Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

legt, und soll einen jungen Menschen heyrathen, der
sein zwantzigstes noch nicht einmahl erreicht hat. Es
ist ja GOtt Lob kein Mangel an Weibs-Personen
auf dieser Jnsul, hergegen hat er so wohl als andere
noch das Auslesen unter vielen, wird also nicht un-
verheyrathet sterben dürffen, wenn er gleich mich
nicht zur Ehe bekömmt, solte aber ich gleich ohnver-
heyrathet sterben müssen, so wird mir dieses weder
im Leben noch im Tode den allergeringsten Ver-
druß erwecken. Jch verwunderte mich ziemlicher
massen über dieses 32. jährigen artigen Frauenzim-
mers Resolution, und hätte ihrem Ansehen und
gantzen Wesen nach, dieselbe kaum mit guten Ge-
wissen auf 20. Jahr geschätzet, doch da ich in ihren
Reden einen lautern Ernst verspürete, gab ich ihr
vollkommen Recht und fragte nur: Warum sie
aber denn allbereit 4. andere Liebhaber vor diesem
letztern abgewiesen hätte? Worauf sie antwortete:
Sie sind alle wenigstens 10. biß 12. Jahr jünger ge-
wesen als ich, derowegen habe unmöglich eine Hey-
rath mit ihnen treffen können, sondern viel lieber le-
dig bleiben wollen.

Hieraus lenckte ich unser Gespräch, um ihren ed-
len Verstand ferner zu untersuchen, auf andere Sa-
chen, und fand denselben so wohl in geistlichen als
weltlichen Sachen dermassen geschärfft, daß ich so
zu sagen fast darüber erstaunete, und mit innigsten
Vergnügen so lange bey ihr sitzen blieb, biß sich un-
vermerckt die Sonne hinter die hohen Felsen-Spi-
tzen verlohr, weßwegen wir beyderseits den Garten
verliessen, und weil im Hause vernahm, daß sich
der Vater Christian auf der Schleusen-Brücke

befände,

legt, und ſoll einen jungen Menſchen heyrathen, der
ſein zwantzigſtes noch nicht einmahl erreicht hat. Es
iſt ja GOtt Lob kein Mangel an Weibs-Perſonen
auf dieſer Jnſul, hergegen hat er ſo wohl als andere
noch das Ausleſen unter vielen, wird alſo nicht un-
verheyrathet ſterben duͤrffen, wenn er gleich mich
nicht zur Ehe bekoͤmmt, ſolte aber ich gleich ohnver-
heyrathet ſterben muͤſſen, ſo wird mir dieſes weder
im Leben noch im Tode den allergeringſten Ver-
druß erwecken. Jch verwunderte mich ziemlicher
maſſen uͤber dieſes 32. jaͤhrigen artigen Frauenzim-
mers Reſolution, und haͤtte ihrem Anſehen und
gantzen Weſen nach, dieſelbe kaum mit guten Ge-
wiſſen auf 20. Jahr geſchaͤtzet, doch da ich in ihren
Reden einen lautern Ernſt verſpuͤrete, gab ich ihr
vollkommen Recht und fragte nur: Warum ſie
aber denn allbereit 4. andere Liebhaber vor dieſem
letztern abgewieſen haͤtte? Worauf ſie antwortete:
Sie ſind alle wenigſtens 10. biß 12. Jahr juͤnger ge-
weſen als ich, derowegen habe unmoͤglich eine Hey-
rath mit ihnen treffen koͤnnen, ſondern viel lieber le-
dig bleiben wollen.

Hierauſ lenckte ich unſer Geſpraͤch, um ihren ed-
len Verſtand ferner zu unterſuchen, auf andere Sa-
chen, und fand denſelben ſo wohl in geiſtlichen als
weltlichen Sachen dermaſſen geſchaͤrfft, daß ich ſo
zu ſagen faſt daruͤber erſtaunete, und mit innigſten
Vergnuͤgen ſo lange bey ihr ſitzen blieb, biß ſich un-
vermerckt die Sonne hinter die hohen Felſen-Spi-
tzen verlohr, weßwegen wir beyderſeits den Garten
verlieſſen, und weil im Hauſe vernahm, daß ſich
der Vater Chriſtian auf der Schleuſen-Bruͤcke

