Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese auf solche Weise, mit solchem Tone zu
mir gesprochenen Worte verfehlten auch jetzt ihre Wir-
kung nicht: sie rissen mich, wenn auch nur auf wenige
Minuten, von den Pforten des Wahnsinns zurück.

-- "Du fragst nach unserm Kinde?" antwor-
tete ich ihm, die Hand an meine Stirn legend, als
wolle ich dort die Gedanken, die sich jeden Augenblick
wieder zu zerstreuen, aus einander zu fließen drohten,
zusammenhalten. "Habe ich denn ein Kind geboren?"
fügte ich nach einer Pause hinzu.

-- "Du hast," versetzte er hastig; "doch wo
ist es? Besinne dich, Dina, ich bitte, ich beschwöre
dich, besinne dich, und sag mir, wenn du es getöd-
tet haben solltest, wo du damit geblieben bist!"

-- "Getödtet? getödtet?" wiederholte ich, und
kein anderes Wort kam mehr über meine Lippen.

Was dann weiter mit mir vorging, und selbst
das, was ich zuletzt über meinen Zustand mittheilte,
weiß ich nur aus Brauns Munde, der später so grau-
sam war, es mir ausführlich zu erzählen.

Sein Zustand, einer Wahnsinnigen, einer von
ihm verführten Wahnsinnigen und zugleich einer Mör-
derin gegenüber, war furchtbar und hätte leicht einen
minder starken Mann, als er war, zur Verzweiflung
bringen können. Was sollte aus mir, was aus ihm
selbst werden, wenn das im Wahnsinn von mir be-

Dieſe auf ſolche Weiſe, mit ſolchem Tone zu
mir geſprochenen Worte verfehlten auch jetzt ihre Wir-
kung nicht: ſie riſſen mich, wenn auch nur auf wenige
Minuten, von den Pforten des Wahnſinns zurück.

— „Du fragſt nach unſerm Kinde?“ antwor-
tete ich ihm, die Hand an meine Stirn legend, als
wolle ich dort die Gedanken, die ſich jeden Augenblick
wieder zu zerſtreuen, aus einander zu fließen drohten,
zuſammenhalten. „Habe ich denn ein Kind geboren?“
fügte ich nach einer Pauſe hinzu.

— „Du haſt,“ verſetzte er haſtig; „doch wo
iſt es? Beſinne dich, Dina, ich bitte, ich beſchwöre
dich, beſinne dich, und ſag mir, wenn du es getöd-
tet haben ſollteſt, wo du damit geblieben biſt!“

— „Getödtet? getödtet?“ wiederholte ich, und
kein anderes Wort kam mehr über meine Lippen.

Was dann weiter mit mir vorging, und ſelbſt
das, was ich zuletzt über meinen Zuſtand mittheilte,
weiß ich nur aus Brauns Munde, der ſpäter ſo grau-
ſam war, es mir ausführlich zu erzählen.

Sein Zuſtand, einer Wahnſinnigen, einer von
ihm verführten Wahnſinnigen und zugleich einer Mör-
derin gegenüber, war furchtbar und hätte leicht einen
minder ſtarken Mann, als er war, zur Verzweiflung
bringen können. Was ſollte aus mir, was aus ihm
ſelbſt werden, wenn das im Wahnſinn von mir be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0154" n="148"/>
        <p>Die&#x017F;e auf &#x017F;olche Wei&#x017F;e, mit &#x017F;olchem Tone zu<lb/>
mir ge&#x017F;prochenen Worte verfehlten auch jetzt ihre Wir-<lb/>
kung nicht: &#x017F;ie ri&#x017F;&#x017F;en mich, wenn auch nur auf wenige<lb/>
Minuten, von den Pforten des Wahn&#x017F;inns zurück.</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Du frag&#x017F;t nach un&#x017F;erm Kinde?&#x201C; antwor-<lb/>
tete ich ihm, die Hand an meine Stirn legend, als<lb/>
wolle ich dort die Gedanken, die &#x017F;ich jeden Augenblick<lb/>
wieder zu zer&#x017F;treuen, aus einander zu fließen drohten,<lb/>
zu&#x017F;ammenhalten. &#x201E;Habe ich denn ein Kind geboren?&#x201C;<lb/>
fügte ich nach einer Pau&#x017F;e hinzu.</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Du ha&#x017F;t,&#x201C; ver&#x017F;etzte er ha&#x017F;tig; &#x201E;doch wo<lb/>
i&#x017F;t es? Be&#x017F;inne dich, Dina, ich bitte, ich be&#x017F;chwöre<lb/>
dich, be&#x017F;inne dich, und &#x017F;ag mir, wenn du es getöd-<lb/>
tet haben &#x017F;ollte&#x017F;t, wo du damit geblieben bi&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Getödtet? getödtet?&#x201C; wiederholte ich, und<lb/>
kein anderes Wort kam mehr über meine Lippen.</p><lb/>
        <p>Was dann weiter mit mir vorging, und &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
das, was ich zuletzt über meinen Zu&#x017F;tand mittheilte,<lb/>
weiß ich nur aus Brauns Munde, der &#x017F;päter &#x017F;o grau-<lb/>
&#x017F;am war, es mir ausführlich zu erzählen.</p><lb/>
        <p>Sein Zu&#x017F;tand, einer Wahn&#x017F;innigen, einer von<lb/>
ihm verführten Wahn&#x017F;innigen und zugleich einer Mör-<lb/>
derin gegenüber, war furchtbar und hätte leicht einen<lb/>
minder &#x017F;tarken Mann, als er war, zur Verzweiflung<lb/>
bringen können. Was &#x017F;ollte aus mir, was aus ihm<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t werden, wenn das im Wahn&#x017F;inn von mir be-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0154] Dieſe auf ſolche Weiſe, mit ſolchem Tone zu mir geſprochenen Worte verfehlten auch jetzt ihre Wir- kung nicht: ſie riſſen mich, wenn auch nur auf wenige Minuten, von den Pforten des Wahnſinns zurück. — „Du fragſt nach unſerm Kinde?“ antwor- tete ich ihm, die Hand an meine Stirn legend, als wolle ich dort die Gedanken, die ſich jeden Augenblick wieder zu zerſtreuen, aus einander zu fließen drohten, zuſammenhalten. „Habe ich denn ein Kind geboren?“ fügte ich nach einer Pauſe hinzu. — „Du haſt,“ verſetzte er haſtig; „doch wo iſt es? Beſinne dich, Dina, ich bitte, ich beſchwöre dich, beſinne dich, und ſag mir, wenn du es getöd- tet haben ſollteſt, wo du damit geblieben biſt!“ — „Getödtet? getödtet?“ wiederholte ich, und kein anderes Wort kam mehr über meine Lippen. Was dann weiter mit mir vorging, und ſelbſt das, was ich zuletzt über meinen Zuſtand mittheilte, weiß ich nur aus Brauns Munde, der ſpäter ſo grau- ſam war, es mir ausführlich zu erzählen. Sein Zuſtand, einer Wahnſinnigen, einer von ihm verführten Wahnſinnigen und zugleich einer Mör- derin gegenüber, war furchtbar und hätte leicht einen minder ſtarken Mann, als er war, zur Verzweiflung bringen können. Was ſollte aus mir, was aus ihm ſelbſt werden, wenn das im Wahnſinn von mir be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/154
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/154>, abgerufen am 21.11.2024.