Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.die Definition hinein zu verlegen. In diesem Stadium befindet sich die Daß große wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiete der National- 4
die Definition hinein zu verlegen. In diesem Stadium befindet sich die Daß große wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiete der National- 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0053" n="49"/> die Definition hinein zu verlegen. In diesem Stadium befindet sich die<lb/> Volkswirtschaftslehre. Die Erörterung ihrer konkreteren Begriffe und<lb/> die Versuche der klassifikatorischen Begriffsbildung bleiben stets wich-<lb/> tig und dankenswert. Die Untersuchung ihrer allgemeinen Begriffe ist<lb/> zeitweise wichtig, um das Ziel und das Gebiet der Wissenschaft ab-<lb/> zustecken; sie war sprachlich unentbehrlich, als man in Deutschland<lb/> die englische und französische Terminologie mit der deutschen aus-<lb/> einandersetzen mußte; Hufeland, Lotz, Hermann besorgten dies Ge-<lb/> schäft. Heute ist es eine notwendige Aufgabe, die aus den Naturwissen-<lb/> schaften eindringenden Begriffe (wie z. B. Organismus, Kampf ums<lb/> Dasein, soziale Gewebezelle für Familie etc.) zu prüfen, zu fragen, ob<lb/> und wie wir sie in der Staatswissenschaft gebrauchen können, ob sie<lb/> dazu beitragen, den Bestand unserer Begriffe folgerichtig zu berei-<lb/> chern oder zu schädigen; wir müssen sie jedenfalls klar gestalten und<lb/> umgrenzen. Es ist eine Bereicherung, wenn Bücher die bisherige Hand-<lb/> werksunternehmung scheidet in Lohnwerk und Kaufwerk. Es ist auch<lb/> dankenswert, wenn ein scharfsinniger Kopf wie Fr. J. Neumann die<lb/> allgemeinen volkswirtschaftlichen Begriffe auf ihre Abweichung von<lb/> denen des Privat- und Verwaltungsrechts hin prüft. Aber dieselbe Rolle<lb/> wie in der praktischen Jurisprudenz werden die Begriffsuntersuchun-<lb/> gen bei uns doch nie spielen können; denn dort handelt es sich um die<lb/> tägliche Anwendung von Rechtssätzen, die auf Definitionen aufgebaut<lb/> sind; bei uns handelt es sich um die Erkenntnis realer Erscheinungen<lb/> und ihre kausale Erklärung. Als gänzlich verwerflich aber muß alles<lb/> erscheinen, was dem Mystizismus der Realdefinition sich nähert und<lb/> aus leeren Begriffsdefinitionen die Wahrheiten ableiten will, die uns<lb/> nur die Erfahrung bieten kann. Als nutzlose Begriffsspielerei muß es<lb/> erscheinen, wenn mit Aufwand großer Gelehrsamkeit Worte und Be-<lb/> griffe definiert werden, die im weiteren Aufbau der Wissenschaft keine<lb/> Verwendung finden. Als eine unheilvolle Verirrung endlich die Auf-<lb/> fassung, als ob die Nationalökonomie eine Wissenschaft sei, die nur<lb/> die logische Funktion weiterer Trennung der Begriffe oder bloßen<lb/> Schließens aus feststehenden Axiomen habe, wie z. B. Senior, Faucher<lb/> und Lindwurm behauptet haben, aber auch manche der neueren Theo-<lb/> retiker, z. B. Sax, sich einem solchen Standpunkte nähern.</p><lb/> <p>Daß große wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiete der National-<lb/> ökonomie möglich sind, ohne daß der Autor sich viel mit Definitio-<lb/> nen abgibt, dafür ist A. Smith der beste Beweis. Daß aber viele, die<lb/> sich mit Vorliebe den Definitionen und abstrakten Begriffsunter-<lb/> suchungen hingeben, damit so wenig Ersprießliches leisten, liegt nicht<lb/> in einer Geringwertigkeit dieser Tätigkeit, sondern darin, daß vor allem<lb/> Leute ohne Weltkenntnis und ohne anschauliches Denken — das nach<lb/> Schopenhauer der Kern aller Erkenntnis ist — sich dieser Tätigkeit mit<lb/> <fw place="bottom" type="sig">4</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [49/0053]
