Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Vormunds muß schriftlich vorliegen. -- Ich schreibe ihm heute noch. Einwendungen sind nicht zu erwarten; in vier Tagen kann die Antwort hier sein. -- Gut! sagte Morbach ziemlich ernsthaft; den Taufschein der Braut, und was sonst noch nöthig ist, hole ich mir morgen selbst bei Ihnen ab. Ich verließ den Doctor sehr vergnügt und fuhr eiligst nach Hause, um sogleich an Gretchens Vormund zu schreiben. Paul war seit dem frühen Morgen in einer drolligen Unruhe. Er hätte gern gewußt, was ich vorhatte, scheute sich aber doch, mich danach zu fragen. Als er indeß sah, daß Brigitte abgezogen sei, wurde er sehr aufgeräumt und that unverlangt, was er mir nur an den Augen abzusehen glaubte. Soll ich nicht die Stube gleich scheuern und ein wenig hübscher ausmalen lassen? fragte er; es kann ein recht artiges Zimmer für das liebe Mädchen werden, wenn sie zuweilen zu uns in die Stadt kommt. Laß das noch, Paul! sagte ich; es wird sich schon ein Zimmer für Gretchen finden. Den Abend brachte ich sehr angenehm mit Gretchens Papieren zu, welche ich aus ihrem Koffer zu mir genommen hatte. Ich fand mehrere Briefe ihrer Tante und drei oder vier von ihrem verstorbenen Lehrer darunter, einem alten Geistlichen, von welchem sie mir einige Mal mit großer Liebe und Dankbarkeit gesprochen hatte. Beide schienen treffliche Menschen gewesen zu sein; ich erkannte nun um so deutlicher, wie das seltene Mädchen in solcher Umgebung werden konnte, was sie war. End- Vormunds muß schriftlich vorliegen. — Ich schreibe ihm heute noch. Einwendungen sind nicht zu erwarten; in vier Tagen kann die Antwort hier sein. — Gut! sagte Morbach ziemlich ernsthaft; den Taufschein der Braut, und was sonst noch nöthig ist, hole ich mir morgen selbst bei Ihnen ab. Ich verließ den Doctor sehr vergnügt und fuhr eiligst nach Hause, um sogleich an Gretchens Vormund zu schreiben. Paul war seit dem frühen Morgen in einer drolligen Unruhe. Er hätte gern gewußt, was ich vorhatte, scheute sich aber doch, mich danach zu fragen. Als er indeß sah, daß Brigitte abgezogen sei, wurde er sehr aufgeräumt und that unverlangt, was er mir nur an den Augen abzusehen glaubte. Soll ich nicht die Stube gleich scheuern und ein wenig hübscher ausmalen lassen? fragte er; es kann ein recht artiges Zimmer für das liebe Mädchen werden, wenn sie zuweilen zu uns in die Stadt kommt. Laß das noch, Paul! sagte ich; es wird sich schon ein Zimmer für Gretchen finden. Den Abend brachte ich sehr angenehm mit Gretchens Papieren zu, welche ich aus ihrem Koffer zu mir genommen hatte. Ich fand mehrere Briefe ihrer Tante und drei oder vier von ihrem verstorbenen Lehrer darunter, einem alten Geistlichen, von welchem sie mir einige Mal mit großer Liebe und Dankbarkeit gesprochen hatte. Beide schienen treffliche Menschen gewesen zu sein; ich erkannte nun um so deutlicher, wie das seltene Mädchen in solcher Umgebung werden konnte, was sie war. End- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="15"> <p><pb facs="#f0075"/> Vormunds muß schriftlich vorliegen. — Ich schreibe ihm heute noch. Einwendungen sind nicht zu erwarten; in vier Tagen kann die Antwort hier sein. — Gut! sagte Morbach ziemlich ernsthaft; den Taufschein der Braut, und was sonst noch nöthig ist, hole ich mir morgen selbst bei Ihnen ab.</p><lb/> <p>Ich verließ den Doctor sehr vergnügt und fuhr eiligst nach Hause, um sogleich an Gretchens Vormund zu schreiben. Paul war seit dem frühen Morgen in einer drolligen Unruhe. Er hätte gern gewußt, was ich vorhatte, scheute sich aber doch, mich danach zu fragen. Als er indeß sah, daß Brigitte abgezogen sei, wurde er sehr aufgeräumt und that unverlangt, was er mir nur an den Augen abzusehen glaubte. Soll ich nicht die Stube gleich scheuern und ein wenig hübscher ausmalen lassen? fragte er; es kann ein recht artiges Zimmer für das liebe Mädchen werden, wenn sie zuweilen zu uns in die Stadt kommt. Laß das noch, Paul! sagte ich; es wird sich schon ein Zimmer für Gretchen finden.</p><lb/> <p>Den Abend brachte ich sehr angenehm mit Gretchens Papieren zu, welche ich aus ihrem Koffer zu mir genommen hatte. Ich fand mehrere Briefe ihrer Tante und drei oder vier von ihrem verstorbenen Lehrer darunter, einem alten Geistlichen, von welchem sie mir einige Mal mit großer Liebe und Dankbarkeit gesprochen hatte. Beide schienen treffliche Menschen gewesen zu sein; ich erkannte nun um so deutlicher, wie das seltene Mädchen in solcher Umgebung werden konnte, was sie war. End-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0075]
Vormunds muß schriftlich vorliegen. — Ich schreibe ihm heute noch. Einwendungen sind nicht zu erwarten; in vier Tagen kann die Antwort hier sein. — Gut! sagte Morbach ziemlich ernsthaft; den Taufschein der Braut, und was sonst noch nöthig ist, hole ich mir morgen selbst bei Ihnen ab.
Ich verließ den Doctor sehr vergnügt und fuhr eiligst nach Hause, um sogleich an Gretchens Vormund zu schreiben. Paul war seit dem frühen Morgen in einer drolligen Unruhe. Er hätte gern gewußt, was ich vorhatte, scheute sich aber doch, mich danach zu fragen. Als er indeß sah, daß Brigitte abgezogen sei, wurde er sehr aufgeräumt und that unverlangt, was er mir nur an den Augen abzusehen glaubte. Soll ich nicht die Stube gleich scheuern und ein wenig hübscher ausmalen lassen? fragte er; es kann ein recht artiges Zimmer für das liebe Mädchen werden, wenn sie zuweilen zu uns in die Stadt kommt. Laß das noch, Paul! sagte ich; es wird sich schon ein Zimmer für Gretchen finden.
Den Abend brachte ich sehr angenehm mit Gretchens Papieren zu, welche ich aus ihrem Koffer zu mir genommen hatte. Ich fand mehrere Briefe ihrer Tante und drei oder vier von ihrem verstorbenen Lehrer darunter, einem alten Geistlichen, von welchem sie mir einige Mal mit großer Liebe und Dankbarkeit gesprochen hatte. Beide schienen treffliche Menschen gewesen zu sein; ich erkannte nun um so deutlicher, wie das seltene Mädchen in solcher Umgebung werden konnte, was sie war. End-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T11:30:04Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T11:30:04Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |