bevölkerten Ufern des Rheins hatte die byzantinische Malerschule, in allen ihren Verzweigungen, wie über den ganzen Westen, geherrscht, auch hier ein- heimische Meister, Gesellen und Schüler zu all- gemeinen Kirchenarbeiten gebildet, wie manches aus jener düstern Schule stammende Bild in Köln und der Nachbarschaft noch beweiset. Jene orien- talische Trockenheit erheiterte sich auch in diesen Gegenden nicht vor dem dreizehnten Jahrhundert. Nun aber bricht ein freudiges Naturgefühl auch mit einmal durch, und vielleicht nirgends tritt der Nationalkarackter, die klimatische Einwirkung, so schön in der Kunstgeschichte hervor, als gerade in den Rheingegenden.
Es ist nicht nur gelungne Nachahmung des einzelnen Wirklichen, es ist eine behagliche Augen- lust, die sich im Allgemeinen über die sinnliche Welt aufthut. Äpfelrunde Knaben und Mädchen- gesichter, eyförmiges Männer- und Frauen-Antlitz, wohlhäbige Greise mit fließenden oder gekrausten Bärten, das ganze Geschlecht gut, fromm und heiter durch einen zarten Pinsel karackteristisch genug dar-
bevölkerten Ufern des Rheins hatte die byzantiniſche Malerſchule, in allen ihren Verzweigungen, wie über den ganzen Weſten, geherrſcht, auch hier ein- heimiſche Meiſter, Geſellen und Schüler zu all- gemeinen Kirchenarbeiten gebildet, wie manches aus jener düſtern Schule ſtammende Bild in Köln und der Nachbarſchaft noch beweiſet. Jene orien- taliſche Trockenheit erheiterte ſich auch in dieſen Gegenden nicht vor dem dreizehnten Jahrhundert. Nun aber bricht ein freudiges Naturgefühl auch mit einmal durch, und vielleicht nirgends tritt der Nationalkarackter, die klimatiſche Einwirkung, ſo ſchön in der Kunſtgeſchichte hervor, als gerade in den Rheingegenden.
Es iſt nicht nur gelungne Nachahmung des einzelnen Wirklichen, es iſt eine behagliche Augen- luſt, die ſich im Allgemeinen über die ſinnliche Welt aufthut. Äpfelrunde Knaben und Mädchen- geſichter, eyförmiges Männer- und Frauen-Antlitz, wohlhäbige Greiſe mit fließenden oder gekrauſten Bärten, das ganze Geſchlecht gut, fromm und heiter durch einen zarten Pinſel karackteriſtiſch genug dar-
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bevölkerten Ufern des Rheins hatte die byzantiniſche
Malerſchule, in allen ihren Verzweigungen, wie
über den ganzen Weſten, geherrſcht, auch hier ein-
heimiſche Meiſter, Geſellen und Schüler zu all-
gemeinen Kirchenarbeiten gebildet, wie manches
aus jener düſtern Schule ſtammende Bild in Köln
und der Nachbarſchaft noch beweiſet. Jene orien-
taliſche Trockenheit erheiterte ſich auch in dieſen
Gegenden nicht vor dem dreizehnten Jahrhundert.
Nun aber bricht ein freudiges Naturgefühl auch
mit einmal durch, und vielleicht nirgends tritt der
Nationalkarackter, die klimatiſche Einwirkung, ſo
ſchön in der Kunſtgeſchichte hervor, als gerade in
den Rheingegenden.
Es iſt nicht nur gelungne Nachahmung des
einzelnen Wirklichen, es iſt eine behagliche Augen-
luſt, die ſich im Allgemeinen über die ſinnliche
Welt aufthut. Äpfelrunde Knaben und Mädchen-
geſichter, eyförmiges Männer- und Frauen-Antlitz,
wohlhäbige Greiſe mit fließenden oder gekrauſten
Bärten, das ganze Geſchlecht gut, fromm und heiter
durch einen zarten Pinſel karackteriſtiſch genug dar-
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/23>, abgerufen am 21.11.2024.
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