die Definition hinein zu verlegen. In diesem Stadium befindet sich die
Volkswirtschaftslehre. Die Erörterung ihrer konkreteren Begriffe und
die Versuche der klassifikatorischen Begriffsbildung bleiben stets wich-
tig und dankenswert. Die Untersuchung ihrer allgemeinen Begriffe ist
zeitweise wichtig, um das Ziel und das Gebiet der Wissenschaft ab-
zustecken; sie war sprachlich unentbehrlich, als man in Deutschland
die englische und französische Terminologie mit der deutschen aus-
einandersetzen mußte; Hufeland, Lotz, Hermann besorgten dies Ge-
schäft. Heute ist es eine notwendige Aufgabe, die aus den Naturwissen-
schaften eindringenden Begriffe (wie z. B. Organismus, Kampf ums
Dasein, soziale Gewebezelle für Familie etc.) zu prüfen, zu fragen, ob
und wie wir sie in der Staatswissenschaft gebrauchen können, ob sie
dazu beitragen, den Bestand unserer Begriffe folgerichtig zu berei-
chern oder zu schädigen; wir müssen sie jedenfalls klar gestalten und
umgrenzen. Es ist eine Bereicherung, wenn Bücher die bisherige Hand-
werksunternehmung scheidet in Lohnwerk und Kaufwerk. Es ist auch
dankenswert, wenn ein scharfsinniger Kopf wie Fr. J. Neumann die
allgemeinen volkswirtschaftlichen Begriffe auf ihre Abweichung von
denen des Privat- und Verwaltungsrechts hin prüft. Aber dieselbe Rolle
wie in der praktischen Jurisprudenz werden die Begriffsuntersuchun-
gen bei uns doch nie spielen können; denn dort handelt es sich um die
tägliche Anwendung von Rechtssätzen, die auf Definitionen aufgebaut
sind; bei uns handelt es sich um die Erkenntnis realer Erscheinungen
und ihre kausale Erklärung. Als gänzlich verwerflich aber muß alles
erscheinen, was dem Mystizismus der Realdefinition sich nähert und
aus leeren Begriffsdefinitionen die Wahrheiten ableiten will, die uns
nur die Erfahrung bieten kann. Als nutzlose Begriffsspielerei muß es
erscheinen, wenn mit Aufwand großer Gelehrsamkeit Worte und Be-
griffe definiert werden, die im weiteren Aufbau der Wissenschaft keine
Verwendung finden. Als eine unheilvolle Verirrung endlich die Auf-
fassung, als ob die Nationalökonomie eine Wissenschaft sei, die nur
die logische Funktion weiterer Trennung der Begriffe oder bloßen
Schließens aus feststehenden Axiomen habe, wie z. B. Senior, Faucher
und Lindwurm behauptet haben, aber auch manche der neueren Theo-
retiker, z. B. Sax, sich einem solchen Standpunkte nähern.
Daß große wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiete der National-
ökonomie möglich sind, ohne daß der Autor sich viel mit Definitio-
nen abgibt, dafür ist A. Smith der beste Beweis. Daß aber viele, die
sich mit Vorliebe den Definitionen und abstrakten Begriffsunter-
suchungen hingeben, damit so wenig Ersprießliches leisten, liegt nicht
in einer Geringwertigkeit dieser Tätigkeit, sondern darin, daß vor allem
Leute ohne Weltkenntnis und ohne anschauliches Denken — das nach
Schopenhauer der Kern aller Erkenntnis ist — sich dieser Tätigkeit mit
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