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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743.

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so riß sie den Hahn uhrplötzlich in viele Stücken,
ließ aber dieselben auf dem freyen Platze liegen,
und leckte nicht einmahl einen Tropffen Blut da-
von auf, geschweige denn, daß sie einen Bissen
seines Fleisches verschlungen hätte. Dem alten Lö-
wen hingegen mochte diese Mordthat mißfallen,
weßwegen er seine Gemahlin mit dem Pfoten der-
gestalt abstraffte, daß alle Zuschauer darüber zum
hertzlichen Lachen bewogen wurden. Man muste sich
aber über das demüthige Bezeugen der Löwin so
wohl, als über das behutsame Verfahren des al-
ten Löwen, welches er im Zuschlagen brauchte, gantz
ungemein verwundern.

Hierauf bemerckten wir, daß die Löwin be-
ständig seitwärts gieng, und ihrem Gemahl im-
merzu scheele Minen machte; nicht, wie sonst ge-
wöhnlich, an seiner Seite speisete, auch nicht ein-
mahl aus einer Quelle mit ihm tranck, sondern sich
immer eine besondere Quelle suchte.

Dieses unter den beyden Löwen entstandene
Mißvergnügen währete viele Tage; Jedoch die
Printzeßin Christiana war so behertzt, daß sie die
beyden Löwen in ihrer Wohnung und Revier be-
suchte. Wie nun bey derselben kein Wiederrathen
verfangen wolte, (um sich diesen grimmigen und
reissenden Thieren nicht entgegen zu stellen) so stun-
den vielen unter uns die Haare zu Berge, da wir
dieselbe in den Vorhoff des Löwen-Hauses eintre-
ten sahen; Allein der alte Löwe kam ihr sogleich
entgegen gelauffen, warff sich zu ihren Füssen,
küssete ihr die Hände, weltzerte sich aus Freuden
zu vielen mahlen auf dem Platze herum, ja! er

war

ſo riß ſie den Hahn uhrploͤtzlich in viele Stuͤcken,
ließ aber dieſelben auf dem freyen Platze liegen,
und leckte nicht einmahl einen Tropffen Blut da-
von auf, geſchweige denn, daß ſie einen Biſſen
ſeines Fleiſches verſchlungen haͤtte. Dem alten Loͤ-
wen hingegen mochte dieſe Mordthat mißfallen,
weßwegen er ſeine Gemahlin mit dem Pfoten der-
geſtalt abſtraffte, daß alle Zuſchauer daruͤber zum
hertzlichen Lachen bewogen wurden. Man muſte ſich
aber uͤber das demuͤthige Bezeugen der Loͤwin ſo
wohl, als uͤber das behutſame Verfahren des al-
ten Loͤwen, welches er im Zuſchlagen brauchte, gantz
ungemein verwundern.

Hierauf bemerckten wir, daß die Loͤwin be-
ſtaͤndig ſeitwaͤrts gieng, und ihrem Gemahl im-
merzu ſcheele Minen machte; nicht, wie ſonſt ge-
woͤhnlich, an ſeiner Seite ſpeiſete, auch nicht ein-
mahl aus einer Quelle mit ihm tranck, ſondern ſich
immer eine beſondere Quelle ſuchte.

Dieſes unter den beyden Loͤwen entſtandene
Mißvergnuͤgen waͤhrete viele Tage; Jedoch die
Printzeßin Chriſtiana war ſo behertzt, daß ſie die
beyden Loͤwen in ihrer Wohnung und Revier be-
ſuchte. Wie nun bey derſelben kein Wiederrathen
verfangen wolte, (um ſich dieſen grimmigen und
reiſſenden Thieren nicht entgegen zu ſtellen) ſo ſtun-
den vielen unter uns die Haare zu Berge, da wir
dieſelbe in den Vorhoff des Loͤwen-Hauſes eintre-
ten ſahen; Allein der alte Loͤwe kam ihr ſogleich
entgegen gelauffen, warff ſich zu ihren Fuͤſſen,
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zu vielen mahlen auf dem Platze herum, ja! er

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[539/0549] ſo riß ſie den Hahn uhrploͤtzlich in viele Stuͤcken, ließ aber dieſelben auf dem freyen Platze liegen, und leckte nicht einmahl einen Tropffen Blut da- von auf, geſchweige denn, daß ſie einen Biſſen ſeines Fleiſches verſchlungen haͤtte. Dem alten Loͤ- wen hingegen mochte dieſe Mordthat mißfallen, weßwegen er ſeine Gemahlin mit dem Pfoten der- geſtalt abſtraffte, daß alle Zuſchauer daruͤber zum hertzlichen Lachen bewogen wurden. Man muſte ſich aber uͤber das demuͤthige Bezeugen der Loͤwin ſo wohl, als uͤber das behutſame Verfahren des al- ten Loͤwen, welches er im Zuſchlagen brauchte, gantz ungemein verwundern. Hierauf bemerckten wir, daß die Loͤwin be- ſtaͤndig ſeitwaͤrts gieng, und ihrem Gemahl im- merzu ſcheele Minen machte; nicht, wie ſonſt ge- woͤhnlich, an ſeiner Seite ſpeiſete, auch nicht ein- mahl aus einer Quelle mit ihm tranck, ſondern ſich immer eine beſondere Quelle ſuchte. Dieſes unter den beyden Loͤwen entſtandene Mißvergnuͤgen waͤhrete viele Tage; Jedoch die Printzeßin Chriſtiana war ſo behertzt, daß ſie die beyden Loͤwen in ihrer Wohnung und Revier be- ſuchte. Wie nun bey derſelben kein Wiederrathen verfangen wolte, (um ſich dieſen grimmigen und reiſſenden Thieren nicht entgegen zu ſtellen) ſo ſtun- den vielen unter uns die Haare zu Berge, da wir dieſelbe in den Vorhoff des Loͤwen-Hauſes eintre- ten ſahen; Allein der alte Loͤwe kam ihr ſogleich entgegen gelauffen, warff ſich zu ihren Fuͤſſen, kuͤſſete ihr die Haͤnde, weltzerte ſich aus Freuden zu vielen mahlen auf dem Platze herum, ja! er war

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/549>, abgerufen am 21.11.2024.