Wir sahen einander diesen Abend ferner und weiter nicht an, als über die Achseln, und folgen- den Morgens begab ich mich abgeredter Maassen hinunter in die eine Sommer-Läube, in völliger Kleidung mit Stock und Degen, traf auch mei- nen Bruder und zwar ebenfalls in Stock und De- gen darinnen an. Zuerst hielt ich ihm eine gantz sanfftmüthige Gesetz-Predigt, nachhero aber wur- de unser Wortwechsel etwas hitziger und hefftiger, und zwar dergestalt, daß meinem Bruder die Galle auf einmahl überlief, weil ich ihm, seiner Mey- nung nach, etwas gar zu empfindliche Stichel-Re- den gegeben haben solte; und eben dieserwegen sprang er zur Lauber-Hütte hinaus, entblössete seinen Degen, und brachte mir, der ich ihm eben- falls mit entblösseten Degen entgegen gieng, einen Affections-Stich durch den rechten Arm über dem Ellbogen bey, welcher jedoch nicht viel zu bedeuten hatte; Er aber, mein Bruder, so bald er mein Blut lauffen sahe, fassete seinen Degen bey der Spitze, und praesentirte mir diesen seinen Degen mit den Worten: Hier, mein allerliebster Bru- der! entlediget euch mit diesem meinen eigenem Seiten-Gewehr eines unartigen Menschen, der nicht würdig ist, euer Bruder genennet zu werden. Allein ich nahm den Degen von ihm, und warf den- selben in die Erde, meinen Bruder aber umarmete ich mit Thränen unter diesen Worten: Nein, mein Bruder! GOtt lasse ferne von uns seyn, daß einer von uns ein Cain werde. Wir hielten also unter Vergiessung heisser Thränen einander eine lange Zeit umarmet, biß wir endlich befürchteten, daß je-
mand
(l) 3
Wir ſahen einander dieſen Abend ferner und weiter nicht an, als uͤber die Achſeln, und folgen- den Morgens begab ich mich abgeredter Maaſſen hinunter in die eine Sommer-Laͤube, in voͤlliger Kleidung mit Stock und Degen, traf auch mei- nen Bruder und zwar ebenfalls in Stock und De- gen darinnen an. Zuerſt hielt ich ihm eine gantz ſanfftmuͤthige Geſetz-Predigt, nachhero aber wur- de unſer Wortwechſel etwas hitziger und hefftiger, und zwar dergeſtalt, daß meinem Bruder die Galle auf einmahl uͤberlief, weil ich ihm, ſeiner Mey- nung nach, etwas gar zu empfindliche Stichel-Re- den gegeben haben ſolte; und eben dieſerwegen ſprang er zur Lauber-Huͤtte hinaus, entbloͤſſete ſeinen Degen, und brachte mir, der ich ihm eben- falls mit entbloͤſſeten Degen entgegen gieng, einen Affections-Stich durch den rechten Arm uͤber dem Ellbogen bey, welcher jedoch nicht viel zu bedeuten hatte; Er aber, mein Bruder, ſo bald er mein Blut lauffen ſahe, faſſete ſeinen Degen bey der Spitze, und præſentirte mir dieſen ſeinen Degen mit den Worten: Hier, mein allerliebſter Bru- der! entlediget euch mit dieſem meinen eigenem Seiten-Gewehr eines unartigen Menſchen, der nicht wuͤrdig iſt, euer Bruder genennet zu werden. Allein ich nahm den Degen von ihm, und warf den- ſelben in die Erde, meinen Bruder aber umarmete ich mit Thraͤnen unter dieſen Worten: Nein, mein Bruder! GOtt laſſe ferne von uns ſeyn, daß einer von uns ein Cain werde. Wir hielten alſo unter Vergieſſung heiſſer Thraͤnen einander eine lange Zeit umarmet, biß wir endlich befuͤrchteten, daß je-
mand
(l) 3
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0175"n="165"/><p>Wir ſahen einander dieſen Abend ferner und<lb/>
weiter nicht an, als uͤber die Achſeln, und folgen-<lb/>
den Morgens begab ich mich abgeredter Maaſſen<lb/>
hinunter in die eine Sommer-Laͤube, in voͤlliger<lb/>
