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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739.

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reichern könten; allein ich hatte keine Lust darzu, son-
dern war vergnügt mit dem was ich schon hatte, und
wolte mein Leben nicht in Gefahr setzen, indem mir
die Einwohner zu St. Salvator erzehleten: daß die
tieffer im Lande wohnenden Brasilianer würckliche
Menschen-Fresser wären, sie schlachteten die Ge-
fangenen gleich dem Viehe ab, wüsten von keiner
Religion, ja sie hätten in ihrer gantzen Sprache
kein eintzig Wort, welches einen GOtt bedeutete; be-
teten hergegen den Teuffel an und erholten sich bey
demselben Raths, jedennoch hätte man an ihnen
wahrgenommen, daß sie ihre Seelen vor unsterblich
hielten. Sie wohneten nicht in Häusern, sondern
in blossen Lauber-Hütten, schlieffen nicht in Betten,
sondern in Netzen, und ihre gewöhnliche Speise be-
stünde aus Brod, welches aus dem Mehl einer
Wurtzel Mendioca genandt, gebacken würde.

Alles dieses jagte mir so viel Schrecken ein, daß
ich allen denen, so mich zum Parthey gehen mit neh-
men wolten, abschlägige Antwort gab; es blieb auch
in Wahrheit mancher ehrlicher Mann von den mit-
gekommenen Europäern bey solchen Partheygänge-
reyen aussen, der vielleicht von den wilden Brasilia-
nern ist gefressen worden.

Hergegen blieb ich mehrentheils zu Hause in mei-
nem Logis, bath dann und wann gute Freunde zu
mir, die meiste Zeit aber vertrieb ich mit Bücher le-
sen oder mit Grillen über meine Fatalitäten, hierbey
pressete mir das Angedencken über meine zurück ge-
lassenen lieben Kinder zum öfftern viele 1000. Thrä-
nen aus.

Eines Tages kam ein junger Kauffmann, der ein

ge-

reichern koͤnten; allein ich hatte keine Luſt darzu, ſon-
dern war vergnuͤgt mit dem was ich ſchon hatte, und
wolte mein Leben nicht in Gefahr ſetzen, indem mir
die Einwohner zu St. Salvator erzehleten: daß die
tieffer im Lande wohnenden Braſilianer wuͤrckliche
Menſchen-Freſſer waͤren, ſie ſchlachteten die Ge-
fangenen gleich dem Viehe ab, wuͤſten von keiner
Religion, ja ſie haͤtten in ihrer gantzen Sprache
kein eintzig Wort, welches einen GOtt bedeutete; be-
teten hergegen den Teuffel an und erholten ſich bey
demſelben Raths, jedennoch haͤtte man an ihnen
wahrgenommen, daß ſie ihre Seelen vor unſterblich
hielten. Sie wohneten nicht in Haͤuſern, ſondern
in bloſſen Lauber-Huͤtten, ſchlieffen nicht in Betten,
ſondern in Netzen, und ihre gewoͤhnliche Speiſe be-
ſtuͤnde aus Brod, welches aus dem Mehl einer
Wurtzel Mendioca genandt, gebacken wuͤrde.

Alles dieſes jagte mir ſo viel Schrecken ein, daß
ich allen denen, ſo mich zum Parthey gehen mit neh-
men wolten, abſchlaͤgige Antwort gab; es blieb auch
in Wahrheit mancher ehrlicher Mann von den mit-
gekommenen Europaͤern bey ſolchen Partheygaͤnge-
reyen auſſen, der vielleicht von den wilden Braſilia-
nern iſt gefreſſen worden.

Hergegen blieb ich mehrentheils zu Hauſe in mei-
nem Logis, bath dann und wann gute Freunde zu
mir, die meiſte Zeit aber vertrieb ich mit Buͤcher le-
ſen oder mit Grillen uͤber meine Fatalitaͤten, hierbey
preſſete mir das Angedencken uͤber meine zuruͤck ge-
laſſenen lieben Kinder zum oͤfftern viele 1000. Thraͤ-
nen aus.

Eines Tages kam ein junger Kauffmann, der ein

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[20/0028] reichern koͤnten; allein ich hatte keine Luſt darzu, ſon- dern war vergnuͤgt mit dem was ich ſchon hatte, und wolte mein Leben nicht in Gefahr ſetzen, indem mir die Einwohner zu St. Salvator erzehleten: daß die tieffer im Lande wohnenden Braſilianer wuͤrckliche Menſchen-Freſſer waͤren, ſie ſchlachteten die Ge- fangenen gleich dem Viehe ab, wuͤſten von keiner Religion, ja ſie haͤtten in ihrer gantzen Sprache kein eintzig Wort, welches einen GOtt bedeutete; be- teten hergegen den Teuffel an und erholten ſich bey demſelben Raths, jedennoch haͤtte man an ihnen wahrgenommen, daß ſie ihre Seelen vor unſterblich hielten. Sie wohneten nicht in Haͤuſern, ſondern in bloſſen Lauber-Huͤtten, ſchlieffen nicht in Betten, ſondern in Netzen, und ihre gewoͤhnliche Speiſe be- ſtuͤnde aus Brod, welches aus dem Mehl einer Wurtzel Mendioca genandt, gebacken wuͤrde. Alles dieſes jagte mir ſo viel Schrecken ein, daß ich allen denen, ſo mich zum Parthey gehen mit neh- men wolten, abſchlaͤgige Antwort gab; es blieb auch in Wahrheit mancher ehrlicher Mann von den mit- gekommenen Europaͤern bey ſolchen Partheygaͤnge- reyen auſſen, der vielleicht von den wilden Braſilia- nern iſt gefreſſen worden. Hergegen blieb ich mehrentheils zu Hauſe in mei- nem Logis, bath dann und wann gute Freunde zu mir, die meiſte Zeit aber vertrieb ich mit Buͤcher le- ſen oder mit Grillen uͤber meine Fatalitaͤten, hierbey preſſete mir das Angedencken uͤber meine zuruͤck ge- laſſenen lieben Kinder zum oͤfftern viele 1000. Thraͤ- nen aus. Eines Tages kam ein junger Kauffmann, der ein ge-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/28>, abgerufen am 21.11.2024.