Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

Bild:
<< vorherige Seite

Jedoch weil ich gesonnen bin, mich in meiner Lebens-
Lauffs-Erzehlung möglichster Kürtze zu befleißigen,
will nur berichten, daß nach genommenen zärtlichen
Abschiede von dieser Liebes-vollen Pflege-Mutter,
der Bauer als mein Wirth, gegen Mitternacht sei-
nen Wagen anspannete, mich wohl verdeckt darauf
packte, und mit möglichster Behutsamkeit darvon
suhr, ohne von einem oder dem andern Schwedi-
schen Soldaten befragt oder angehalten zu werden.
Wir säumeten uns an keinem Ort über die drin-
gende Noth, gelangeten also dritten Tages gegen
Abend bey demjenigen Edelmanne im Branden-
burgischen an, der unserer Edel-Frauen Schwester
zur Ehe hatte, welcher mich denn auch so wohl als
seine, nicht weniger guthertzige Gemahlin, nach
Verlesung der mitgebrachten Briefe, sehr liebreich
auf- und annahm, den Uberbringer aber folgenden
Tages mit behörigen Antworts-Schreiben wieder-
um zurück fertigte. Jch wurde in Wahrheit nicht
als ein armer verlauffener Junge, sondern so gut
als ein Adeliches Kind gehalten, ein jeder, so meine
erlittenen Fatalitäten anhörete, warff eine, mit vie-
len Mittleiden vermischte Liebe auf mich, und weil
das ausgestandene Creutz mir eine gantz besonders
sittsame und submisse Lebens-Art hinterlassen, wur-
de ich bey jederman nach und nach immer mehr be-
liebt. Es hatte dieser Edelmann 3. Söhne, von
welchen der älteste 16, der jüngste aber wie ich, in
seinem 12. Jahre war, hiernächst 2. Töchter, da-
von die älteste ins 10te und die jüngste ins 8te Jahr
ging. Ausserdem waren noch zwey Vater und
Mutter-lose Adeliche Kinder bey ihnen, nemlich ein

Jun-

Jedoch weil ich geſonnen bin, mich in meiner Lebens-
Lauffs-Erzehlung moͤglichſter Kuͤrtze zu befleißigen,
will nur berichten, daß nach genommenen zaͤrtlichen
Abſchiede von dieſer Liebes-vollen Pflege-Mutter,
der Bauer als mein Wirth, gegen Mitternacht ſei-
nen Wagen anſpannete, mich wohl verdeckt darauf
packte, und mit moͤglichſter Behutſamkeit darvon
ſuhr, ohne von einem oder dem andern Schwedi-
ſchen Soldaten befragt oder angehalten zu werden.
Wir ſaͤumeten uns an keinem Ort uͤber die drin-
gende Noth, gelangeten alſo dritten Tages gegen
Abend bey demjenigen Edelmanne im Branden-
burgiſchen an, der unſerer Edel-Frauen Schweſter
zur Ehe hatte, welcher mich denn auch ſo wohl als
ſeine, nicht weniger guthertzige Gemahlin, nach
Verleſung der mitgebrachten Briefe, ſehr liebreich
auf- und annahm, den Uberbringer aber folgenden
Tages mit behoͤrigen Antworts-Schreiben wieder-
um zuruͤck fertigte. Jch wurde in Wahrheit nicht
als ein armer verlauffener Junge, ſondern ſo gut
als ein Adeliches Kind gehalten, ein jeder, ſo meine
erlittenen Fatalitaͤten anhoͤrete, warff eine, mit vie-
len Mittleiden vermiſchte Liebe auf mich, und weil
das ausgeſtandene Creutz mir eine gantz beſonders
ſittſame und ſubmiſſe Lebens-Art hinterlaſſen, wur-
de ich bey jederman nach und nach immer mehr be-
liebt. Es hatte dieſer Edelmann 3. Soͤhne, von
welchen der aͤlteſte 16, der juͤngſte aber wie ich, in
ſeinem 12. Jahre war, hiernaͤchſt 2. Toͤchter, da-
von die aͤlteſte ins 10te und die juͤngſte ins 8te Jahr
ging. Auſſerdem waren noch zwey Vater und
Mutter-loſe Adeliche Kinder bey ihnen, nemlich ein

