Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.merkt die Alte nichts davon; die verdürbe uns sonst den ganzen Spaß. Ich setzte mich an Gretchens Stelle an das Fortepiano und durchlief, nicht ohne sympathetische Empfindung, die Tasten, die ihre Finger berührt hatten. Ein Satz aus der Sonate, welche sie gespielt hatte, wurde unvermerkt das Thema, worüber meine Phantasie sich in unregelmäßigen Variationen ergoß. Die Ideen strömten mir in ungewöhnlicher Fülle und Klarheit zu; ich habe vielleicht nie so gut gespielt, wenigstens nicht mit so lebendigem Ausdruck. Als ich von ungefähr aufsah, glaubte ich im Spiegel Gretchens Köpfchen, mit schalkhafter Neugierde durch die Thür horchend, wahrzunehmen. Warte, Schelm! rief ich, mich umwendend. Sie war es wirklich, zog sich aber schnell zurück und schlug die Thür zu. Nun war es um mein ruhiges Phantasiren geschehen. Ich sprang auf und ergriff meinen Hut, um meinen aufgeregten Gefühlen durch einen Gang im Freien Luft zu machen. 9. Es war ein ziemlich heißer Tag. Das Gewühl in den Straßen schien mir lästiger als gewöhnlich. Ich stieg in einen Fiaker, der am Wege stand. Wohin, Ew. Gnaden? fragte freundlich der Kutscher, den Schlag offen haltend. -- Ja so! Wohin du willst. In den S**ischen Garten meinetwegen! merkt die Alte nichts davon; die verdürbe uns sonst den ganzen Spaß. Ich setzte mich an Gretchens Stelle an das Fortepiano und durchlief, nicht ohne sympathetische Empfindung, die Tasten, die ihre Finger berührt hatten. Ein Satz aus der Sonate, welche sie gespielt hatte, wurde unvermerkt das Thema, worüber meine Phantasie sich in unregelmäßigen Variationen ergoß. Die Ideen strömten mir in ungewöhnlicher Fülle und Klarheit zu; ich habe vielleicht nie so gut gespielt, wenigstens nicht mit so lebendigem Ausdruck. Als ich von ungefähr aufsah, glaubte ich im Spiegel Gretchens Köpfchen, mit schalkhafter Neugierde durch die Thür horchend, wahrzunehmen. Warte, Schelm! rief ich, mich umwendend. Sie war es wirklich, zog sich aber schnell zurück und schlug die Thür zu. Nun war es um mein ruhiges Phantasiren geschehen. Ich sprang auf und ergriff meinen Hut, um meinen aufgeregten Gefühlen durch einen Gang im Freien Luft zu machen. 9. Es war ein ziemlich heißer Tag. Das Gewühl in den Straßen schien mir lästiger als gewöhnlich. Ich stieg in einen Fiaker, der am Wege stand. Wohin, Ew. Gnaden? fragte freundlich der Kutscher, den Schlag offen haltend. — Ja so! Wohin du willst. In den S**ischen Garten meinetwegen! <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0039"/> merkt die Alte nichts davon; die verdürbe uns sonst den ganzen Spaß.</p><lb/> <p>Ich setzte mich an Gretchens Stelle an das Fortepiano und durchlief, nicht ohne sympathetische Empfindung, die Tasten, die ihre Finger berührt hatten. Ein Satz aus der Sonate, welche sie gespielt hatte, wurde unvermerkt das Thema, worüber meine Phantasie sich in unregelmäßigen Variationen ergoß. Die Ideen strömten mir in ungewöhnlicher Fülle und Klarheit zu; ich habe vielleicht nie so gut gespielt, wenigstens nicht mit so lebendigem Ausdruck. Als ich von ungefähr aufsah, glaubte ich im Spiegel Gretchens Köpfchen, mit schalkhafter Neugierde durch die Thür horchend, wahrzunehmen. Warte, Schelm! rief ich, mich umwendend. Sie war es wirklich, zog sich aber schnell zurück und schlug die Thür zu. Nun war es um mein ruhiges Phantasiren geschehen. Ich sprang auf und ergriff meinen Hut, um meinen aufgeregten Gefühlen durch einen Gang im Freien Luft zu machen.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="9"> <head>9.</head> <p>Es war ein ziemlich heißer Tag. Das Gewühl in den Straßen schien mir lästiger als gewöhnlich. Ich stieg in einen Fiaker, der am Wege stand. Wohin, Ew. Gnaden? fragte freundlich der Kutscher, den Schlag offen haltend. — Ja so! Wohin du willst. In den S**ischen Garten meinetwegen!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
merkt die Alte nichts davon; die verdürbe uns sonst den ganzen Spaß.
Ich setzte mich an Gretchens Stelle an das Fortepiano und durchlief, nicht ohne sympathetische Empfindung, die Tasten, die ihre Finger berührt hatten. Ein Satz aus der Sonate, welche sie gespielt hatte, wurde unvermerkt das Thema, worüber meine Phantasie sich in unregelmäßigen Variationen ergoß. Die Ideen strömten mir in ungewöhnlicher Fülle und Klarheit zu; ich habe vielleicht nie so gut gespielt, wenigstens nicht mit so lebendigem Ausdruck. Als ich von ungefähr aufsah, glaubte ich im Spiegel Gretchens Köpfchen, mit schalkhafter Neugierde durch die Thür horchend, wahrzunehmen. Warte, Schelm! rief ich, mich umwendend. Sie war es wirklich, zog sich aber schnell zurück und schlug die Thür zu. Nun war es um mein ruhiges Phantasiren geschehen. Ich sprang auf und ergriff meinen Hut, um meinen aufgeregten Gefühlen durch einen Gang im Freien Luft zu machen.
9. Es war ein ziemlich heißer Tag. Das Gewühl in den Straßen schien mir lästiger als gewöhnlich. Ich stieg in einen Fiaker, der am Wege stand. Wohin, Ew. Gnaden? fragte freundlich der Kutscher, den Schlag offen haltend. — Ja so! Wohin du willst. In den S**ischen Garten meinetwegen!
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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T11:30:04Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T11:30:04Z)
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