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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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fen, und mein Vater läst sich in den Sinn kommen
seine Frau und Kind aufzupacken, und mit diesem
Gelde nach Holland oder Franckreich überzugehen,
um daselbst entweder zu Lande oder zur See Kriegs-
Dienste zu suchen, allein, auf inständiges Bitten
meiner Mutter, läst er sich solche löbliche Gedancken
vergehen, und dahin bringen, daß er den erledigten
Schulmeister-Dienst in unsern Dorffe annimmt,
der jährlich, alles zusammen gerechnet, etwa 10. Pfund
Sterlings Einkommens gehabt.

Vier Jahr lang verwaltet mein Vater diesen
Dienst in stillen Vergnügen, weil sich sein und mei-
ner Mutter Sinn nun gäntzlich in dergleichen Le-
bens-Art verliebet. Jederman ist vollkommen
wohl mit ihm zufrieden und bemühet, seinen Fleiß
mit ausserordentlichen Geschencken zu vergelten,
weßwegen meine Eltern einen kleinen Anfang zu Er-
kauffung eines Bauer-Gütgens machen, und ihr
bißhero zusammen gespartes Geld an Ländereyen
legen wollen, weil aber noch etwas weniges an den
bedungenen Kauff-Geldern mangelt, siehet sich mei-
ne Mutter genöthiget, das letzte und beste gehänckel-
te Gold-Stück, so sie von der Müllerin bekommen,
bey ihrer Nachbarin zu versetzen.

Diese falsche Frau giebt zwar so viele kleine
Müntze darauf, als meine Mutter begehret, weil
sie aber das sehr kennbare Gold-Stück sehr öffters
bey der verstorbenen Müllerin gesehen, über dieses
mit dem Müller in verbothener Buhlschafft leben
mag, zeiget sie das Gold-Stück dem Müller, der
dasselbe gegen ein ander Pfand von ihr nimmt, zum

Ober-
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fen, und mein Vater laͤſt ſich in den Sinn kommen
ſeine Frau und Kind aufzupacken, und mit dieſem
Gelde nach Holland oder Franckreich uͤberzugehen,
um daſelbſt entweder zu Lande oder zur See Kriegs-
Dienſte zu ſuchen, allein, auf inſtaͤndiges Bitten
meiner Mutter, laͤſt er ſich ſolche loͤbliche Gedancken
vergehen, und dahin bringen, daß er den erledigten
Schulmeiſter-Dienſt in unſern Dorffe annimmt,
der jaͤhrlich, alles zuſam̃en gerechnet, etwa 10. Pfund
Sterlings Einkommens gehabt.

Vier Jahr lang verwaltet mein Vater dieſen
Dienſt in ſtillen Vergnuͤgen, weil ſich ſein und mei-
ner Mutter Sinn nun gaͤntzlich in dergleichen Le-
bens-Art verliebet. Jederman iſt vollkommen
wohl mit ihm zufrieden und bemuͤhet, ſeinen Fleiß
mit auſſerordentlichen Geſchencken zu vergelten,
weßwegen meine Eltern einen kleinen Anfang zu Er-
kauffung eines Bauer-Guͤtgens machen, und ihr
bißhero zuſammen geſpartes Geld an Laͤndereyen
legen wollen, weil aber noch etwas weniges an den
bedungenen Kauff-Geldern mangelt, ſiehet ſich mei-
ne Mutter genoͤthiget, das letzte und beſte gehaͤnckel-
te Gold-Stuͤck, ſo ſie von der Muͤllerin bekommen,
bey ihrer Nachbarin zu verſetzen.

Dieſe falſche Frau giebt zwar ſo viele kleine
Muͤntze darauf, als meine Mutter begehret, weil
ſie aber das ſehr kennbare Gold-Stuͤck ſehr oͤffters
bey der verſtorbenen Muͤllerin geſehen, uͤber dieſes
mit dem Muͤller in verbothener Buhlſchafft leben
mag, zeiget ſie das Gold-Stuͤck dem Muͤller, der
daſſelbe gegen ein ander Pfand von ihr nimmt, zum

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[341/0355] fen, und mein Vater laͤſt ſich in den Sinn kommen ſeine Frau und Kind aufzupacken, und mit dieſem Gelde nach Holland oder Franckreich uͤberzugehen, um daſelbſt entweder zu Lande oder zur See Kriegs- Dienſte zu ſuchen, allein, auf inſtaͤndiges Bitten meiner Mutter, laͤſt er ſich ſolche loͤbliche Gedancken vergehen, und dahin bringen, daß er den erledigten Schulmeiſter-Dienſt in unſern Dorffe annimmt, der jaͤhrlich, alles zuſam̃en gerechnet, etwa 10. Pfund Sterlings Einkommens gehabt. Vier Jahr lang verwaltet mein Vater dieſen Dienſt in ſtillen Vergnuͤgen, weil ſich ſein und mei- ner Mutter Sinn nun gaͤntzlich in dergleichen Le- bens-Art verliebet. Jederman iſt vollkommen wohl mit ihm zufrieden und bemuͤhet, ſeinen Fleiß mit auſſerordentlichen Geſchencken zu vergelten, weßwegen meine Eltern einen kleinen Anfang zu Er- kauffung eines Bauer-Guͤtgens machen, und ihr bißhero zuſammen geſpartes Geld an Laͤndereyen legen wollen, weil aber noch etwas weniges an den bedungenen Kauff-Geldern mangelt, ſiehet ſich mei- ne Mutter genoͤthiget, das letzte und beſte gehaͤnckel- te Gold-Stuͤck, ſo ſie von der Muͤllerin bekommen, bey ihrer Nachbarin zu verſetzen. Dieſe falſche Frau giebt zwar ſo viele kleine Muͤntze darauf, als meine Mutter begehret, weil ſie aber das ſehr kennbare Gold-Stuͤck ſehr oͤffters bey der verſtorbenen Muͤllerin geſehen, uͤber dieſes mit dem Muͤller in verbothener Buhlſchafft leben mag, zeiget ſie das Gold-Stuͤck dem Muͤller, der daſſelbe gegen ein ander Pfand von ihr nimmt, zum Ober- Y 3

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/355>, abgerufen am 17.06.2024.