und Arbeiter doppelt. Viele unter ihnen haben vergeblich verſucht, ein eigenes Geſchäft anzufangen. Oft ſind das mit die geſchickteſten, begabteſten, die in dem Bewußt- ſein ihrer Talente nicht begreifen wollen, daß fehlende moraliſche und Charaktereigenſchaften ſie in dem Ver- ſuche einer eigenen Unternehmung ſcheitern laſſen mußten. Sie ſind heute mit die unzufriedenſten Elemente der 1 Es würde zu weit führen, wollte ich hier dieſes Steigen der Löhne durch Eingehen auf das vorhandene Beweismaterial nachweiſen; ich hebe nur zwei ausgezeichnete Arbeiten hervor: „Statiſtik der Arbeitslöhne in Fabriken und Handwerken von 1830—65,“ im ſtatiſtiſchen Anhang zu den württembergiſchen Handelskammerberichten für 1865. S. 30—40. „Die Arbeits- löhne in Niederſchleſien“ von Regierungsrath Jacobi, Zeit- ſchrift des preuß. ſtatiſt. Bureaus 1868. S. 326—351.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/373>, abgerufen am 25.11.2024.