wenn man schlafen will; zu jähnen, wenn man geschlafen hat; zu jähnen, wenn der Leib voll süßes Weins ist, und bey mehreren Gelegenheiten, z. E. wenn man Hexameter liest. Wann jähnet aber ein Meerbusen? Dann, wenn ihn ein Schweizer bemalet!
"Oben erbebten die Giebel des Bergs mit nei- gendem Nicken "Neunmal; im zehnten entstürzten sie in den jähnenden Golfo. Noah, 292 S.
Wäre mein Maul ein Golfo gewesen: vor La- chen hätte ich es eben so weit aufgesperret. Malet Rath Bodmer nicht richtig? Siehet man nicht recht die Giebel sich neigen, nicken, so wie man nicket, wann man zu schlafen anfängt, neunmal nicken; und dann im zehnten, d. i. Male, ent- stürzen? Wir nennen diese Figur die Hochzeit; denn eine Schaukel vermählet sich hier mit einer Catachresis. Jenes ist eine Figur, durch wel- che man die sich zuwider seyende und entgegen ge- setzte Dinge mit solcher Geschicklichkeit in einem Gleichgewichte hält, daß der Leser nicht weis, nach welcher Seite er sich wenden soll; welches ihm denn ein unaussprechliches Vergnügen verursachet. Dieses aber ist eine Figur, durch die man gerade das saget, was man nicht denken sollte. Man könnte sie auch das Unmögliche nennen; denn, wie ist es doch möglich, daß ein Golfo jähnen könne? Jm Antilongin, 84 S. finden wir auch jähnende Wolken; welche denn Rath Bod- mers jähnenden Golfo vollkommen rechtferti-
gen.
Ja
wenn man ſchlafen will; zu jaͤhnen, wenn man geſchlafen hat; zu jaͤhnen, wenn der Leib voll ſuͤßes Weins iſt, und bey mehreren Gelegenheiten, z. E. wenn man Hexameter lieſt. Wann jaͤhnet aber ein Meerbuſen? Dann, wenn ihn ein Schweizer bemalet!
“Oben erbebten die Giebel des Bergs mit nei- gendem Nicken “Neunmal; im zehnten entſtuͤrzten ſie in den jaͤhnenden Golfo. Noah, 292 S.
Waͤre mein Maul ein Golfo geweſen: vor La- chen haͤtte ich es eben ſo weit aufgeſperret. Malet Rath Bodmer nicht richtig? Siehet man nicht recht die Giebel ſich neigen, nicken, ſo wie man nicket, wann man zu ſchlafen anfaͤngt, neunmal nicken; und dann im zehnten, d. i. Male, ent- ſtuͤrzen? Wir nennen dieſe Figur die Hochzeit; denn eine Schaukel vermaͤhlet ſich hier mit einer Catachreſis. Jenes iſt eine Figur, durch wel- che man die ſich zuwider ſeyende und entgegen ge- ſetzte Dinge mit ſolcher Geſchicklichkeit in einem Gleichgewichte haͤlt, daß der Leſer nicht weis, nach welcher Seite er ſich wenden ſoll; welches ihm denn ein unausſprechliches Vergnuͤgen verurſachet. Dieſes aber iſt eine Figur, durch die man gerade das ſaget, was man nicht denken ſollte. Man koͤnnte ſie auch das Unmoͤgliche nennen; denn, wie iſt es doch moͤglich, daß ein Golfo jaͤhnen koͤnne? Jm Antilongin, 84 S. finden wir auch jaͤhnende Wolken; welche denn Rath Bod- mers jaͤhnenden Golfo vollkommen rechtferti-
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Ja
wenn man ſchlafen will; zu jaͤhnen, wenn man
geſchlafen hat; zu jaͤhnen, wenn der Leib voll
ſuͤßes Weins iſt, und bey mehreren Gelegenheiten,
z. E. wenn man Hexameter lieſt. Wann jaͤhnet
aber ein Meerbuſen? Dann, wenn ihn ein
Schweizer bemalet!
“Oben erbebten die Giebel des Bergs mit nei-
gendem Nicken
“Neunmal; im zehnten entſtuͤrzten ſie in den
jaͤhnenden Golfo. Noah, 292 S.
Waͤre mein Maul ein Golfo geweſen: vor La-
chen haͤtte ich es eben ſo weit aufgeſperret. Malet
Rath Bodmer nicht richtig? Siehet man nicht
recht die Giebel ſich neigen, nicken, ſo wie man
nicket, wann man zu ſchlafen anfaͤngt, neunmal
nicken; und dann im zehnten, d. i. Male, ent-
ſtuͤrzen? Wir nennen dieſe Figur die Hochzeit;
denn eine Schaukel vermaͤhlet ſich hier mit einer
Catachreſis. Jenes iſt eine Figur, durch wel-
che man die ſich zuwider ſeyende und entgegen ge-
ſetzte Dinge mit ſolcher Geſchicklichkeit in einem
Gleichgewichte haͤlt, daß der Leſer nicht weis, nach
welcher Seite er ſich wenden ſoll; welches ihm
denn ein unausſprechliches Vergnuͤgen verurſachet.
Dieſes aber iſt eine Figur, durch die man gerade
das ſaget, was man nicht denken ſollte. Man
koͤnnte ſie auch das Unmoͤgliche nennen; denn,
wie iſt es doch moͤglich, daß ein Golfo jaͤhnen
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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/258>, abgerufen am 23.11.2024.
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