sche einen Canal der Sinnlichkeit. Der Mann Bodmer, aus Zürich, von Religion ein Mes- sianer, und von Handwerk ein Hexameter- schmied, grub ihn. Allein kein Wunder! hat er doch gar die Sündfluth beherrschet, deutsch: besungen.
Wenn sie künftighin auf den größern Schau- platz der Welten Treten, mit Fleisch bekleidet, so sollen sie nicht nur empfinden, Sondern zum Denken hinauf sich schwingen, und alles durchforschen, Was der neue Canal der Sinnlichkeit ihnen zuführet. Noah, 346 S.
Wenn mein Schulmeister mir die deutschen Mit- telwörter verhaßt machen wollte, denen ich, als ein Knabe, (wegen ihrer Bequemlichkeit,) schon sehr gewogen war: so nennete er sie Zwitter, de- ren Geschlecht man nicht erkennen könnte; die La- teinischen hingegen trügen das Zeichen allezeit, wie ein Haushahn, hinten. Der liebe seelige Mann! Er wußte nicht, daß eben in der Zweydeutigkeit Witz stäcke. Der Leser lese den Vers noch einmal; er siehet den Sinn; er greift darnach, wie nach einer Fledermaus; er haschet sie und bewundert die Zweydeutigkeit:
Haec decies repetita placebit. Horat.
Dieses allerliebste Schicksal hat das Mittelwort mit Fleisch bekleidet. Der größere Schau- platz der Welten kann nämlich mit Fleisch be-
kleidet
F 3
Ca
ſche einen Canal der Sinnlichkeit. Der Mann Bodmer, aus Zuͤrich, von Religion ein Meſ- ſianer, und von Handwerk ein Hexameter- ſchmied, grub ihn. Allein kein Wunder! hat er doch gar die Suͤndfluth beherrſchet, deutſch: beſungen.
Wenn ſie kuͤnftighin auf den groͤßern Schau- platz der Welten Treten, mit Fleiſch bekleidet, ſo ſollen ſie nicht nur empfinden, Sondern zum Denken hinauf ſich ſchwingen, und alles durchforſchen, Was der neue Canal der Sinnlichkeit ihnen zufuͤhret. Noah, 346 S.
Wenn mein Schulmeiſter mir die deutſchen Mit- telwoͤrter verhaßt machen wollte, denen ich, als ein Knabe, (wegen ihrer Bequemlichkeit,) ſchon ſehr gewogen war: ſo nennete er ſie Zwitter, de- ren Geſchlecht man nicht erkennen koͤnnte; die La- teiniſchen hingegen truͤgen das Zeichen allezeit, wie ein Haushahn, hinten. Der liebe ſeelige Mann! Er wußte nicht, daß eben in der Zweydeutigkeit Witz ſtaͤcke. Der Leſer leſe den Vers noch einmal; er ſiehet den Sinn; er greift darnach, wie nach einer Fledermaus; er haſchet ſie und bewundert die Zweydeutigkeit:
Hæc decies repetita placebit. Horat.
