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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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dasselbe, zogen auch etliche Säiten auf, endlich aber
zog die Sängerin, welche Caroline hieß, ein
Schreibzeug nebst einem Blat Papier hervor,
und beschrieb das letztere auf dem Pulte, da ihr im-
mittelst meine Schöne, die sich Lucia nennete, über
die Achsel sahe, und endlich sagte: Schwesterchen,
du schreibst zu viel, ich habe ja den lieben Menschen
noch nicht ein eintzig mahl recht im Gesichte gesehen,
vielweniger ein Wort mit ihm gesprochen, laß ihn
doch sich zum wenigsten erstlich einmahl, auf einer
angemerckten Stelle zeigen. Schweig mein Schatz!
gab Caroline zur Antwort, ich weiß schon im vor-
aus, daß er dir im Hertzen wohlgefallen wird, so
bald du ihn nur von ferne sehen wirst, und wo dieses
heute nicht geschicht, solst du doch aufs längste mor-
gen einen Brief von ihm haben. Gleich mit Endi-
gung dieser Worte, ließ mein Geferte die ober-
ste Klappe von dem Vorfchlage herunter fallen, in
welchen wir uns versteckt hatten, und sagte: Erschre-
cket nicht, schönsten Kinder, eure allergetreuesten Lieb-
haber sind allhier gegenwärtig, und haben von ge-
stern Abend an, auf das Vergnügen gehofft, euch
durch diese kleinen Löcher nur zu sehen, nunmehro
aber, da wir den erwünschten Vortheil haben, euch
persönlich zu sprechen, so erkläret euch, ob ihr unsere
hefftige Liebe auf ehrliche und eheliche Weise ver-
gnügen wollet, daferne wir erstlich Gelegenheit ge-
nommen, euch aus diesem Kercker in unser Vater-
land zu führen. Die guten Kinder erschracken zwar
anfangs hefftig, erholeten sich aber gar bald, und
führeten das treuhertzigste Gespräch mit uns allen
beyden. Kurtz! da keines an dem andern etwas

aus-

daſſelbe, zogen auch etliche Saͤiten auf, endlich aber
zog die Saͤngerin, welche Caroline hieß, ein
Schreibzeug nebſt einem Blat Papier hervor,
und beſchrieb das letztere auf dem Pulte, da ihr im-
mittelſt meine Schoͤne, die ſich Lucia nennete, uͤber
die Achſel ſahe, und endlich ſagte: Schweſterchen,
du ſchreibſt zu viel, ich habe ja den lieben Menſchen
noch nicht ein eintzig mahl recht im Geſichte geſehen,
vielweniger ein Wort mit ihm geſprochen, laß ihn
doch ſich zum wenigſten erſtlich einmahl, auf einer
angemerckten Stelle zeigen. Schweig mein Schatz!
gab Caroline zur Antwort, ich weiß ſchon im vor-
aus, daß er dir im Hertzen wohlgefallen wird, ſo
bald du ihn nur von ferne ſehen wirſt, und wo dieſes
heute nicht geſchicht, ſolſt du doch aufs laͤngſte mor-
gen einen Brief von ihm haben. Gleich mit Endi-
gung dieſer Worte, ließ mein Geferte die ober-
ſte Klappe von dem Vorfchlage herunter fallen, in
welchen wir uns verſteckt hatten, und ſagte: Erſchre-
cket nicht, ſchoͤnſten Kinder, eure allergetreueſten Lieb-
haber ſind allhier gegenwaͤrtig, und haben von ge-
ſtern Abend an, auf das Vergnuͤgen gehofft, euch
durch dieſe kleinen Loͤcher nur zu ſehen, nunmehro
aber, da wir den erwuͤnſchten Vortheil haben, euch
perſoͤnlich zu ſprechen, ſo erklaͤret euch, ob ihr unſere
hefftige Liebe auf ehrliche und eheliche Weiſe ver-
gnuͤgen wollet, daferne wir erſtlich Gelegenheit ge-
nommen, euch aus dieſem Kercker in unſer Vater-
land zu fuͤhren. Die guten Kinder erſchracken zwar
anfangs hefftig, erholeten ſich aber gar bald, und
fuͤhreten das treuhertzigſte Geſpraͤch mit uns allen
beyden. Kurtz! da keines an dem andern etwas

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[347/0361] daſſelbe, zogen auch etliche Saͤiten auf, endlich aber zog die Saͤngerin, welche Caroline hieß, ein Schreibzeug nebſt einem Blat Papier hervor, und beſchrieb das letztere auf dem Pulte, da ihr im- mittelſt meine Schoͤne, die ſich Lucia nennete, uͤber die Achſel ſahe, und endlich ſagte: Schweſterchen, du ſchreibſt zu viel, ich habe ja den lieben Menſchen noch nicht ein eintzig mahl recht im Geſichte geſehen, vielweniger ein Wort mit ihm geſprochen, laß ihn doch ſich zum wenigſten erſtlich einmahl, auf einer angemerckten Stelle zeigen. Schweig mein Schatz! gab Caroline zur Antwort, ich weiß ſchon im vor- aus, daß er dir im Hertzen wohlgefallen wird, ſo bald du ihn nur von ferne ſehen wirſt, und wo dieſes heute nicht geſchicht, ſolſt du doch aufs laͤngſte mor- gen einen Brief von ihm haben. Gleich mit Endi- gung dieſer Worte, ließ mein Geferte die ober- ſte Klappe von dem Vorfchlage herunter fallen, in welchen wir uns verſteckt hatten, und ſagte: Erſchre- cket nicht, ſchoͤnſten Kinder, eure allergetreueſten Lieb- haber ſind allhier gegenwaͤrtig, und haben von ge- ſtern Abend an, auf das Vergnuͤgen gehofft, euch durch dieſe kleinen Loͤcher nur zu ſehen, nunmehro aber, da wir den erwuͤnſchten Vortheil haben, euch perſoͤnlich zu ſprechen, ſo erklaͤret euch, ob ihr unſere hefftige Liebe auf ehrliche und eheliche Weiſe ver- gnuͤgen wollet, daferne wir erſtlich Gelegenheit ge- nommen, euch aus dieſem Kercker in unſer Vater- land zu fuͤhren. Die guten Kinder erſchracken zwar anfangs hefftig, erholeten ſich aber gar bald, und fuͤhreten das treuhertzigſte Geſpraͤch mit uns allen beyden. Kurtz! da keines an dem andern etwas aus-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/361>, abgerufen am 23.11.2024.