und Verschwendung, theilweise auch die Zahl der Fa- milienmitglieder, welche ohne Arbeit leben wollen, noch bedeutender stieg, als der Güterwerth.
Am ungerechtesten vielleicht sind die Anschauungen des Laien gewöhnlich über das unberechtigte Reichwerden an der Börse. Die Spekulation an sich ist ein noth- wendiges und heilsames Glied unseres Verkehrs; wer hier oder als Bankier dauernd gewinnt, den zeichnen meist außerordentliche Eigenschaften aus. Aber ein richtiger Keim liegt doch in der oft ausgesprochenen Mißachtung des Börsengewinnes. An der Börse und in den Börsengeschäften ist die kaufmännische Moral am laxesten geworden; Geschäfte werden hier vertheidigt, die ein Rest von Anstandsgefühl verurtheilt. Täuschun- gen, Fälschungen von Nachrichten, Bestechungen von Zeitungen und Beamten und Aehnliches gelten beinahe als erlaubt; die Grenze der reellen und unreellen Ge- schäfte hat sich bis auf vollständige Unkenntlichkeit ver- wischt. Und diese Entsittlichung des Geschäftslebens hat sich von der Börse vielfach auf das ganze Aktienwesen verbreitet. Betrügerische Ausnutzung des Publikums zu Gunsten von Gründern und Verwaltungsräthen hat den Schein erweckt, als ob alles hier gewonnene Geld unrecht erworben wäre. In Bezug auf das ganze Staats- schuldenwesen will ich wenigstens daran erinnern, daß die Untersuchungen von Soetbeer1 das unwiderleglich
1 Betrachtungen über das Staatsschuldenwesen und dessen Einfluß auf die Vertheilung des Volksvermögens, Vierteljahrs- schrift für Volkswirthschaft X, 1--35.
Schluß und Reſultate.
und Verſchwendung, theilweiſe auch die Zahl der Fa- milienmitglieder, welche ohne Arbeit leben wollen, noch bedeutender ſtieg, als der Güterwerth.
Am ungerechteſten vielleicht ſind die Anſchauungen des Laien gewöhnlich über das unberechtigte Reichwerden an der Börſe. Die Spekulation an ſich iſt ein noth- wendiges und heilſames Glied unſeres Verkehrs; wer hier oder als Bankier dauernd gewinnt, den zeichnen meiſt außerordentliche Eigenſchaften aus. Aber ein richtiger Keim liegt doch in der oft ausgeſprochenen Mißachtung des Börſengewinnes. An der Börſe und in den Börſengeſchäften iſt die kaufmänniſche Moral am laxeſten geworden; Geſchäfte werden hier vertheidigt, die ein Reſt von Anſtandsgefühl verurtheilt. Täuſchun- gen, Fälſchungen von Nachrichten, Beſtechungen von Zeitungen und Beamten und Aehnliches gelten beinahe als erlaubt; die Grenze der reellen und unreellen Ge- ſchäfte hat ſich bis auf vollſtändige Unkenntlichkeit ver- wiſcht. Und dieſe Entſittlichung des Geſchäftslebens hat ſich von der Börſe vielfach auf das ganze Aktienweſen verbreitet. Betrügeriſche Ausnutzung des Publikums zu Gunſten von Gründern und Verwaltungsräthen hat den Schein erweckt, als ob alles hier gewonnene Geld unrecht erworben wäre. In Bezug auf das ganze Staats- ſchuldenweſen will ich wenigſtens daran erinnern, daß die Unterſuchungen von Soetbeer1 das unwiderleglich
1 Betrachtungen über das Staatsſchuldenweſen und deſſen Einfluß auf die Vertheilung des Volksvermögens, Vierteljahrs- ſchrift für Volkswirthſchaft X, 1—35.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0698"n="676"/><fwplace="top"type="header">Schluß und Reſultate.</fw><lb/>
und Verſchwendung, theilweiſe auch die Zahl der Fa-<lb/>
milienmitglieder, welche ohne Arbeit leben wollen, noch<lb/>