Kleidung mit Stock und Degen, traf auch mei-<lb/>
nen Bruder und zwar ebenfalls in Stock und De-<lb/>
gen darinnen an. Zuerſt hielt ich ihm eine gantz<lb/>ſanfftmuͤthige Geſetz-Predigt, nachhero aber wur-<lb/>
de unſer Wortwechſel etwas hitziger und hefftiger,<lb/>
und zwar dergeſtalt, daß meinem Bruder die<lb/>
Galle auf einmahl uͤberlief, weil ich ihm, ſeiner Mey-<lb/>
nung nach, etwas gar zu empfindliche Stichel-Re-<lb/>
den gegeben haben ſolte; und eben dieſerwegen<lb/>ſprang er zur Lauber-Huͤtte hinaus, entbloͤſſete<lb/>ſeinen Degen, und brachte mir, der ich ihm eben-<lb/>
falls mit entbloͤſſeten Degen entgegen gieng, einen<lb/><hirendition="#aq">Affectio</hi>ns-Stich durch den rechten Arm uͤber dem<lb/>
Ellbogen bey, welcher jedoch nicht viel zu bedeuten<lb/>
hatte; Er aber, mein Bruder, ſo bald er mein<lb/>
Blut lauffen ſahe, faſſete ſeinen Degen bey der<lb/>
Spitze, und <hirendition="#aq">præſentir</hi>te mir dieſen ſeinen Degen<lb/>
mit den Worten: Hier, mein allerliebſter Bru-<lb/>
der! entlediget euch mit dieſem meinen eigenem<lb/>
Seiten-Gewehr eines unartigen Menſchen, der<lb/>
nicht wuͤrdig iſt, euer Bruder genennet zu werden.<lb/>
Allein ich nahm den Degen von ihm, und warf den-<lb/>ſelben in die Erde, meinen Bruder aber umarmete<lb/>
ich mit Thraͤnen unter dieſen Worten: Nein, mein<lb/>
Bruder! GOtt laſſe ferne von uns ſeyn, daß einer<lb/>
von uns ein <hirendition="#aq">Cain</hi> werde. Wir hielten alſo unter<lb/>
Vergieſſung heiſſer Thraͤnen einander eine lange<lb/>
Zeit umarmet, biß wir endlich befuͤrchteten, daß je-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">(l) 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">mand</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[165/0175]
Wir ſahen einander dieſen Abend ferner und
weiter nicht an, als uͤber die Achſeln, und folgen-
den Morgens begab ich mich abgeredter Maaſſen
hinunter in die eine Sommer-Laͤube, in voͤlliger
Kleidung mit Stock und Degen, traf auch mei-
nen Bruder und zwar ebenfalls in Stock und De-
gen darinnen an. Zuerſt hielt ich ihm eine gantz
ſanfftmuͤthige Geſetz-Predigt, nachhero aber wur-
de unſer Wortwechſel etwas hitziger und hefftiger,
und zwar dergeſtalt, daß meinem Bruder die
Galle auf einmahl uͤberlief, weil ich ihm, ſeiner Mey-
nung nach, etwas gar zu empfindliche Stichel-Re-
den gegeben haben ſolte; und eben dieſerwegen
ſprang er zur Lauber-Huͤtte hinaus, entbloͤſſete
ſeinen Degen, und brachte mir, der ich ihm eben-
falls mit entbloͤſſeten Degen entgegen gieng, einen
Affections-Stich durch den rechten Arm uͤber dem
Ellbogen bey, welcher jedoch nicht viel zu bedeuten
hatte; Er aber, mein Bruder, ſo bald er mein
Blut lauffen ſahe, faſſete ſeinen Degen bey der
Spitze, und præſentirte mir dieſen ſeinen Degen
mit den Worten: Hier, mein allerliebſter Bru-
der! entlediget euch mit dieſem meinen eigenem
Seiten-Gewehr eines unartigen Menſchen, der
nicht wuͤrdig iſt, euer Bruder genennet zu werden.
Allein ich nahm den Degen von ihm, und warf den-
ſelben in die Erde, meinen Bruder aber umarmete
ich mit Thraͤnen unter dieſen Worten: Nein, mein
Bruder! GOtt laſſe ferne von uns ſeyn, daß einer
von uns ein Cain werde. Wir hielten alſo unter
Vergieſſung heiſſer Thraͤnen einander eine lange
Zeit umarmet, biß wir endlich befuͤrchteten, daß je-
mand
(l) 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/175>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.