Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Joe Smith, dem seine innere Bewegung nicht
entgangen war, sagte jetzt mit leiser Stimme, als
wolle er den Eindruck nicht schwächen, den der Ge-
sang auf Arnold gemacht hatte:

-- "Kommen Sie jetzt, mein Freund!" und
mit diesen Worten schritt er voran zur Thür, die er
öffnete, um Arnold einzulassen.

Ein junges Mädchen saß bei dem Eintritt der
Beiden noch vor dem schon geschlossenen Flügel. Es
stützte das Haupt auf die schneeweiße, so kleine und
zarte Hand, daß sie einem Kinde anzugehören schien,
und den Ellenbogen wieder auf den Flügel, so daß
es wie in Nachdenken versunken und den Eintritt der
Beiden nicht bemerkt zu haben schien.

-- "Jch führe dir unsern werthen Gast zu,
Marie," nahm Joe Smith das Wort, und wie er-
schrocken sprang die Angeredete auf und stellte sich
in dem vollen Glanze ihrer Schönheit Arnolden ge-
genüber, der, wie von einem Sonnenstrahle plötzlich
getroffen, das geblendete Auge hätte schließen mögen.

Die Gestalt war eher klein, als groß, aber der
Bau der Glieder war so vollkommen und alle Theile
standen in einer solchen Harmonie mit einander, daß
man ein Gebilde aus der Zeit der Phidiasse vor sich
zu sehen glaubte. Dieser Wuchs hielt genau die Mitte
zwischen zu großer Fülle und zu großer Magerkeit und

Joe Smith, dem ſeine innere Bewegung nicht
entgangen war, ſagte jetzt mit leiſer Stimme, als
wolle er den Eindruck nicht ſchwächen, den der Ge-
ſang auf Arnold gemacht hatte:

— „Kommen Sie jetzt, mein Freund!“ und
mit dieſen Worten ſchritt er voran zur Thür, die er
öffnete, um Arnold einzulaſſen.

Ein junges Mädchen ſaß bei dem Eintritt der
Beiden noch vor dem ſchon geſchloſſenen Flügel. Es
ſtützte das Haupt auf die ſchneeweiße, ſo kleine und
zarte Hand, daß ſie einem Kinde anzugehören ſchien,
und den Ellenbogen wieder auf den Flügel, ſo daß
es wie in Nachdenken verſunken und den Eintritt der
Beiden nicht bemerkt zu haben ſchien.

— „Jch führe dir unſern werthen Gaſt zu,
Marie,“ nahm Joe Smith das Wort, und wie er-
ſchrocken ſprang die Angeredete auf und ſtellte ſich
in dem vollen Glanze ihrer Schönheit Arnolden ge-
genüber, der, wie von einem Sonnenſtrahle plötzlich
getroffen, das geblendete Auge hätte ſchließen mögen.

Die Geſtalt war eher klein, als groß, aber der
Bau der Glieder war ſo vollkommen und alle Theile
ſtanden in einer ſolchen Harmonie mit einander, daß
man ein Gebilde aus der Zeit der Phidiaſſe vor ſich
zu ſehen glaubte. Dieſer Wuchs hielt genau die Mitte
zwiſchen zu großer Fülle und zu großer Magerkeit und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0117" n="109"/>
        <p>Joe Smith, dem &#x017F;eine innere Bewegung nicht<lb/>
entgangen war, &#x017F;agte jetzt mit lei&#x017F;er Stimme, als<lb/>
wolle er den Eindruck nicht &#x017F;chwächen, den der Ge-<lb/>
&#x017F;ang auf Arnold gemacht hatte:</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Kommen Sie jetzt, mein Freund!&#x201C; und<lb/>
mit die&#x017F;en Worten &#x017F;chritt er voran zur Thür, die er<lb/>
öffnete, um Arnold einzula&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Ein junges Mädchen &#x017F;aß bei dem Eintritt der<lb/>
Beiden noch vor dem &#x017F;chon ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Flügel. Es<lb/>
&#x017F;tützte das Haupt auf die &#x017F;chneeweiße, &#x017F;o kleine und<lb/>
zarte Hand, daß &#x017F;ie einem Kinde anzugehören &#x017F;chien,<lb/>
und den Ellenbogen wieder auf den Flügel, &#x017F;o daß<lb/>
es wie in Nachdenken ver&#x017F;unken und den Eintritt der<lb/>
Beiden nicht bemerkt zu haben &#x017F;chien.</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Jch führe dir un&#x017F;ern werthen Ga&#x017F;t zu,<lb/>
Marie,&#x201C; nahm Joe Smith das Wort, und wie er-<lb/>
&#x017F;chrocken &#x017F;prang die Angeredete auf und &#x017F;tellte &#x017F;ich<lb/>
in dem vollen Glanze ihrer Schönheit Arnolden ge-<lb/>
genüber, der, wie von einem Sonnen&#x017F;trahle plötzlich<lb/>
getroffen, das geblendete Auge hätte &#x017F;chließen mögen.</p><lb/>
        <p>Die Ge&#x017F;talt war eher klein, als groß, aber der<lb/>
Bau der Glieder war &#x017F;o vollkommen und alle Theile<lb/>
&#x017F;tanden in einer &#x017F;olchen Harmonie mit einander, daß<lb/>
man ein Gebilde aus der Zeit der Phidia&#x017F;&#x017F;e vor &#x017F;ich<lb/>
zu &#x017F;ehen glaubte. Die&#x017F;er Wuchs hielt genau die Mitte<lb/>
zwi&#x017F;chen zu großer Fülle und zu großer Magerkeit und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0117] Joe Smith, dem ſeine innere Bewegung nicht entgangen war, ſagte jetzt mit leiſer Stimme, als wolle er den Eindruck nicht ſchwächen, den der Ge- ſang auf Arnold gemacht hatte: — „Kommen Sie jetzt, mein Freund!“ und mit dieſen Worten ſchritt er voran zur Thür, die er öffnete, um Arnold einzulaſſen. Ein junges Mädchen ſaß bei dem Eintritt der Beiden noch vor dem ſchon geſchloſſenen Flügel. Es ſtützte das Haupt auf die ſchneeweiße, ſo kleine und zarte Hand, daß ſie einem Kinde anzugehören ſchien, und den Ellenbogen wieder auf den Flügel, ſo daß es wie in Nachdenken verſunken und den Eintritt der Beiden nicht bemerkt zu haben ſchien. — „Jch führe dir unſern werthen Gaſt zu, Marie,“ nahm Joe Smith das Wort, und wie er- ſchrocken ſprang die Angeredete auf und ſtellte ſich in dem vollen Glanze ihrer Schönheit Arnolden ge- genüber, der, wie von einem Sonnenſtrahle plötzlich getroffen, das geblendete Auge hätte ſchließen mögen. Die Geſtalt war eher klein, als groß, aber der Bau der Glieder war ſo vollkommen und alle Theile ſtanden in einer ſolchen Harmonie mit einander, daß man ein Gebilde aus der Zeit der Phidiaſſe vor ſich zu ſehen glaubte. Dieſer Wuchs hielt genau die Mitte zwiſchen zu großer Fülle und zu großer Magerkeit und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/117
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/117>, abgerufen am 04.12.2024.