bedeutender ſtieg, als der Güterwerth.</p><lb/><p>Am ungerechteſten vielleicht ſind die Anſchauungen<lb/>
des Laien gewöhnlich über das unberechtigte Reichwerden<lb/>
an der Börſe. Die Spekulation an ſich iſt ein noth-<lb/>
wendiges und heilſames Glied unſeres Verkehrs;<lb/>
wer hier oder als Bankier dauernd gewinnt, den<lb/>
zeichnen meiſt außerordentliche Eigenſchaften aus. Aber<lb/>
ein richtiger Keim liegt doch in der oft ausgeſprochenen<lb/>
Mißachtung des Börſengewinnes. An der Börſe und<lb/>
in den Börſengeſchäften iſt die kaufmänniſche Moral am<lb/>
laxeſten geworden; Geſchäfte werden hier vertheidigt,<lb/>
die ein Reſt von Anſtandsgefühl verurtheilt. Täuſchun-<lb/>
gen, Fälſchungen von Nachrichten, Beſtechungen von<lb/>
Zeitungen und Beamten und Aehnliches gelten beinahe<lb/>
als erlaubt; die Grenze der reellen und unreellen Ge-<lb/>ſchäfte hat ſich bis auf vollſtändige Unkenntlichkeit ver-<lb/>
wiſcht. Und dieſe Entſittlichung des Geſchäftslebens hat<lb/>ſich von der Börſe vielfach auf das ganze Aktienweſen<lb/>
verbreitet. Betrügeriſche Ausnutzung des Publikums zu<lb/>
Gunſten von Gründern und Verwaltungsräthen hat den<lb/>
Schein erweckt, als ob alles hier gewonnene Geld unrecht<lb/>
erworben wäre. In Bezug auf das ganze Staats-<lb/>ſchuldenweſen will ich wenigſtens daran erinnern, daß<lb/>
die Unterſuchungen von Soetbeer<noteplace="foot"n="1">Betrachtungen über das Staatsſchuldenweſen und deſſen<lb/>
Einfluß auf die Vertheilung des Volksvermögens, Vierteljahrs-<lb/>ſchrift für Volkswirthſchaft <hirendition="#aq">X,</hi> 1—35.</note> das unwiderleglich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[676/0698]
Schluß und Reſultate.
und Verſchwendung, theilweiſe auch die Zahl der Fa-
milienmitglieder, welche ohne Arbeit leben wollen, noch
bedeutender ſtieg, als der Güterwerth.
Am ungerechteſten vielleicht ſind die Anſchauungen
des Laien gewöhnlich über das unberechtigte Reichwerden
an der Börſe. Die Spekulation an ſich iſt ein noth-
wendiges und heilſames Glied unſeres Verkehrs;
wer hier oder als Bankier dauernd gewinnt, den
zeichnen meiſt außerordentliche Eigenſchaften aus. Aber
ein richtiger Keim liegt doch in der oft ausgeſprochenen
Mißachtung des Börſengewinnes. An der Börſe und
in den Börſengeſchäften iſt die kaufmänniſche Moral am
laxeſten geworden; Geſchäfte werden hier vertheidigt,
die ein Reſt von Anſtandsgefühl verurtheilt. Täuſchun-
gen, Fälſchungen von Nachrichten, Beſtechungen von
Zeitungen und Beamten und Aehnliches gelten beinahe
als erlaubt; die Grenze der reellen und unreellen Ge-
ſchäfte hat ſich bis auf vollſtändige Unkenntlichkeit ver-
wiſcht. Und dieſe Entſittlichung des Geſchäftslebens hat
ſich von der Börſe vielfach auf das ganze Aktienweſen
verbreitet. Betrügeriſche Ausnutzung des Publikums zu
Gunſten von Gründern und Verwaltungsräthen hat den
Schein erweckt, als ob alles hier gewonnene Geld unrecht
erworben wäre. In Bezug auf das ganze Staats-
ſchuldenweſen will ich wenigſtens daran erinnern, daß
die Unterſuchungen von Soetbeer 1 das unwiderleglich
1 Betrachtungen über das Staatsſchuldenweſen und deſſen
Einfluß auf die Vertheilung des Volksvermögens, Vierteljahrs-
ſchrift für Volkswirthſchaft X, 1—35.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/698>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.