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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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unaufhörlich Brauns Bild, wie er mit dem Messer
in der Hand vor der Leiche meines Vaters stand und
gleichsam mit Behagen darin wühlte.

Jch rang mehre Wochen lang mit dem Tode und
nur die außerordentlichen ärztlichen Kenntnisse Brauns,
nur die liebevolle und unabläßliche Pflege meiner gu-
ten Wirthin retteten mir das Leben. Doch war ich
geistig und körperlich schwach wie ein Kind geworden:
ich vermochte mich kaum mehr der Vergangenheit zu
erinnern; ich konnte keinen Gedanken festhalten und
glaube, daß schon damals sich die schreckliche Krank-
heit in mir auszubilden begann, der ich späterhin
erlag.

Braun besuchte mich so oft, als es die weite
Entfernung und seine übrigen Geschäfte zuließen; ich
glaube annehmen zu dürfen, daß er mich damals noch
liebte, denn sonst würde es ihm nicht an Vorwänden
gefehlt haben, seine Besuche bei mir zu beschränken,
zumal da ich in der Genesung begriffen war und zu
meiner völligen Wiederherstellung nur noch der Pflege
bedurfte, die von meiner guten Wirthin mir gewährt
wurde.

Als er eines Tags bei mir gewesen war, sah ich
nach seiner Entfernung einen Brief auf der Erde lie-
gen, den er wahrscheinlich mit dem Schnupftuche aus
der Tasche gerissen hatte. Er war unter einen Stuhl

unaufhörlich Brauns Bild, wie er mit dem Meſſer
in der Hand vor der Leiche meines Vaters ſtand und
gleichſam mit Behagen darin wühlte.

Jch rang mehre Wochen lang mit dem Tode und
nur die außerordentlichen ärztlichen Kenntniſſe Brauns,
nur die liebevolle und unabläßliche Pflege meiner gu-
ten Wirthin retteten mir das Leben. Doch war ich
geiſtig und körperlich ſchwach wie ein Kind geworden:
ich vermochte mich kaum mehr der Vergangenheit zu
erinnern; ich konnte keinen Gedanken feſthalten und
glaube, daß ſchon damals ſich die ſchreckliche Krank-
heit in mir auszubilden begann, der ich ſpäterhin
erlag.

Braun beſuchte mich ſo oft, als es die weite
Entfernung und ſeine übrigen Geſchäfte zuließen; ich
glaube annehmen zu dürfen, daß er mich damals noch
liebte, denn ſonſt würde es ihm nicht an Vorwänden
gefehlt haben, ſeine Beſuche bei mir zu beſchränken,
zumal da ich in der Geneſung begriffen war und zu
meiner völligen Wiederherſtellung nur noch der Pflege
bedurfte, die von meiner guten Wirthin mir gewährt
wurde.

Als er eines Tags bei mir geweſen war, ſah ich
nach ſeiner Entfernung einen Brief auf der Erde lie-
gen, den er wahrſcheinlich mit dem Schnupftuche aus
der Taſche geriſſen hatte. Er war unter einen Stuhl

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[139/0145] unaufhörlich Brauns Bild, wie er mit dem Meſſer in der Hand vor der Leiche meines Vaters ſtand und gleichſam mit Behagen darin wühlte. Jch rang mehre Wochen lang mit dem Tode und nur die außerordentlichen ärztlichen Kenntniſſe Brauns, nur die liebevolle und unabläßliche Pflege meiner gu- ten Wirthin retteten mir das Leben. Doch war ich geiſtig und körperlich ſchwach wie ein Kind geworden: ich vermochte mich kaum mehr der Vergangenheit zu erinnern; ich konnte keinen Gedanken feſthalten und glaube, daß ſchon damals ſich die ſchreckliche Krank- heit in mir auszubilden begann, der ich ſpäterhin erlag. Braun beſuchte mich ſo oft, als es die weite Entfernung und ſeine übrigen Geſchäfte zuließen; ich glaube annehmen zu dürfen, daß er mich damals noch liebte, denn ſonſt würde es ihm nicht an Vorwänden gefehlt haben, ſeine Beſuche bei mir zu beſchränken, zumal da ich in der Geneſung begriffen war und zu meiner völligen Wiederherſtellung nur noch der Pflege bedurfte, die von meiner guten Wirthin mir gewährt wurde. Als er eines Tags bei mir geweſen war, ſah ich nach ſeiner Entfernung einen Brief auf der Erde lie- gen, den er wahrſcheinlich mit dem Schnupftuche aus der Taſche geriſſen hatte. Er war unter einen Stuhl

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/145>, abgerufen am 17.05.2024.