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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.

Der Mangel oder das Ausbleiben des Gefühles der Evidenz genügt
ohne weiteres in der Regel noch nicht zu obigem Zwecke, dem Un-
gültigkeitsnachweise für eine gegebene Schlussfolgerung -- in An-
betracht dass man schon bei logisch berechtigten Schlüssen in ver-
wickelteren Fällen oft langer Schlussreihen, erst mühsamer Zwischen-
überlegungen bedarf, um das Gefühl von der Evidenz der Folgerung,
die Überzeugung von ihrer Denknotwendigkeit zu gewinnen.

l3) Ich habe noch zu erklären, weshalb hier die Logik als eine
Algebra dargestellt und in dieser Darstellung berechtigt erscheint, sich
im Gegensatz zu andern Behandlungsweisen vorzugsweise das Epitheton
einer "exakten" Logik beizulegen.

In dem Bestreben, die Grundgesetze folgerichtigen Denkens zum
Bewusstsein zu bringen und denselben einen allgemeinen, zugleich
möglichst einfachen Ausdruck zu geben, hat sich die Logik ursprünglich
enge an die Wortsprache angelehnt. Sie musste dieses thun, da ein
anderes Mittel des Gedankenausdrucks zunächst überhaupt nicht zu-
gebote stand, und sie wird auch in Zukunft fortfahren müssen, bis zu
einem gewissen Grade diesen Anschluss zu suchen, nicht nur, weil sie
sich dem Anfänger gegenüber stets in der gleichen Lage befindet,
sondern auch, weil überhaupt in absehbarer Zeit die Wortsprache
immerhin das Hauptmittel des Gedankenausdrucks sowie eine Haupt-
form des Gedankenvollzuges bleiben wird. Auch wir werden mit dieser
Anlehnung zu beginnen haben (1. Vorlesung).

Nachdem nun aber in Gestalt von so vielen andern Disziplineu
das Beispiel vorlag, wie förderlich es ist, sich für bestimmte Unter-
suchungsgebiete je eine eigene Zeichensprache zu schaffen und die
fundamentalen Sätze dieser Disziplinen, unter Benutzung von Buch-
staben als Symbolen, in allgemeine Formeln einzukleiden, hat nach
einer langen Zeit verhältnissmässig unfruchtbarer Stagnation auch die
Logik einen frischen Aufschwung genommen und sich in schon ziem-
lich zahlreichen neueren Bearbeitungen*) zu einer eigenen Buchstaben-
rechnung, einer Algebra der Logik entwickelt.

In dieser finden nun die Gesetze des folgerichtigen Denkens ihren
denkbar schärfsten, kürzesten und übersichtlichsten Ausdruck, in ihr
stellen sie sich in der konzisesten und knappsten Gestalt dar. Zugleich
befreit uns die neue Zeichensprache von all' den Fesseln, in welche
durch die Macht der Gewohnheit die Wortsprache den Menschengeist

*) Vergl. das Literaturverzeichniss am Schlusse.
Einleitung.

Der Mangel oder das Ausbleiben des Gefühles der Evidenz genügt
ohne weiteres in der Regel noch nicht zu obigem Zwecke, dem Un-
gültigkeitsnachweise für eine gegebene Schlussfolgerung — in An-
betracht dass man schon bei logisch berechtigten Schlüssen in ver-
wickelteren Fällen oft langer Schlussreihen, erst mühsamer Zwischen-
überlegungen bedarf, um das Gefühl von der Evidenz der Folgerung,
die Überzeugung von ihrer Denknotwendigkeit zu gewinnen.

λ3) Ich habe noch zu erklären, weshalb hier die Logik als eine
Algebra dargestellt und in dieser Darstellung berechtigt erscheint, sich
im Gegensatz zu andern Behandlungsweisen vorzugsweise das Epitheton
einer „exakten“ Logik beizulegen.

