Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Gretchen mit dem Essen auf mich warte. Sie wendete sich mit großer Heiterkeit zu mir, da ich ins Zimmer trat. Ihr Anblick ergriff mich aufs Neue. Das Herz schlug mir merklich; ich winkte Gretchen, neben mir Platz zu nehmen, und setzte mich selbst geschwind, um meine Unruhe weniger auffallend zu machen. Das harmlose Mädchen erzählte mir sehr vergnügt, daß sich ihr Koffer gefunden habe, was ihr besonders ihrer Papiere wegen lieb sei. Ueberhaupt sprach sie gern und lebhaft, auch von der Stadt, von deren Verhältnissen sie ziemlich unterrichtet schien, denn ihre Tante war dort geboren und erzogen worden. Ich hörte meist schweigend zu, während ich ziemlich eifrig aß und mich mehr und mehr in das Anschauen der lieblichen Gestalt vertiefte. Da ich abgespeis't hatte und Gretchen mich eine Weile still sitzen sah, stand sie auf, um sich zu entfernen. -- Morgen um vier Uhr die Pferde, Paul! fuhr ich endlich aus meiner Zerstreuung auf. -- Mit einem freundlichen: Gute Nacht, lieber Herr! schlüpfte sie aus der Thür. Gute Nacht, Gretchen! rief ich ihr nach. Bedenke deine Jahre, Samuel! sagte ich noch einmal zu mir selbst, nachdem ich meinen Paul stumm verabschiedet und mich halb ausgekleidet auf das Bett geworfen hatte, worin endlich der Schlaf meinen umherschwärmenden Gedanken ein Ziel setzte. Gretchen mit dem Essen auf mich warte. Sie wendete sich mit großer Heiterkeit zu mir, da ich ins Zimmer trat. Ihr Anblick ergriff mich aufs Neue. Das Herz schlug mir merklich; ich winkte Gretchen, neben mir Platz zu nehmen, und setzte mich selbst geschwind, um meine Unruhe weniger auffallend zu machen. Das harmlose Mädchen erzählte mir sehr vergnügt, daß sich ihr Koffer gefunden habe, was ihr besonders ihrer Papiere wegen lieb sei. Ueberhaupt sprach sie gern und lebhaft, auch von der Stadt, von deren Verhältnissen sie ziemlich unterrichtet schien, denn ihre Tante war dort geboren und erzogen worden. Ich hörte meist schweigend zu, während ich ziemlich eifrig aß und mich mehr und mehr in das Anschauen der lieblichen Gestalt vertiefte. Da ich abgespeis't hatte und Gretchen mich eine Weile still sitzen sah, stand sie auf, um sich zu entfernen. — Morgen um vier Uhr die Pferde, Paul! fuhr ich endlich aus meiner Zerstreuung auf. — Mit einem freundlichen: Gute Nacht, lieber Herr! schlüpfte sie aus der Thür. Gute Nacht, Gretchen! rief ich ihr nach. Bedenke deine Jahre, Samuel! sagte ich noch einmal zu mir selbst, nachdem ich meinen Paul stumm verabschiedet und mich halb ausgekleidet auf das Bett geworfen hatte, worin endlich der Schlaf meinen umherschwärmenden Gedanken ein Ziel setzte. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0017"/> Gretchen mit dem Essen auf mich warte. Sie wendete sich mit großer Heiterkeit zu mir, da ich ins Zimmer trat. Ihr Anblick ergriff mich aufs Neue. Das Herz schlug mir merklich; ich winkte Gretchen, neben mir Platz zu nehmen, und setzte mich selbst geschwind, um meine Unruhe weniger auffallend zu machen. Das harmlose Mädchen erzählte mir sehr vergnügt, daß sich ihr Koffer gefunden habe, was ihr besonders ihrer Papiere wegen lieb sei. Ueberhaupt sprach sie gern und lebhaft, auch von der Stadt, von deren Verhältnissen sie ziemlich unterrichtet schien, denn ihre Tante war dort geboren und erzogen worden. Ich hörte meist schweigend zu, während ich ziemlich eifrig aß und mich mehr und mehr in das Anschauen der lieblichen Gestalt vertiefte. Da ich abgespeis't hatte und Gretchen mich eine Weile still sitzen sah, stand sie auf, um sich zu entfernen. — Morgen um vier Uhr die Pferde, Paul! fuhr ich endlich aus meiner Zerstreuung auf. — Mit einem freundlichen: Gute Nacht, lieber Herr! schlüpfte sie aus der Thür. Gute Nacht, Gretchen! rief ich ihr nach.</p><lb/> <p>Bedenke deine Jahre, Samuel! sagte ich noch einmal zu mir selbst, nachdem ich meinen Paul stumm verabschiedet und mich halb ausgekleidet auf das Bett geworfen hatte, worin endlich der Schlaf meinen umherschwärmenden Gedanken ein Ziel setzte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
Gretchen mit dem Essen auf mich warte. Sie wendete sich mit großer Heiterkeit zu mir, da ich ins Zimmer trat. Ihr Anblick ergriff mich aufs Neue. Das Herz schlug mir merklich; ich winkte Gretchen, neben mir Platz zu nehmen, und setzte mich selbst geschwind, um meine Unruhe weniger auffallend zu machen. Das harmlose Mädchen erzählte mir sehr vergnügt, daß sich ihr Koffer gefunden habe, was ihr besonders ihrer Papiere wegen lieb sei. Ueberhaupt sprach sie gern und lebhaft, auch von der Stadt, von deren Verhältnissen sie ziemlich unterrichtet schien, denn ihre Tante war dort geboren und erzogen worden. Ich hörte meist schweigend zu, während ich ziemlich eifrig aß und mich mehr und mehr in das Anschauen der lieblichen Gestalt vertiefte. Da ich abgespeis't hatte und Gretchen mich eine Weile still sitzen sah, stand sie auf, um sich zu entfernen. — Morgen um vier Uhr die Pferde, Paul! fuhr ich endlich aus meiner Zerstreuung auf. — Mit einem freundlichen: Gute Nacht, lieber Herr! schlüpfte sie aus der Thür. Gute Nacht, Gretchen! rief ich ihr nach.
Bedenke deine Jahre, Samuel! sagte ich noch einmal zu mir selbst, nachdem ich meinen Paul stumm verabschiedet und mich halb ausgekleidet auf das Bett geworfen hatte, worin endlich der Schlaf meinen umherschwärmenden Gedanken ein Ziel setzte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T11:30:04Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T11:30:04Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |