allen Augen erschlossen, dann vermochte auch die Kapelle, welche es bewahrte, die Menge kaum zu fassen, die vom Morgen bis zur Nacht sich herzu- drängte. Weit und breit waren dann die Wege um Gent mit hinzueilenden Wallfahrern bedeckt; aus ganz Flandern und Brabant zogen Kunstfreunde und Künstler herbei, und umschwärmten das Wunder- bild wie Bienen den Blüthenbaum. Diese laute, allgemeine Bewunderung schwand nicht mit dem Reize der Neuheit. Jahre folgten Jahren in langen Reihen und jedes führte die Tage des hohen Triumphs der Kunst in erneutem Glanz herbei. Lukas de Heere, ein geachteter Künstler und Poet seiner Zeit, weihte hundert Jahre nach Entstehung des hohen Meisterbildes diesem ein eignes Lobge- dicht und erlebte die Ehre solches an einem Pfeiler in der Kapelle, dem Altar gegenüber, ge- heftet zu sehen, wo Alt und Jung an solchen fest- lichen Tagen sich daran erfreuten.
Mancherlei Gefahren drohten diesem Kunst- werke in jener trüben Zeit, als der bilderstürmende Fanatismus Kirchen und Klöster verheerend durch-
allen Augen erſchloſſen, dann vermochte auch die Kapelle, welche es bewahrte, die Menge kaum zu faſſen, die vom Morgen bis zur Nacht ſich herzu- drängte. Weit und breit waren dann die Wege um Gent mit hinzueilenden Wallfahrern bedeckt; aus ganz Flandern und Brabant zogen Kunſtfreunde und Künſtler herbei, und umſchwärmten das Wunder- bild wie Bienen den Blüthenbaum. Dieſe laute, allgemeine Bewunderung ſchwand nicht mit dem Reize der Neuheit. Jahre folgten Jahren in langen Reihen und jedes führte die Tage des hohen Triumphs der Kunſt in erneutem Glanz herbei. Lukas de Heere, ein geachteter Künſtler und Poet ſeiner Zeit, weihte hundert Jahre nach Entſtehung des hohen Meiſterbildes dieſem ein eignes Lobge- dicht und erlebte die Ehre ſolches an einem Pfeiler in der Kapelle, dem Altar gegenüber, ge- heftet zu ſehen, wo Alt und Jung an ſolchen feſt- lichen Tagen ſich daran erfreuten.
Mancherlei Gefahren drohten dieſem Kunſt- werke in jener trüben Zeit, als der bilderſtürmende Fanatismus Kirchen und Klöſter verheerend durch-
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allen Augen erſchloſſen, dann vermochte auch die
Kapelle, welche es bewahrte, die Menge kaum zu
faſſen, die vom Morgen bis zur Nacht ſich herzu-
drängte. Weit und breit waren dann die Wege um
Gent mit hinzueilenden Wallfahrern bedeckt; aus
ganz Flandern und Brabant zogen Kunſtfreunde und
Künſtler herbei, und umſchwärmten das Wunder-
bild wie Bienen den Blüthenbaum. Dieſe laute,
allgemeine Bewunderung ſchwand nicht mit dem
Reize der Neuheit. Jahre folgten Jahren in langen
Reihen und jedes führte die Tage des hohen
Triumphs der Kunſt in erneutem Glanz herbei.
Lukas de Heere, ein geachteter Künſtler und Poet
ſeiner Zeit, weihte hundert Jahre nach Entſtehung
des hohen Meiſterbildes dieſem ein eignes Lobge-
dicht und erlebte die Ehre ſolches an einem
Pfeiler in der Kapelle, dem Altar gegenüber, ge-
heftet zu ſehen, wo Alt und Jung an ſolchen feſt-
lichen Tagen ſich daran erfreuten.
Mancherlei Gefahren drohten dieſem Kunſt-
werke in jener trüben Zeit, als der bilderſtürmende
Fanatismus Kirchen und Klöſter verheerend durch-
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/80>, abgerufen am 21.11.2024.
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