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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. GEIST. SEITE. DAS KIND MIT FREMDEN ERWACHSENEN PERSONEN.

Am Schlusse dieses Abschnittes haben wir noch der
Pflege des Ehrgefühles zu gedenken, welches als das ge-
meinschaftliche Produkt des Gemüthes, der Willens- und Denk-
thätigkeit, als der Inbegriff und als der Gradmesser des gan-
zen moralischen Werthes, als der Halt und als einer der
Haupthebel des menschlichen Charakters zu betrachten ist.
Die Erziehung hat im Allgemeinen dafür zu sorgen, dass es
durch, der betreffenden Lebensstufe angemessene Weckung,
Regelung und Schonung zwischen den Extremen der Stumpf-
heit und der Ehrsucht gehalten werde und immer am meisten
auf Punkte von wesentlicher innerer Bedeutung gerichtet
bleibe. Man bedenke, dass das richtige edle Ehrgefühl einer-
seits mit Würde, andererseits mit Bescheidenheit, beide der
Lebensstellung des Individuums angemessen, stets Hand in
Hand geht. Daraus geht hervor, dass das kindliche Ehrge-
fühl, gemäss dem stufenweisen Aufsteigen im Leben, eine
danach modificirte, aber auch intensiv und extensiv gestei-
gerte Entwickelung erhalten müsse, nur darf seine selbstän-
dige Kraft, besonders in den früheren Kinderjahren, nicht
durch gar zu häufige Berufungen auf dasselbe abgestumpft
werden.

5) Das Kind mit fremden erwachsenen Personen
(ausserhalb des engen Familienkreises).

Die bisher besprochenen Verhältnisse und Beziehungen
des Kindes bilden zwar die wesentlichsten Anhaltpunkte für
die Beurtheilung und das Verfahren des Erziehungsgeschäftes
während dieser Altersperiode. Allein beim Zusammensein des
Kindes mit fremden erwachsenen Personen treten doch noch
einige Erscheinungen zu Tage, die, obschon zur harmonischen
Ausbildung mitgehörig, bisher noch nicht berührt wurden,
weil sie hier erst ihre volle Seite darbieten.

Jedermann liebt an den Kindern die unschuldige volle
Natürlichkeit, besonders jene Natürlichkeit, von welcher die
rohe Seite ganz abgestreift ist, und aus welcher schon ein ge-
wisser Zug des Edlen hervorblickt. Diese Natürlichkeit be-

2.—7. JAHR. GEIST. SEITE. DAS KIND MIT FREMDEN ERWACHSENEN PERSONEN.

Am Schlusse dieses Abschnittes haben wir noch der
Pflege des Ehrgefühles zu gedenken, welches als das ge-
meinschaftliche Produkt des Gemüthes, der Willens- und Denk-
thätigkeit, als der Inbegriff und als der Gradmesser des gan-
zen moralischen Werthes, als der Halt und als einer der
Haupthebel des menschlichen Charakters zu betrachten ist.
Die Erziehung hat im Allgemeinen dafür zu sorgen, dass es
durch, der betreffenden Lebensstufe angemessene Weckung,
Regelung und Schonung zwischen den Extremen der Stumpf-
heit und der Ehrsucht gehalten werde und immer am meisten
auf Punkte von wesentlicher innerer Bedeutung gerichtet
bleibe. Man bedenke, dass das richtige edle Ehrgefühl einer-
seits mit Würde, andererseits mit Bescheidenheit, beide der
Lebensstellung des Individuums angemessen, stets Hand in
Hand geht. Daraus geht hervor, dass das kindliche Ehrge-
fühl, gemäss dem stufenweisen Aufsteigen im Leben, eine
danach modificirte, aber auch intensiv und extensiv gestei-
gerte Entwickelung erhalten müsse, nur darf seine selbstän-
dige Kraft, besonders in den früheren Kinderjahren, nicht
durch gar zu häufige Berufungen auf dasselbe abgestumpft
werden.

5) Das Kind mit fremden erwachsenen Personen
(ausserhalb des engen Familienkreises).

Die bisher besprochenen Verhältnisse und Beziehungen
des Kindes bilden zwar die wesentlichsten Anhaltpunkte für
die Beurtheilung und das Verfahren des Erziehungsgeschäftes
während dieser Altersperiode. Allein beim Zusammensein des
Kindes mit fremden erwachsenen Personen treten doch noch
einige Erscheinungen zu Tage, die, obschon zur harmonischen
Ausbildung mitgehörig, bisher noch nicht berührt wurden,
weil sie hier erst ihre volle Seite darbieten.

Jedermann liebt an den Kindern die unschuldige volle
Natürlichkeit, besonders jene Natürlichkeit, von welcher die
rohe Seite ganz abgestreift ist, und aus welcher schon ein ge-
wisser Zug des Edlen hervorblickt. Diese Natürlichkeit be-

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[156/0160] 2.—7. JAHR. GEIST. SEITE. DAS KIND MIT FREMDEN ERWACHSENEN PERSONEN. Am Schlusse dieses Abschnittes haben wir noch der Pflege des Ehrgefühles zu gedenken, welches als das ge- meinschaftliche Produkt des Gemüthes, der Willens- und Denk- thätigkeit, als der Inbegriff und als der Gradmesser des gan- zen moralischen Werthes, als der Halt und als einer der Haupthebel des menschlichen Charakters zu betrachten ist. Die Erziehung hat im Allgemeinen dafür zu sorgen, dass es durch, der betreffenden Lebensstufe angemessene Weckung, Regelung und Schonung zwischen den Extremen der Stumpf- heit und der Ehrsucht gehalten werde und immer am meisten auf Punkte von wesentlicher innerer Bedeutung gerichtet bleibe. Man bedenke, dass das richtige edle Ehrgefühl einer- seits mit Würde, andererseits mit Bescheidenheit, beide der Lebensstellung des Individuums angemessen, stets Hand in Hand geht. Daraus geht hervor, dass das kindliche Ehrge- fühl, gemäss dem stufenweisen Aufsteigen im Leben, eine danach modificirte, aber auch intensiv und extensiv gestei- gerte Entwickelung erhalten müsse, nur darf seine selbstän- dige Kraft, besonders in den früheren Kinderjahren, nicht durch gar zu häufige Berufungen auf dasselbe abgestumpft werden. 5) Das Kind mit fremden erwachsenen Personen (ausserhalb des engen Familienkreises). Die bisher besprochenen Verhältnisse und Beziehungen des Kindes bilden zwar die wesentlichsten Anhaltpunkte für die Beurtheilung und das Verfahren des Erziehungsgeschäftes während dieser Altersperiode. Allein beim Zusammensein des Kindes mit fremden erwachsenen Personen treten doch noch einige Erscheinungen zu Tage, die, obschon zur harmonischen Ausbildung mitgehörig, bisher noch nicht berührt wurden, weil sie hier erst ihre volle Seite darbieten. Jedermann liebt an den Kindern die unschuldige volle Natürlichkeit, besonders jene Natürlichkeit, von welcher die rohe Seite ganz abgestreift ist, und aus welcher schon ein ge- wisser Zug des Edlen hervorblickt. Diese Natürlichkeit be-

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/160>, abgerufen am 09.11.2024.