Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.Vorwurfe -- das getreueste Ebenbild meiner Mutter Das einzige Wesen, an das ich mich mit der Vorwurfe — das getreueſte Ebenbild meiner Mutter Das einzige Weſen, an das ich mich mit der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0102" n="96"/> Vorwurfe — das getreueſte Ebenbild meiner Mutter<lb/> und da er dieſe jetzt haßte, noch über das Grab hin-<lb/> aus haßte, wie er ſie einſt geliebt hatte, brachte es<lb/> ihn auch gegen mich auf, daß ich ihn durch jeden<lb/> Zug meines Geſichts an den Gegenſtand ſeines Haſſes<lb/> erinnerte. Nie empfing ich eine Liebkoſung, nie einen<lb/> Beweis väterlicher Zärtlichkeit von ihm, und wie<lb/> ſchmachtete doch mein liebebedürftiges Herz darnach!</p><lb/> <p>Das einzige Weſen, an das ich mich mit der<lb/> vollen Zärtlichkeit meiner Seele hing, war mein ar-<lb/> mer kleiner Bruder; doch mußte ich mich wohl in<lb/> Acht nehmen, in Gegenwart meines Vaters dieſe Liebe<lb/> an den Tag zu legen, denn er haßte dieſes unglück-<lb/> liche Kind dermaßen, daß ich für jede an daſſelbe ver-<lb/> ſchwendete Liebkoſung beſtraft worden ſeyn würde,<lb/> und wenn er es nicht Baſtard nannte, es nicht gänz-<lb/> lich verſtieß, ſo hatte das allein ſeinen Grund darin,<lb/> daß einestheils die Geſetze es ihm nicht erlaubten, an-<lb/> derntheils er zu ſehr auf ſeine Ehre hielt, als daß er<lb/> die Welt mit den zwiſchen ihm und meiner Mutter<lb/> ſtattgehabten Verhältniſſen hätte bekannt machen wol-<lb/> len. Er ſah in der Untreue ſeiner Frau eine Schande<lb/> für ſich ſelbſt und verſchwieg ſie allein aus dem<lb/> Grunde. Daß er den Sohn nicht liebte, daß er ihn<lb/> ſogar haßte, wußte man, denn es ging über ſeine<lb/> Kraft hinaus, dies zu verbergen; allein man glaubte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [96/0102]
Vorwurfe — das getreueſte Ebenbild meiner Mutter
und da er dieſe jetzt haßte, noch über das Grab hin-
aus haßte, wie er ſie einſt geliebt hatte, brachte es
ihn auch gegen mich auf, daß ich ihn durch jeden
Zug meines Geſichts an den Gegenſtand ſeines Haſſes
erinnerte. Nie empfing ich eine Liebkoſung, nie einen
Beweis väterlicher Zärtlichkeit von ihm, und wie
ſchmachtete doch mein liebebedürftiges Herz darnach!
Das einzige Weſen, an das ich mich mit der
vollen Zärtlichkeit meiner Seele hing, war mein ar-
mer kleiner Bruder; doch mußte ich mich wohl in
Acht nehmen, in Gegenwart meines Vaters dieſe Liebe
an den Tag zu legen, denn er haßte dieſes unglück-
liche Kind dermaßen, daß ich für jede an daſſelbe ver-
ſchwendete Liebkoſung beſtraft worden ſeyn würde,
und wenn er es nicht Baſtard nannte, es nicht gänz-
lich verſtieß, ſo hatte das allein ſeinen Grund darin,
daß einestheils die Geſetze es ihm nicht erlaubten, an-
derntheils er zu ſehr auf ſeine Ehre hielt, als daß er
die Welt mit den zwiſchen ihm und meiner Mutter
ſtattgehabten Verhältniſſen hätte bekannt machen wol-
len. Er ſah in der Untreue ſeiner Frau eine Schande
für ſich ſelbſt und verſchwieg ſie allein aus dem
Grunde. Daß er den Sohn nicht liebte, daß er ihn
ſogar haßte, wußte man, denn es ging über ſeine
Kraft hinaus, dies zu verbergen; allein man glaubte
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