Dieſes allerliebſte Schickſal hat das Mittelwort mit Fleiſch bekleidet. Der groͤßere Schau- platz der Welten kann naͤmlich mit Fleiſch be-
kleidet
F 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0111"n="58[85]"/><fwplace="top"type="header">Ca</fw><lb/><hirendition="#fr">ſche</hi> einen <hirendition="#fr">Canal der Sinnlichkeit.</hi> Der <hirendition="#fr">Mann<lb/>
Bodmer,</hi> aus <hirendition="#fr">Zuͤrich,</hi> von Religion ein <hirendition="#fr">Meſ-<lb/>ſianer,</hi> und von Handwerk ein <hirendition="#fr">Hexameter-<lb/>ſchmied,</hi> grub ihn. Allein kein Wunder! hat<lb/>
er doch gar die Suͤndfluth <hirendition="#fr">beherrſchet, deutſch:<lb/>
beſungen.</hi></p><lb/><cit><quote>Wenn ſie kuͤnftighin auf den groͤßern Schau-<lb/><hirendition="#et">platz der Welten</hi><lb/>
Treten, mit Fleiſch <hirendition="#fr">bekleidet,</hi>ſo ſollen ſie nicht<lb/><hirendition="#et">nur empfinden,</hi><lb/>
Sondern zum Denken hinauf ſich ſchwingen, und<lb/><hirendition="#et">alles durchforſchen,</hi><lb/>
Was der <hirendition="#fr">neue Canal der Sinnlichkeit</hi> ihnen<lb/><hirendition="#et">zufuͤhret. <hirendition="#fr">Noah, 346 S.</hi></hi></quote><bibl/></cit><lb/><p>Wenn mein Schulmeiſter mir die <hirendition="#fr">deutſchen Mit-<lb/>
telwoͤrter</hi> verhaßt machen wollte, denen ich, als<lb/>
ein Knabe, (wegen ihrer Bequemlichkeit,) ſchon<lb/>ſehr gewogen war: ſo nennete er ſie <hirendition="#fr">Zwitter,</hi> de-<lb/>
ren Geſchlecht man nicht erkennen koͤnnte; die La-<lb/>
teiniſchen hingegen truͤgen das Zeichen allezeit, wie<lb/>
ein Haushahn, hinten. Der liebe ſeelige Mann!<lb/>
Er wußte nicht, daß eben in der Zweydeutigkeit Witz<lb/>ſtaͤcke. Der Leſer leſe den Vers noch einmal; er<lb/>ſiehet den Sinn; er greift darnach, wie nach einer<lb/>
Fledermaus; er haſchet ſie und bewundert die<lb/>
Zweydeutigkeit:</p><lb/><cit><quote><hirendition="#aq">Hæc decies repetita placebit. <hirendition="#et"><hirendition="#i">Horat.</hi></hi></hi></quote><bibl/></cit><lb/><p>Dieſes allerliebſte Schickſal hat das <hirendition="#fr">Mittelwort<lb/>
mit Fleiſch bekleidet.</hi> Der <hirendition="#fr">groͤßere Schau-<lb/>
platz der Welten</hi> kann naͤmlich <hirendition="#fr">mit Fleiſch be-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 3</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">kleidet</hi></fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[58[85]/0111]
Ca
ſche einen Canal der Sinnlichkeit. Der Mann
Bodmer, aus Zuͤrich, von Religion ein Meſ-
ſianer, und von Handwerk ein Hexameter-
ſchmied, grub ihn. Allein kein Wunder! hat
er doch gar die Suͤndfluth beherrſchet, deutſch:
beſungen.
Wenn ſie kuͤnftighin auf den groͤßern Schau-
platz der Welten
Treten, mit Fleiſch bekleidet, ſo ſollen ſie nicht
nur empfinden,
Sondern zum Denken hinauf ſich ſchwingen, und
alles durchforſchen,
Was der neue Canal der Sinnlichkeit ihnen
zufuͤhret. Noah, 346 S.
Wenn mein Schulmeiſter mir die deutſchen Mit-
telwoͤrter verhaßt machen wollte, denen ich, als
ein Knabe, (wegen ihrer Bequemlichkeit,) ſchon
ſehr gewogen war: ſo nennete er ſie Zwitter, de-
ren Geſchlecht man nicht erkennen koͤnnte; die La-
teiniſchen hingegen truͤgen das Zeichen allezeit, wie
ein Haushahn, hinten. Der liebe ſeelige Mann!
Er wußte nicht, daß eben in der Zweydeutigkeit Witz
ſtaͤcke. Der Leſer leſe den Vers noch einmal; er
ſiehet den Sinn; er greift darnach, wie nach einer
Fledermaus; er haſchet ſie und bewundert die
Zweydeutigkeit:
Hæc decies repetita placebit. Horat.
Dieſes allerliebſte Schickſal hat das Mittelwort
mit Fleiſch bekleidet. Der groͤßere Schau-
platz der Welten kann naͤmlich mit Fleiſch be-
kleidet
F 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 58[85]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/111>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.