Dieses Erdbeben geschahe am 18den Jan. im Jahr Christi 1523. bey eintretender Nacht, und ich hoffe nicht unrecht zu haben, wenn ich solches ein würckli- ches Erdbeben oder Erschütterung dieser gantzen Jn- sul nenne, weil ich selbiges selbst empfunden, auch nachhero viele Felsen-Risse und herab geschossene Klumpen angemerckt, die vor der Zeit nicht da ge- wesen sind. Der Westliche Fluß fand zwar nach wenigen Wochen seinen geraumlichen Auslauff unter den Felsen hindurch, nachdem er vielleicht die lockere Erde und Sand ausgewaschen und fortge- trieben hatte, und solchergestalt wurde auch das Westliche Thal wiederum von der Wasser-Fluth befreyet, jedoch die Hoffnung unserer baldigen Ab- fahrt war auf einmahl gäntzlich zerschmettert, indem das neu erbaute Schiff unter den ungeheuren Felsen- Stücken begraben lag.
GOtt pflegt in der Natur dergleichen Wun- der- und Schreck-Wercke selten umsonst zu zeigen, dieses erkannte ich mehr als zu wohl, wolte solches auch meinen Gefährten in täglichen Gesprächen beybringen, und sie dahin bereden, daß wir ingesamt als heilige Einsiedler unser Leben in dieser angeneh- men und fruchtbarn Gegend zum wenigsten so lange zubringen wolten, biß uns GOtt von ohngefähr Schiffe und Christen zuschickte, die uns von dannen führeten. Allein, ich predigte tauben Ohren, denn wenige Zeit hernach, da ihnen abermahls die Lust ankam ein neues Schiff zu bauen, welches doch in Ermangelung so vielerley Materialien, ein lächerli- ches Vornehmen war, machten sie erstlich einen An- schlag, im Mittel der Jnsul den Nördlichen Fluß
abzu-
Dieſes Erdbeben geſchahe am 18den Jan. im Jahr Chriſti 1523. bey eintretender Nacht, und ich hoffe nicht unrecht zu haben, wenn ich ſolches ein wuͤrckli- ches Erdbeben oder Erſchuͤtterung dieſer gantzen Jn- ſul nenne, weil ich ſelbiges ſelbſt empfunden, auch nachhero viele Felſen-Riſſe und herab geſchoſſene Klumpen angemerckt, die vor der Zeit nicht da ge- weſen ſind. Der Weſtliche Fluß fand zwar nach wenigen Wochen ſeinen geraumlichen Auslauff unter den Felſen hindurch, nachdem er vielleicht die lockere Erde und Sand ausgewaſchen und fortge- trieben hatte, und ſolchergeſtalt wurde auch das Weſtliche Thal wiederum von der Waſſer-Fluth befreyet, jedoch die Hoffnung unſerer baldigen Ab- fahrt war auf einmahl gaͤntzlich zerſchmettert, indem das neu erbaute Schiff unter den ungeheuren Felſen- Stuͤcken begraben lag.
GOtt pflegt in der Natur dergleichen Wun- der- und Schreck-Wercke ſelten umſonſt zu zeigen, dieſes erkannte ich mehr als zu wohl, wolte ſolches auch meinen Gefaͤhrten in taͤglichen Geſpraͤchen beybringen, und ſie dahin bereden, daß wir ingeſamt als heilige Einſiedler unſer Leben in dieſer angeneh- men und fruchtbarn Gegend zum wenigſten ſo lange zubringen wolten, biß uns GOtt von ohngefaͤhr Schiffe und Chriſten zuſchickte, die uns von dannen fuͤhreten. Allein, ich predigte tauben Ohren, denn wenige Zeit hernach, da ihnen abermahls die Luſt ankam ein neues Schiff zu bauen, welches doch in Ermangelung ſo vielerley Materialien, ein laͤcherli- ches Vornehmen war, machten ſie erſtlich einen An- ſchlag, im Mittel der Jnſul den Noͤrdlichen Fluß
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Dieſes Erdbeben geſchahe am 18den Jan. im Jahr
Chriſti 1523. bey eintretender Nacht, und ich hoffe
nicht unrecht zu haben, wenn ich ſolches ein wuͤrckli-
ches Erdbeben oder Erſchuͤtterung dieſer gantzen Jn-
ſul nenne, weil ich ſelbiges ſelbſt empfunden, auch
nachhero viele Felſen-Riſſe und herab geſchoſſene
Klumpen angemerckt, die vor der Zeit nicht da ge-
weſen ſind. Der Weſtliche Fluß fand zwar nach
wenigen Wochen ſeinen geraumlichen Auslauff
unter den Felſen hindurch, nachdem er vielleicht die
lockere Erde und Sand ausgewaſchen und fortge-
trieben hatte, und ſolchergeſtalt wurde auch das
Weſtliche Thal wiederum von der Waſſer-Fluth
befreyet, jedoch die Hoffnung unſerer baldigen Ab-
fahrt war auf einmahl gaͤntzlich zerſchmettert, indem
das neu erbaute Schiff unter den ungeheuren Felſen-
Stuͤcken begraben lag.
GOtt pflegt in der Natur dergleichen Wun-
der- und Schreck-Wercke ſelten umſonſt zu zeigen,
dieſes erkannte ich mehr als zu wohl, wolte ſolches
auch meinen Gefaͤhrten in taͤglichen Geſpraͤchen
beybringen, und ſie dahin bereden, daß wir ingeſamt
als heilige Einſiedler unſer Leben in dieſer angeneh-
men und fruchtbarn Gegend zum wenigſten ſo lange
zubringen wolten, biß uns GOtt von ohngefaͤhr
Schiffe und Chriſten zuſchickte, die uns von dannen
fuͤhreten. Allein, ich predigte tauben Ohren, denn
wenige Zeit hernach, da ihnen abermahls die Luſt
ankam ein neues Schiff zu bauen, welches doch in
Ermangelung ſo vielerley Materialien, ein laͤcherli-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage folgte schon 1732. Zum Zeitpunkt der Digitalisierung stand nur die dritte Auflage von 1740 zur Verfügung. (Link zur Erstausgabe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-459276)
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/610>, abgerufen am 21.11.2024.
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