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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

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En
fesseln; denn unsterbliche Dichter können auch die
fesseln, oder in Ketten legen. So Bodmer!

An der Morgenseite der Stadt, wo der heitere
Pison
Aus dem marmornen Bette hervor die entfes-
selte Wellen

Wieder verbreitet. Noah, 20 S.

Man siehet es, ohne uns, wie der große Mann
dem Pison ein Bett, obgleich ein etwas hartes,
giebt; und dann die daran gefesselte Wellen ent-
fesselt.
Wir geben daher einem unbekannten Lie-
dermacher zu überlegen, ob er nicht den großen
Mann seiner Federn beraubet, wenn er saget:
Soll ich der Großen Prunk beneiden,
Wenn Thoren sich in Seide kleiden?
Nein! Nein!
Sie büssen auf den Schwanenbetten
Gar oft in selbst geschmiedten Ketten:
Jch will entfesselt seyn.

Denn nach seiner beliebten Genauigkeit sollte es ent-
kettet
heissen. Da uns nun dieses gleich an eine
Flohkette erinnert: so sehen wir nicht ab, warum
er nicht auch sagen können:
Jch will die Ketten scheun?

Da siehet mans, daß man auch oft in Koth tritt,
wenn man ihn gleich vermeiden will.

Weiter! Das Wort entschliessen ist gewöhn-
lich; allein feurige Dichter wissen auch gewöhnli-
chen Worten ungewöhnliche Fügungen zu geben;
d. i. einen Edelmann auf einen Bauer zu setzen.
So kann man denn sagen, wenn einem die Blähun-

gen

En
feſſeln; denn unſterbliche Dichter koͤnnen auch die
feſſeln, oder in Ketten legen. So Bodmer!

An der Morgenſeite der Stadt, wo der heitere
Piſon
Aus dem marmornen Bette hervor die entfeſ-
ſelte Wellen

Wieder verbreitet. Noah, 20 S.

Man ſiehet es, ohne uns, wie der große Mann
dem Piſon ein Bett, obgleich ein etwas hartes,
giebt; und dann die daran gefeſſelte Wellen ent-
feſſelt.
Wir geben daher einem unbekannten Lie-
dermacher zu uͤberlegen, ob er nicht den großen
Mann ſeiner Federn beraubet, wenn er ſaget:
Soll ich der Großen Prunk beneiden,
Wenn Thoren ſich in Seide kleiden?
Nein! Nein!
Sie buͤſſen auf den Schwanenbetten
Gar oft in ſelbſt geſchmiedten Ketten:
Jch will entfeſſelt ſeyn.

Denn nach ſeiner beliebten Genauigkeit ſollte es ent-
kettet
heiſſen. Da uns nun dieſes gleich an eine
Flohkette erinnert: ſo ſehen wir nicht ab, warum
er nicht auch ſagen koͤnnen:
Jch will die Ketten ſcheun?

Da ſiehet mans, daß man auch oft in Koth tritt,
wenn man ihn gleich vermeiden will.

Weiter! Das Wort entſchlieſſen iſt gewoͤhn-
lich; allein feurige Dichter wiſſen auch gewoͤhnli-
chen Worten ungewoͤhnliche Fuͤgungen zu geben;
d. i. einen Edelmann auf einen Bauer zu ſetzen.
So kann man denn ſagen, wenn einem die Blaͤhun-

gen
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[118/0144] En feſſeln; denn unſterbliche Dichter koͤnnen auch die feſſeln, oder in Ketten legen. So Bodmer! An der Morgenſeite der Stadt, wo der heitere Piſon Aus dem marmornen Bette hervor die entfeſ- ſelte Wellen Wieder verbreitet. Noah, 20 S. Man ſiehet es, ohne uns, wie der große Mann dem Piſon ein Bett, obgleich ein etwas hartes, giebt; und dann die daran gefeſſelte Wellen ent- feſſelt. Wir geben daher einem unbekannten Lie- dermacher zu uͤberlegen, ob er nicht den großen Mann ſeiner Federn beraubet, wenn er ſaget: Soll ich der Großen Prunk beneiden, Wenn Thoren ſich in Seide kleiden? Nein! Nein! Sie buͤſſen auf den Schwanenbetten Gar oft in ſelbſt geſchmiedten Ketten: Jch will entfeſſelt ſeyn. Denn nach ſeiner beliebten Genauigkeit ſollte es ent- kettet heiſſen. Da uns nun dieſes gleich an eine Flohkette erinnert: ſo ſehen wir nicht ab, warum er nicht auch ſagen koͤnnen: Jch will die Ketten ſcheun? Da ſiehet mans, daß man auch oft in Koth tritt, wenn man ihn gleich vermeiden will. Weiter! Das Wort entſchlieſſen iſt gewoͤhn- lich; allein feurige Dichter wiſſen auch gewoͤhnli- chen Worten ungewoͤhnliche Fuͤgungen zu geben; d. i. einen Edelmann auf einen Bauer zu ſetzen. So kann man denn ſagen, wenn einem die Blaͤhun- gen

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Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/144>, abgerufen am 23.11.2024.