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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Gewebeindustrie des Mittelalters.
Absatz im Großen entgegengesetzt. Es war unter letz-
terer dabei sowohl die Hausindustrie, welche für den
großen Markt arbeitet, als die fabrikmäßige Weberei
verstanden. Wir haben jetzt noch zu untersuchen, wie
sich der Konkurrenzkampf zwischen diesen beiden Faktoren
gestaltet hat, wo das Fabriksystem und der Maschinen-
stuhl die Hausindustrie verdrängt haben. Das Schwierige
ist dabei, daß auch der flüchtigste Ueberblick über die
Geschichte der betreffenden Industrien sich nicht geben
läßt, ohne eine Reihe von mitwirkenden, aber unserer
Untersuchung ferner liegenden Ursachen hereinzuziehen.
Die allgemeine Handelsgeschichte, die Rückwirkung poli-
tischer Ereignisse, das Zollwesen des eignen und der
benachbarten Staaten und ähnliche Dinge sind theil-
weise bedeutungsvoller für Aenderung oder Erhaltung
dieser und jener Form der Industrie geworden, als die
direkten Vortheile und Nachtheile dieser und jener Art
des Betriebs selbst.

Zahlreiche handwerksmäßige Geschäfte an demselben
Orte vereinigt mit theilweise gemeinsamen Einrichtun-
gen, mit einem sehr bedeutenden Absatz nach fremden
Märkten kannte schon das Mittelalter -- und zwar
hauptsächlich in der Gewebeindustrie. In Gent sollen
seiner Zeit 40000 Webstühle gestanden haben, in
Brügge sollen zur Zeit der höchsten Blüthe 50000 Men-
schen von der Verarbeitung der Wolle gelebt haben.
In Köln wurden nach einem Aufstande der Weber auf
einmal 1800 Tuchmacher verbannt. Noch 1610 gab
es in Augsburg 6000 Leineweber. Von 1415 bis gegen
1564, bis die englische Konkurrenz durch die vertriebenen

Die Gewebeinduſtrie des Mittelalters.
Abſatz im Großen entgegengeſetzt. Es war unter letz-
terer dabei ſowohl die Hausinduſtrie, welche für den
großen Markt arbeitet, als die fabrikmäßige Weberei
verſtanden. Wir haben jetzt noch zu unterſuchen, wie
ſich der Konkurrenzkampf zwiſchen dieſen beiden Faktoren
geſtaltet hat, wo das Fabrikſyſtem und der Maſchinen-
ſtuhl die Hausinduſtrie verdrängt haben. Das Schwierige
iſt dabei, daß auch der flüchtigſte Ueberblick über die
Geſchichte der betreffenden Induſtrien ſich nicht geben
läßt, ohne eine Reihe von mitwirkenden, aber unſerer
Unterſuchung ferner liegenden Urſachen hereinzuziehen.
Die allgemeine Handelsgeſchichte, die Rückwirkung poli-
tiſcher Ereigniſſe, das Zollweſen des eignen und der
benachbarten Staaten und ähnliche Dinge ſind theil-
weiſe bedeutungsvoller für Aenderung oder Erhaltung
dieſer und jener Form der Induſtrie geworden, als die
direkten Vortheile und Nachtheile dieſer und jener Art
des Betriebs ſelbſt.

Zahlreiche handwerksmäßige Geſchäfte an demſelben
Orte vereinigt mit theilweiſe gemeinſamen Einrichtun-
gen, mit einem ſehr bedeutenden Abſatz nach fremden
Märkten kannte ſchon das Mittelalter — und zwar
hauptſächlich in der Gewebeinduſtrie. In Gent ſollen
ſeiner Zeit 40000 Webſtühle geſtanden haben, in
Brügge ſollen zur Zeit der höchſten Blüthe 50000 Men-
ſchen von der Verarbeitung der Wolle gelebt haben.
In Köln wurden nach einem Aufſtande der Weber auf
einmal 1800 Tuchmacher verbannt. Noch 1610 gab
es in Augsburg 6000 Leineweber. Von 1415 bis gegen
1564, bis die engliſche Konkurrenz durch die vertriebenen

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[535/0557] Die Gewebeinduſtrie des Mittelalters. Abſatz im Großen entgegengeſetzt. Es war unter letz- terer dabei ſowohl die Hausinduſtrie, welche für den großen Markt arbeitet, als die fabrikmäßige Weberei verſtanden. Wir haben jetzt noch zu unterſuchen, wie ſich der Konkurrenzkampf zwiſchen dieſen beiden Faktoren geſtaltet hat, wo das Fabrikſyſtem und der Maſchinen- ſtuhl die Hausinduſtrie verdrängt haben. Das Schwierige iſt dabei, daß auch der flüchtigſte Ueberblick über die Geſchichte der betreffenden Induſtrien ſich nicht geben läßt, ohne eine Reihe von mitwirkenden, aber unſerer Unterſuchung ferner liegenden Urſachen hereinzuziehen. Die allgemeine Handelsgeſchichte, die Rückwirkung poli- tiſcher Ereigniſſe, das Zollweſen des eignen und der benachbarten Staaten und ähnliche Dinge ſind theil- weiſe bedeutungsvoller für Aenderung oder Erhaltung dieſer und jener Form der Induſtrie geworden, als die direkten Vortheile und Nachtheile dieſer und jener Art des Betriebs ſelbſt. Zahlreiche handwerksmäßige Geſchäfte an demſelben Orte vereinigt mit theilweiſe gemeinſamen Einrichtun- gen, mit einem ſehr bedeutenden Abſatz nach fremden Märkten kannte ſchon das Mittelalter — und zwar hauptſächlich in der Gewebeinduſtrie. In Gent ſollen ſeiner Zeit 40000 Webſtühle geſtanden haben, in Brügge ſollen zur Zeit der höchſten Blüthe 50000 Men- ſchen von der Verarbeitung der Wolle gelebt haben. In Köln wurden nach einem Aufſtande der Weber auf einmal 1800 Tuchmacher verbannt. Noch 1610 gab es in Augsburg 6000 Leineweber. Von 1415 bis gegen 1564, bis die engliſche Konkurrenz durch die vertriebenen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/557>, abgerufen am 22.11.2024.