befaͤnde,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0450" n="436"/>
legt, und &#x017F;oll einen jungen Men&#x017F;chen heyrathen, der<lb/>
&#x017F;ein zwantzig&#x017F;tes noch nicht einmahl erreicht hat. Es<lb/>
i&#x017F;t ja GOtt Lob kein Mangel an Weibs-Per&#x017F;onen<lb/>
auf die&#x017F;er Jn&#x017F;ul, hergegen hat er &#x017F;o wohl als andere<lb/>
noch das Ausle&#x017F;en unter vielen, wird al&#x017F;o nicht un-<lb/>
verheyrathet &#x017F;terben du&#x0364;rffen, wenn er gleich mich<lb/>
nicht zur Ehe beko&#x0364;mmt, &#x017F;olte aber ich gleich ohnver-<lb/>
heyrathet &#x017F;terben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wird mir die&#x017F;es weder<lb/>
im Leben noch im Tode den allergering&#x017F;ten Ver-<lb/>
druß erwecken. Jch verwunderte mich ziemlicher<lb/>
ma&#x017F;&#x017F;en u&#x0364;ber die&#x017F;es 32. ja&#x0364;hrigen artigen Frauenzim-<lb/>
mers <hi rendition="#aq">Re&#x017F;olution,</hi> und ha&#x0364;tte ihrem An&#x017F;ehen und<lb/>
gantzen We&#x017F;en nach, die&#x017F;elbe kaum mit guten Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en auf 20. Jahr ge&#x017F;cha&#x0364;tzet, doch da ich in ihren<lb/>
Reden einen lautern Ern&#x017F;t ver&#x017F;pu&#x0364;rete, gab ich ihr<lb/>
vollkommen Recht und fragte nur: Warum &#x017F;ie<lb/>
aber denn allbereit 4. andere Liebhaber vor die&#x017F;em<lb/>
letztern abgewie&#x017F;en ha&#x0364;tte? Worauf &#x017F;ie antwortete:<lb/>
Sie &#x017F;ind alle wenig&#x017F;tens 10. biß 12. Jahr ju&#x0364;nger ge-<lb/>
we&#x017F;en als ich, derowegen habe unmo&#x0364;glich eine Hey-<lb/>
rath mit ihnen treffen ko&#x0364;nnen, &#x017F;ondern viel lieber le-<lb/>
dig bleiben wollen.</p><lb/>
        <p>Hierau&#x017F; lenckte ich un&#x017F;er Ge&#x017F;pra&#x0364;ch, um ihren ed-<lb/>
len Ver&#x017F;tand ferner zu unter&#x017F;uchen, auf andere Sa-<lb/>
chen, und fand den&#x017F;elben &#x017F;o wohl in gei&#x017F;tlichen als<lb/>
weltlichen Sachen derma&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;cha&#x0364;rfft, daß ich &#x017F;o<lb/>
zu &#x017F;agen fa&#x017F;t daru&#x0364;ber er&#x017F;taunete, und mit innig&#x017F;ten<lb/>
Vergnu&#x0364;gen &#x017F;o lange bey ihr &#x017F;itzen blieb, biß &#x017F;ich un-<lb/>
vermerckt die Sonne hinter die hohen Fel&#x017F;en-Spi-<lb/>
tzen verlohr, weßwegen wir beyder&#x017F;eits den Garten<lb/>
verlie&#x017F;&#x017F;en, und weil im Hau&#x017F;e vernahm, daß &#x017F;ich<lb/>
der Vater <hi rendition="#aq">Chri&#x017F;tian</hi> auf der Schleu&#x017F;en-Bru&#x0364;cke<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">befa&#x0364;nde,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0450] legt, und ſoll einen jungen Menſchen heyrathen, der ſein zwantzigſtes noch nicht einmahl erreicht hat. Es iſt ja GOtt Lob kein Mangel an Weibs-Perſonen auf dieſer Jnſul, hergegen hat er ſo wohl als andere noch das Ausleſen unter vielen, wird alſo nicht un- verheyrathet ſterben duͤrffen, wenn er gleich mich nicht zur Ehe bekoͤmmt, ſolte aber ich gleich ohnver- heyrathet ſterben muͤſſen, ſo wird mir dieſes weder im Leben noch im Tode den allergeringſten Ver- druß erwecken. Jch verwunderte mich ziemlicher maſſen uͤber dieſes 32. jaͤhrigen artigen Frauenzim- mers Reſolution, und haͤtte ihrem Anſehen und gantzen Weſen nach, dieſelbe kaum mit guten Ge- wiſſen auf 20. Jahr geſchaͤtzet, doch da ich in ihren Reden einen lautern Ernſt verſpuͤrete, gab ich ihr vollkommen Recht und fragte nur: Warum ſie aber denn allbereit 4. andere Liebhaber vor dieſem letztern abgewieſen haͤtte? Worauf ſie antwortete: Sie ſind alle wenigſtens 10. biß 12. Jahr juͤnger ge- weſen als ich, derowegen habe unmoͤglich eine Hey- rath mit ihnen treffen koͤnnen, ſondern viel lieber le- dig bleiben wollen. Hierauſ lenckte ich unſer Geſpraͤch, um ihren ed- len Verſtand ferner zu unterſuchen, auf andere Sa- chen, und fand denſelben ſo wohl in geiſtlichen als weltlichen Sachen dermaſſen geſchaͤrfft, daß ich ſo zu ſagen faſt daruͤber erſtaunete, und mit innigſten Vergnuͤgen ſo lange bey ihr ſitzen blieb, biß ſich un- vermerckt die Sonne hinter die hohen Felſen-Spi- tzen verlohr, weßwegen wir beyderſeits den Garten verlieſſen, und weil im Hauſe vernahm, daß ſich der Vater Chriſtian auf der Schleuſen-Bruͤcke befaͤnde,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/450
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/450>, abgerufen am 16.06.2024.