Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

La
dachten über die Höhle des Trophonius so
stark, daß wir, trotz den reizenden Stimmen der
Nachtigallen, und dem Hauch der Zephire, ein-
schlummerten. Da wir nun vorher nichts, als
angenehme Vorstellungen, gehabt hatten: so war
auch unser Schlaf angenehm. Wir befanden uns
in eine schöne Gegend versetzet. Hier erklangen
Haberröhre; dort sprang ein muntrer Haufen
Schäfer und Schäferinnen; hier schnarreten
Harfen und Saytenspiele; dort schmetterten helle
Trompeten, deren Silbertöne so oft wiederschalle-
ten, daß wir uns vergaßen, und uns einbildeten,
wir wären in den Elisäischen Feldern, die man
nur einmal betritt. Es war eben ein Fest, wel-
ches der Dichtkunst und Wahrheit geheiliget
war. Was aber das Sonderbarste zu seyn schien:
so war die Höhle des Trophonius der Tempel,
wo die Einwohner dieser Gegend ihrer Gelübde ent-
lediget wurden; und so, wie wir an den kecken und
zuversichtlichen Gebehrden vermerketen: so bestand
das ganze Volk aus Dichtern und Dichterinnen;
es war eine antiplatonische Republik. Jeder,
der auf der Erde eine Gottheit verehret hatte, fand
sie auch hier; er ward gleich zu den Füßen derselben
gebracht, ihr für den gütigen Einfluß zu danken,
den sie ihm geschenket. Jn der Höhle erkannte
man, was man sich und der Gottheit schuldig war;
ja mancher theilete seine Lorbeern vergnügt mit de-
nen, welchen er sie in seinem Leben geraubet hatte;
das Geständniß davon war die Buße, die eine Art
von Ehrenbezeugung war, wodurch man die Größe

seiner

La
dachten uͤber die Hoͤhle des Trophonius ſo
ſtark, daß wir, trotz den reizenden Stimmen der
Nachtigallen, und dem Hauch der Zephire, ein-
ſchlummerten. Da wir nun vorher nichts, als
angenehme Vorſtellungen, gehabt hatten: ſo war
auch unſer Schlaf angenehm. Wir befanden uns
in eine ſchoͤne Gegend verſetzet. Hier erklangen
Haberroͤhre; dort ſprang ein muntrer Haufen
Schaͤfer und Schaͤferinnen; hier ſchnarreten
Harfen und Saytenſpiele; dort ſchmetterten helle
Trompeten, deren Silbertoͤne ſo oft wiederſchalle-
ten, daß wir uns vergaßen, und uns einbildeten,
wir waͤren in den Eliſaͤiſchen Feldern, die man
nur einmal betritt. Es war eben ein Feſt, wel-
ches der Dichtkunſt und Wahrheit geheiliget
war. Was aber das Sonderbarſte zu ſeyn ſchien:
ſo war die Hoͤhle des Trophonius der Tempel,
wo die Einwohner dieſer Gegend ihrer Geluͤbde ent-
lediget wurden; und ſo, wie wir an den kecken und
zuverſichtlichen Gebehrden vermerketen: ſo beſtand
das ganze Volk aus Dichtern und Dichterinnen;
es war eine antiplatoniſche Republik. Jeder,
der auf der Erde eine Gottheit verehret hatte, fand
ſie auch hier; er ward gleich zu den Fuͤßen derſelben
gebracht, ihr fuͤr den guͤtigen Einfluß zu danken,
den ſie ihm geſchenket. Jn der Hoͤhle erkannte
man, was man ſich und der Gottheit ſchuldig war;
ja mancher theilete ſeine Lorbeern vergnuͤgt mit de-
nen, welchen er ſie in ſeinem Leben geraubet hatte;
das Geſtaͤndniß davon war die Buße, die eine Art
von Ehrenbezeugung war, wodurch man die Groͤße

ſeiner
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0306" n="280"/><fw place="top" type="header">La</fw><lb/>
dachten u&#x0364;ber die <hi rendition="#fr">Ho&#x0364;hle des Trophonius</hi> &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tark, daß wir, trotz den reizenden Stimmen der<lb/>
Nachtigallen, und dem Hauch der Zephire, ein-<lb/>
&#x017F;chlummerten. Da wir nun vorher nichts, als<lb/>
angenehme Vor&#x017F;tellungen, gehabt hatten: &#x017F;o war<lb/>
auch un&#x017F;er Schlaf angenehm. Wir befanden uns<lb/>
in eine &#x017F;cho&#x0364;ne Gegend ver&#x017F;etzet. Hier erklangen<lb/>
Haberro&#x0364;hre; dort &#x017F;prang ein muntrer Haufen<lb/>
Scha&#x0364;fer und Scha&#x0364;ferinnen; hier &#x017F;chnarreten<lb/>
Harfen und Sayten&#x017F;piele; dort &#x017F;chmetterten helle<lb/>
Trompeten, deren Silberto&#x0364;ne &#x017F;o oft wieder&#x017F;challe-<lb/>
ten, daß wir uns vergaßen, und uns einbildeten,<lb/>
wir wa&#x0364;ren in den <hi rendition="#fr">Eli&#x017F;a&#x0364;i&#x017F;chen Feldern,</hi> die man<lb/>
nur einmal betritt. Es war eben ein Fe&#x017F;t, wel-<lb/>
ches der <hi rendition="#fr">Dichtkun&#x017F;t</hi> und <hi rendition="#fr">Wahrheit</hi> geheiliget<lb/>
war. Was aber das Sonderbar&#x017F;te zu &#x017F;eyn &#x017F;chien:<lb/>
&#x017F;o war die <hi rendition="#fr">Ho&#x0364;hle des Trophonius</hi> der Tempel,<lb/>
wo die Einwohner die&#x017F;er Gegend ihrer Gelu&#x0364;bde ent-<lb/>
lediget wurden; und &#x017F;o, wie wir an den kecken und<lb/>
zuver&#x017F;ichtlichen Gebehrden vermerketen: &#x017F;o be&#x017F;tand<lb/>
das ganze Volk aus Dichtern und Dichterinnen;<lb/>
es war eine <hi rendition="#fr">antiplatoni&#x017F;che</hi> Republik. Jeder,<lb/>
der auf der Erde eine Gottheit verehret hatte, fand<lb/>
&#x017F;ie auch hier; er ward gleich zu den Fu&#x0364;ßen der&#x017F;elben<lb/>
gebracht, ihr fu&#x0364;r den <hi rendition="#fr">gu&#x0364;tigen Einfluß</hi> zu danken,<lb/>
den &#x017F;ie ihm ge&#x017F;chenket. Jn der <hi rendition="#fr">Ho&#x0364;hle</hi> erkannte<lb/>
man, was man &#x017F;ich und der Gottheit &#x017F;chuldig war;<lb/>
ja mancher theilete &#x017F;eine Lorbeern vergnu&#x0364;gt mit de-<lb/>
nen, welchen er &#x017F;ie in &#x017F;einem Leben geraubet hatte;<lb/>
das Ge&#x017F;ta&#x0364;ndniß davon war die Buße, die eine Art<lb/>
von Ehrenbezeugung war, wodurch man die Gro&#x0364;ße<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;einer</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0306] La dachten uͤber die Hoͤhle des Trophonius ſo ſtark, daß wir, trotz den reizenden Stimmen der Nachtigallen, und dem Hauch der Zephire, ein- ſchlummerten. Da wir nun vorher nichts, als angenehme Vorſtellungen, gehabt hatten: ſo war auch unſer Schlaf angenehm. Wir befanden uns in eine ſchoͤne Gegend verſetzet. Hier erklangen Haberroͤhre; dort ſprang ein muntrer Haufen Schaͤfer und Schaͤferinnen; hier ſchnarreten Harfen und Saytenſpiele; dort ſchmetterten helle Trompeten, deren Silbertoͤne ſo oft wiederſchalle- ten, daß wir uns vergaßen, und uns einbildeten, wir waͤren in den Eliſaͤiſchen Feldern, die man nur einmal betritt. Es war eben ein Feſt, wel- ches der Dichtkunſt und Wahrheit geheiliget war. Was aber das Sonderbarſte zu ſeyn ſchien: ſo war die Hoͤhle des Trophonius der Tempel, wo die Einwohner dieſer Gegend ihrer Geluͤbde ent- lediget wurden; und ſo, wie wir an den kecken und zuverſichtlichen Gebehrden vermerketen: ſo beſtand das ganze Volk aus Dichtern und Dichterinnen; es war eine antiplatoniſche Republik. Jeder, der auf der Erde eine Gottheit verehret hatte, fand ſie auch hier; er ward gleich zu den Fuͤßen derſelben gebracht, ihr fuͤr den guͤtigen Einfluß zu danken, den ſie ihm geſchenket. Jn der Hoͤhle erkannte man, was man ſich und der Gottheit ſchuldig war; ja mancher theilete ſeine Lorbeern vergnuͤgt mit de- nen, welchen er ſie in ſeinem Leben geraubet hatte; das Geſtaͤndniß davon war die Buße, die eine Art von Ehrenbezeugung war, wodurch man die Groͤße ſeiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/306
Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/306>, abgerufen am 22.11.2024.