Jun-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0107" n="93"/>
Jedoch weil ich ge&#x017F;onnen bin, mich in meiner Lebens-<lb/>
Lauffs-Erzehlung mo&#x0364;glich&#x017F;ter Ku&#x0364;rtze zu befleißigen,<lb/>
will nur berichten, daß nach genommenen za&#x0364;rtlichen<lb/>
Ab&#x017F;chiede von die&#x017F;er Liebes-vollen Pflege-Mutter,<lb/>
der Bauer als mein Wirth, gegen Mitternacht &#x017F;ei-<lb/>
nen Wagen an&#x017F;pannete, mich wohl verdeckt darauf<lb/>
packte, und mit mo&#x0364;glich&#x017F;ter Behut&#x017F;amkeit darvon<lb/>
&#x017F;uhr, ohne von einem oder dem andern Schwedi-<lb/>
&#x017F;chen Soldaten befragt oder angehalten zu werden.<lb/>
Wir &#x017F;a&#x0364;umeten uns an keinem Ort u&#x0364;ber die drin-<lb/>
gende Noth, gelangeten al&#x017F;o dritten Tages gegen<lb/>
Abend bey demjenigen Edelmanne im Branden-<lb/>
burgi&#x017F;chen an, der un&#x017F;erer Edel-Frauen Schwe&#x017F;ter<lb/>
zur Ehe hatte, welcher mich denn auch &#x017F;o wohl als<lb/>
&#x017F;eine, nicht weniger guthertzige Gemahlin, nach<lb/>
Verle&#x017F;ung der mitgebrachten Briefe, &#x017F;ehr liebreich<lb/>
auf- und annahm, den Uberbringer aber folgenden<lb/>
Tages mit beho&#x0364;rigen Antworts-Schreiben wieder-<lb/>
um zuru&#x0364;ck fertigte. Jch wurde in Wahrheit nicht<lb/>
als ein armer verlauffener Junge, &#x017F;ondern &#x017F;o gut<lb/>
als ein Adeliches Kind gehalten, ein jeder, &#x017F;o meine<lb/>
erlittenen <hi rendition="#aq">Fatali</hi>ta&#x0364;ten anho&#x0364;rete, warff eine, mit vie-<lb/>
len Mittleiden vermi&#x017F;chte Liebe auf mich, und weil<lb/>
das ausge&#x017F;tandene Creutz mir eine gantz be&#x017F;onders<lb/>
&#x017F;itt&#x017F;ame und <hi rendition="#aq">&#x017F;ubmi&#x017F;&#x017F;e</hi> Lebens-Art hinterla&#x017F;&#x017F;en, wur-<lb/>
de ich bey jederman nach und nach immer mehr be-<lb/>
liebt. Es hatte die&#x017F;er Edelmann 3. So&#x0364;hne, von<lb/>
welchen der a&#x0364;lte&#x017F;te 16, der ju&#x0364;ng&#x017F;te aber wie ich, in<lb/>
&#x017F;einem 12. Jahre war, hierna&#x0364;ch&#x017F;t 2. To&#x0364;chter, da-<lb/>
von die a&#x0364;lte&#x017F;te ins 10te und die ju&#x0364;ng&#x017F;te ins 8te Jahr<lb/>
ging. Au&#x017F;&#x017F;erdem waren noch zwey Vater und<lb/>
Mutter-lo&#x017F;e Adeliche Kinder bey ihnen, nemlich ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jun-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0107] Jedoch weil ich geſonnen bin, mich in meiner Lebens- Lauffs-Erzehlung moͤglichſter Kuͤrtze zu befleißigen, will nur berichten, daß nach genommenen zaͤrtlichen Abſchiede von dieſer Liebes-vollen Pflege-Mutter, der Bauer als mein Wirth, gegen Mitternacht ſei- nen Wagen anſpannete, mich wohl verdeckt darauf packte, und mit moͤglichſter Behutſamkeit darvon ſuhr, ohne von einem oder dem andern Schwedi- ſchen Soldaten befragt oder angehalten zu werden. Wir ſaͤumeten uns an keinem Ort uͤber die drin- gende Noth, gelangeten alſo dritten Tages gegen Abend bey demjenigen Edelmanne im Branden- burgiſchen an, der unſerer Edel-Frauen Schweſter zur Ehe hatte, welcher mich denn auch ſo wohl als ſeine, nicht weniger guthertzige Gemahlin, nach Verleſung der mitgebrachten Briefe, ſehr liebreich auf- und annahm, den Uberbringer aber folgenden Tages mit behoͤrigen Antworts-Schreiben wieder- um zuruͤck fertigte. Jch wurde in Wahrheit nicht als ein armer verlauffener Junge, ſondern ſo gut als ein Adeliches Kind gehalten, ein jeder, ſo meine erlittenen Fatalitaͤten anhoͤrete, warff eine, mit vie- len Mittleiden vermiſchte Liebe auf mich, und weil das ausgeſtandene Creutz mir eine gantz beſonders ſittſame und ſubmiſſe Lebens-Art hinterlaſſen, wur- de ich bey jederman nach und nach immer mehr be- liebt. Es hatte dieſer Edelmann 3. Soͤhne, von welchen der aͤlteſte 16, der juͤngſte aber wie ich, in ſeinem 12. Jahre war, hiernaͤchſt 2. Toͤchter, da- von die aͤlteſte ins 10te und die juͤngſte ins 8te Jahr ging. Auſſerdem waren noch zwey Vater und Mutter-loſe Adeliche Kinder bey ihnen, nemlich ein Jun-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/107
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/107>, abgerufen am 28.11.2024.