Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Jungfer Brigitte machte große Augen, als ich mit Gretchen in die Wohnung trat. Ich bringe Ihr Gesellschaft, Brigitte, sagte ich; Mamsell Berger wird heute Nacht in Ihrem Zimmer schlafen; sorge Sie für ein reines Bett und eine freundliche Aufnahme. -- Die Alte schielte das holde Mädchen von der Seite an, mit einer Miene, die wenigstens die letztere nicht versprach; aber Gretchen schloß sich mit einer so gemüthlichen Unbefangenheit an die mürrische Hausregentin an, daß sich die Wolken auf der runzeligen Stirn nach und nach verzogen. Meine Einladung zum Nachtessen lehnte Gretchen bescheiden ab, weil sie mit Jungfer Brigitten auf ihrer Kammer zu bleiben wünsche. Die Frauenzimmer verließen mich, bald auch mein alter Paul, der noch eine Menge Dinge für unsere schöne Hausgenossin zu besorgen hatte.

So hatte ich denn, beinahe ohne mein Zuthun, das liebenswürdige Geschöpf unter meinem Dache, mit dem ich seit zwei Tagen so lebhaft beschäftigt war! Die Vorstellung hatte etwas überaus Anmuthiges für mich, ungeachtet des kleinen Beisatzes von Schwermuth, der sie begleitete. Morgen, sagte ich still zu mir selbst, morgen geht sie hin, sich ihrer künftigen Herrschaft zu zeigen. Man wird sie annehmen; wer thät' es nicht mit Freuden? -- Gut, dann ist Alles vorbei, -- die Erinnerung ausgenommen, die, wie angenehm sie auch ist, mich hoffentlich nicht im Schlafe stören wird.

Am andern Morgen erzählte Paul, als er mir das Frühstück brachte, daß Mamsell Gretchen schon ausge-

Jungfer Brigitte machte große Augen, als ich mit Gretchen in die Wohnung trat. Ich bringe Ihr Gesellschaft, Brigitte, sagte ich; Mamsell Berger wird heute Nacht in Ihrem Zimmer schlafen; sorge Sie für ein reines Bett und eine freundliche Aufnahme. — Die Alte schielte das holde Mädchen von der Seite an, mit einer Miene, die wenigstens die letztere nicht versprach; aber Gretchen schloß sich mit einer so gemüthlichen Unbefangenheit an die mürrische Hausregentin an, daß sich die Wolken auf der runzeligen Stirn nach und nach verzogen. Meine Einladung zum Nachtessen lehnte Gretchen bescheiden ab, weil sie mit Jungfer Brigitten auf ihrer Kammer zu bleiben wünsche. Die Frauenzimmer verließen mich, bald auch mein alter Paul, der noch eine Menge Dinge für unsere schöne Hausgenossin zu besorgen hatte.

So hatte ich denn, beinahe ohne mein Zuthun, das liebenswürdige Geschöpf unter meinem Dache, mit dem ich seit zwei Tagen so lebhaft beschäftigt war! Die Vorstellung hatte etwas überaus Anmuthiges für mich, ungeachtet des kleinen Beisatzes von Schwermuth, der sie begleitete. Morgen, sagte ich still zu mir selbst, morgen geht sie hin, sich ihrer künftigen Herrschaft zu zeigen. Man wird sie annehmen; wer thät' es nicht mit Freuden? — Gut, dann ist Alles vorbei, — die Erinnerung ausgenommen, die, wie angenehm sie auch ist, mich hoffentlich nicht im Schlafe stören wird.

Am andern Morgen erzählte Paul, als er mir das Frühstück brachte, daß Mamsell Gretchen schon ausge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="6">
        <pb facs="#f0028"/>
        <p>Jungfer Brigitte machte große Augen, als ich mit Gretchen in die Wohnung trat. Ich                bringe Ihr Gesellschaft, Brigitte, sagte ich; Mamsell Berger wird heute Nacht in                Ihrem Zimmer schlafen; sorge Sie für ein reines Bett und eine freundliche Aufnahme. &#x2014;                Die Alte schielte das holde Mädchen von der Seite an, mit einer Miene, die wenigstens                die letztere nicht versprach; aber Gretchen schloß sich mit einer so gemüthlichen                Unbefangenheit an die mürrische Hausregentin an, daß sich die Wolken auf der                runzeligen Stirn nach und nach verzogen. Meine Einladung zum Nachtessen lehnte                Gretchen bescheiden ab, weil sie mit Jungfer Brigitten auf ihrer Kammer zu bleiben                wünsche. Die Frauenzimmer verließen mich, bald auch mein alter Paul, der noch eine                Menge Dinge für unsere schöne Hausgenossin zu besorgen hatte.</p><lb/>
        <p>So hatte ich denn, beinahe ohne mein Zuthun, das liebenswürdige Geschöpf unter meinem                Dache, mit dem ich seit zwei Tagen so lebhaft beschäftigt war! Die Vorstellung hatte                etwas überaus Anmuthiges für mich, ungeachtet des kleinen Beisatzes von Schwermuth,                der sie begleitete. Morgen, sagte ich still zu mir selbst, morgen geht sie hin, sich                ihrer künftigen Herrschaft zu zeigen. Man wird sie annehmen; wer thät' es nicht mit                Freuden? &#x2014; Gut, dann ist Alles vorbei, &#x2014; die Erinnerung ausgenommen, die, wie                angenehm sie auch ist, mich hoffentlich nicht im Schlafe stören wird.</p><lb/>
        <p>Am andern Morgen erzählte Paul, als er mir das Frühstück brachte, daß Mamsell                Gretchen schon ausge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0028] Jungfer Brigitte machte große Augen, als ich mit Gretchen in die Wohnung trat. Ich bringe Ihr Gesellschaft, Brigitte, sagte ich; Mamsell Berger wird heute Nacht in Ihrem Zimmer schlafen; sorge Sie für ein reines Bett und eine freundliche Aufnahme. — Die Alte schielte das holde Mädchen von der Seite an, mit einer Miene, die wenigstens die letztere nicht versprach; aber Gretchen schloß sich mit einer so gemüthlichen Unbefangenheit an die mürrische Hausregentin an, daß sich die Wolken auf der runzeligen Stirn nach und nach verzogen. Meine Einladung zum Nachtessen lehnte Gretchen bescheiden ab, weil sie mit Jungfer Brigitten auf ihrer Kammer zu bleiben wünsche. Die Frauenzimmer verließen mich, bald auch mein alter Paul, der noch eine Menge Dinge für unsere schöne Hausgenossin zu besorgen hatte. So hatte ich denn, beinahe ohne mein Zuthun, das liebenswürdige Geschöpf unter meinem Dache, mit dem ich seit zwei Tagen so lebhaft beschäftigt war! Die Vorstellung hatte etwas überaus Anmuthiges für mich, ungeachtet des kleinen Beisatzes von Schwermuth, der sie begleitete. Morgen, sagte ich still zu mir selbst, morgen geht sie hin, sich ihrer künftigen Herrschaft zu zeigen. Man wird sie annehmen; wer thät' es nicht mit Freuden? — Gut, dann ist Alles vorbei, — die Erinnerung ausgenommen, die, wie angenehm sie auch ist, mich hoffentlich nicht im Schlafe stören wird. Am andern Morgen erzählte Paul, als er mir das Frühstück brachte, daß Mamsell Gretchen schon ausge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:30:04Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/28
Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/28>, abgerufen am 21.11.2024.