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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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zu Hypothesen, zu vorläufigen Vermutungen über die Regelmäßigkeit
der Folge. Aber auch sie verwenden wir nun zu weiteren Schlüssen.

In der weiteren Verwendung der durch Induktion gewonnenen Regeln
über Kausalverhältnisse besteht die Deduktion, die auf demselben
Triebe, demselben Glauben, demselben Bedürfnisse unseres Verstan-
des beruht, wie die Induktion. Was wahr in den richtig beobachteten
Fällen war, muß wahr in allen ganz gleichen Fällen sein; die Regel
wurde nur gesucht, um sie weiter anzuwenden; jede Regel sagt über
eine Klasse von Subjekten ein Prädikat, ein Handeln, eine Eigenschaft
aus; aus der Analyse des Subjekt- und Prädikatbegriffes ergibt sich,
was in der betreffenden Regel enthalten ist, wohin sie paßt, welche
Fälle ihr unterstehen, was sie erklären kann.

Es ist klar, daß das Ziel aller Wissenschaft die Gewinnung solcher
Regeln ist; über je mehr sie verfügt, desto besser. Jeder, selbst der
kleinste Schritt unseres Denkens, ist kontrolliert von den feststehenden
Wahrheiten und Regeln, über die wir verfügen, verknüpft sich mit
Folgerungen aus ihnen. Alle Beobachtung und Beschreibung und alle
neue Induktion ruht mit auf der Anwendung des gesicherten Wissens,
und jeder neuen nicht erklärten Beobachtung gegenüber ist es unser
erstes, daß wir eine Anzahl Obersätze, Regeln, Wahrheiten, die wir im
Kopfe haben, spielend probieren, ob sie das Problem erklären. Große
Fortschritte werden so in jeder Wissenschaft gemacht. Auch die letzte
Probe jedes induktiv gewonnenen Satzes liegt darin, daß er bei steter
deduktiver Verwendung sich immer wieder als wahr herausstellt.

Daraus ergibt sich, wie eng verbunden Induktion und Deduktion sind.
Das Schlußverfahren, das der Induktion zu Grunde liegt, ist, wie
Jevons, Sigwart und Wundt gezeigt, nichts als die Umkehrung des
in der Deduktion verwendeten Syllogismus. Seit Jahren pflege ich
den Studierenden zu sagen, wie der rechte und linke Fuß zum Gehen,
so gehöre Induktion und Deduktion gleichmäßig zum wissenschaft-
lichen Denken. Ich habe stets betont, daß, wenn wir schon alle
Wahrheit besäßen, wir nur deduktiv verführen, daß aller Fort-
schritt der Induktion uns deduktiv verwertbare Sätze bringe, daß
die vollendetsten Wissenschaften am meisten deduktiv seien. Wenn
daher neuerdings mehrfach behauptet wurde, diejenigen, welche heute
im Gegensatz zu Mill, Cairneß und Menger die stärkere Benutzung
der Induktion verlangten, wollten alle Deduktion ausschließen, so ist
das weder für mich noch für irgend einen anderen, der eine klare
Vorstellung über die Methoden der Logik hat, zutreffend. Der in der
Literatur über Gebühr aufgebauschte Streit dreht sich nur darum, in
welchem Maße die Deduktion in der Volkswirtschaftslehre ausreiche,
wie weit unsere Wissenschaft schon sei, welchen Schatz wahrer Kau-
salurteile sie schon besitze oder aus anderen Wissenschaften, haupt-

zu Hypothesen, zu vorläufigen Vermutungen über die Regelmäßigkeit
der Folge. Aber auch sie verwenden wir nun zu weiteren Schlüssen.

In der weiteren Verwendung der durch Induktion gewonnenen Regeln
über Kausalverhältnisse besteht die Deduktion, die auf demselben
Triebe, demselben Glauben, demselben Bedürfnisse unseres Verstan-
des beruht, wie die Induktion. Was wahr in den richtig beobachteten
Fällen war, muß wahr in allen ganz gleichen Fällen sein; die Regel
wurde nur gesucht, um sie weiter anzuwenden; jede Regel sagt über
eine Klasse von Subjekten ein Prädikat, ein Handeln, eine Eigenschaft
aus; aus der Analyse des Subjekt- und Prädikatbegriffes ergibt sich,
was in der betreffenden Regel enthalten ist, wohin sie paßt, welche
Fälle ihr unterstehen, was sie erklären kann.

Es ist klar, daß das Ziel aller Wissenschaft die Gewinnung solcher
Regeln ist; über je mehr sie verfügt, desto besser. Jeder, selbst der
kleinste Schritt unseres Denkens, ist kontrolliert von den feststehenden
Wahrheiten und Regeln, über die wir verfügen, verknüpft sich mit
Folgerungen aus ihnen. Alle Beobachtung und Beschreibung und alle
neue Induktion ruht mit auf der Anwendung des gesicherten Wissens,
und jeder neuen nicht erklärten Beobachtung gegenüber ist es unser
erstes, daß wir eine Anzahl Obersätze, Regeln, Wahrheiten, die wir im
Kopfe haben, spielend probieren, ob sie das Problem erklären. Große
Fortschritte werden so in jeder Wissenschaft gemacht. Auch die letzte
Probe jedes induktiv gewonnenen Satzes liegt darin, daß er bei steter
deduktiver Verwendung sich immer wieder als wahr herausstellt.

Daraus ergibt sich, wie eng verbunden Induktion und Deduktion sind.
Das Schlußverfahren, das der Induktion zu Grunde liegt, ist, wie
Jevons, Sigwart und Wundt gezeigt, nichts als die Umkehrung des
in der Deduktion verwendeten Syllogismus. Seit Jahren pflege ich
den Studierenden zu sagen, wie der rechte und linke Fuß zum Gehen,
so gehöre Induktion und Deduktion gleichmäßig zum wissenschaft-
lichen Denken. Ich habe stets betont, daß, wenn wir schon alle
Wahrheit besäßen, wir nur deduktiv verführen, daß aller Fort-
schritt der Induktion uns deduktiv verwertbare Sätze bringe, daß
die vollendetsten Wissenschaften am meisten deduktiv seien. Wenn
daher neuerdings mehrfach behauptet wurde, diejenigen, welche heute
im Gegensatz zu Mill, Cairneß und Menger die stärkere Benutzung
der Induktion verlangten, wollten alle Deduktion ausschließen, so ist
das weder für mich noch für irgend einen anderen, der eine klare
Vorstellung über die Methoden der Logik hat, zutreffend. Der in der
Literatur über Gebühr aufgebauschte Streit dreht sich nur darum, in
welchem Maße die Deduktion in der Volkswirtschaftslehre ausreiche,
wie weit unsere Wissenschaft schon sei, welchen Schatz wahrer Kau-
salurteile sie schon besitze oder aus anderen Wissenschaften, haupt-

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[61/0065] zu Hypothesen, zu vorläufigen Vermutungen über die Regelmäßigkeit der Folge. Aber auch sie verwenden wir nun zu weiteren Schlüssen. In der weiteren Verwendung der durch Induktion gewonnenen Regeln über Kausalverhältnisse besteht die Deduktion, die auf demselben Triebe, demselben Glauben, demselben Bedürfnisse unseres Verstan- des beruht, wie die Induktion. Was wahr in den richtig beobachteten Fällen war, muß wahr in allen ganz gleichen Fällen sein; die Regel wurde nur gesucht, um sie weiter anzuwenden; jede Regel sagt über eine Klasse von Subjekten ein Prädikat, ein Handeln, eine Eigenschaft aus; aus der Analyse des Subjekt- und Prädikatbegriffes ergibt sich, was in der betreffenden Regel enthalten ist, wohin sie paßt, welche Fälle ihr unterstehen, was sie erklären kann. Es ist klar, daß das Ziel aller Wissenschaft die Gewinnung solcher Regeln ist; über je mehr sie verfügt, desto besser. Jeder, selbst der kleinste Schritt unseres Denkens, ist kontrolliert von den feststehenden Wahrheiten und Regeln, über die wir verfügen, verknüpft sich mit Folgerungen aus ihnen. Alle Beobachtung und Beschreibung und alle neue Induktion ruht mit auf der Anwendung des gesicherten Wissens, und jeder neuen nicht erklärten Beobachtung gegenüber ist es unser erstes, daß wir eine Anzahl Obersätze, Regeln, Wahrheiten, die wir im Kopfe haben, spielend probieren, ob sie das Problem erklären. Große Fortschritte werden so in jeder Wissenschaft gemacht. Auch die letzte Probe jedes induktiv gewonnenen Satzes liegt darin, daß er bei steter deduktiver Verwendung sich immer wieder als wahr herausstellt. Daraus ergibt sich, wie eng verbunden Induktion und Deduktion sind. Das Schlußverfahren, das der Induktion zu Grunde liegt, ist, wie Jevons, Sigwart und Wundt gezeigt, nichts als die Umkehrung des in der Deduktion verwendeten Syllogismus. Seit Jahren pflege ich den Studierenden zu sagen, wie der rechte und linke Fuß zum Gehen, so gehöre Induktion und Deduktion gleichmäßig zum wissenschaft- lichen Denken. Ich habe stets betont, daß, wenn wir schon alle Wahrheit besäßen, wir nur deduktiv verführen, daß aller Fort- schritt der Induktion uns deduktiv verwertbare Sätze bringe, daß die vollendetsten Wissenschaften am meisten deduktiv seien. Wenn daher neuerdings mehrfach behauptet wurde, diejenigen, welche heute im Gegensatz zu Mill, Cairneß und Menger die stärkere Benutzung der Induktion verlangten, wollten alle Deduktion ausschließen, so ist das weder für mich noch für irgend einen anderen, der eine klare Vorstellung über die Methoden der Logik hat, zutreffend. Der in der Literatur über Gebühr aufgebauschte Streit dreht sich nur darum, in welchem Maße die Deduktion in der Volkswirtschaftslehre ausreiche, wie weit unsere Wissenschaft schon sei, welchen Schatz wahrer Kau- salurteile sie schon besitze oder aus anderen Wissenschaften, haupt-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/65>, abgerufen am 26.11.2024.