In dem Bestreben, die Grundgesetze folgerichtigen Denkens zum
Bewusstsein zu bringen und denselben einen allgemeinen, zugleich
möglichst einfachen Ausdruck zu geben, hat sich die Logik ursprünglich
enge an die Wortsprache angelehnt. Sie musste dieses thun, da ein
anderes Mittel des Gedankenausdrucks zunächst überhaupt nicht zu-
gebote stand, und sie wird auch in Zukunft fortfahren müssen, bis zu
einem gewissen Grade diesen Anschluss zu suchen, nicht nur, weil sie
sich dem Anfänger gegenüber stets in der gleichen Lage befindet,
sondern auch, weil überhaupt in absehbarer Zeit die Wortsprache
immerhin das Hauptmittel des Gedankenausdrucks sowie eine Haupt-
form des Gedankenvollzuges bleiben wird. Auch wir werden mit dieser
Anlehnung zu beginnen haben (1. Vorlesung).

Nachdem nun aber in Gestalt von so vielen andern Disziplineu
das Beispiel vorlag, wie förderlich es ist, sich für bestimmte Unter-
suchungsgebiete je eine eigene Zeichensprache zu schaffen und die
fundamentalen Sätze dieser Disziplinen, unter Benutzung von Buch-
staben als Symbolen, in allgemeine Formeln einzukleiden, hat nach
einer langen Zeit verhältnissmässig unfruchtbarer Stagnation auch die
Logik einen frischen Aufschwung genommen und sich in schon ziem-
lich zahlreichen neueren Bearbeitungen*) zu einer eigenen Buchstaben-
rechnung, einer Algebra der Logik entwickelt.

In dieser finden nun die Gesetze des folgerichtigen Denkens ihren
denkbar schärfsten, kürzesten und übersichtlichsten Ausdruck, in ihr
stellen sie sich in der konzisesten und knappsten Gestalt dar. Zugleich
befreit uns die neue Zeichensprache von all' den Fesseln, in welche
durch die Macht der Gewohnheit die Wortsprache den Menschengeist

*) Vergl. das Literaturverzeichniss am Schlusse.
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[118/0138] Einleitung. Der Mangel oder das Ausbleiben des Gefühles der Evidenz genügt ohne weiteres in der Regel noch nicht zu obigem Zwecke, dem Un- gültigkeitsnachweise für eine gegebene Schlussfolgerung — in An- betracht dass man schon bei logisch berechtigten Schlüssen in ver- wickelteren Fällen oft langer Schlussreihen, erst mühsamer Zwischen- überlegungen bedarf, um das Gefühl von der Evidenz der Folgerung, die Überzeugung von ihrer Denknotwendigkeit zu gewinnen. λ3) Ich habe noch zu erklären, weshalb hier die Logik als eine Algebra dargestellt und in dieser Darstellung berechtigt erscheint, sich im Gegensatz zu andern Behandlungsweisen vorzugsweise das Epitheton einer „exakten“ Logik beizulegen. In dem Bestreben, die Grundgesetze folgerichtigen Denkens zum Bewusstsein zu bringen und denselben einen allgemeinen, zugleich möglichst einfachen Ausdruck zu geben, hat sich die Logik ursprünglich enge an die Wortsprache angelehnt. Sie musste dieses thun, da ein anderes Mittel des Gedankenausdrucks zunächst überhaupt nicht zu- gebote stand, und sie wird auch in Zukunft fortfahren müssen, bis zu einem gewissen Grade diesen Anschluss zu suchen, nicht nur, weil sie sich dem Anfänger gegenüber stets in der gleichen Lage befindet, sondern auch, weil überhaupt in absehbarer Zeit die Wortsprache immerhin das Hauptmittel des Gedankenausdrucks sowie eine Haupt- form des Gedankenvollzuges bleiben wird. Auch wir werden mit dieser Anlehnung zu beginnen haben (1. Vorlesung). Nachdem nun aber in Gestalt von so vielen andern Disziplineu das Beispiel vorlag, wie förderlich es ist, sich für bestimmte Unter- suchungsgebiete je eine eigene Zeichensprache zu schaffen und die fundamentalen Sätze dieser Disziplinen, unter Benutzung von Buch- staben als Symbolen, in allgemeine Formeln einzukleiden, hat nach einer langen Zeit verhältnissmässig unfruchtbarer Stagnation auch die Logik einen frischen Aufschwung genommen und sich in schon ziem- lich zahlreichen neueren Bearbeitungen *) zu einer eigenen Buchstaben- rechnung, einer Algebra der Logik entwickelt. In dieser finden nun die Gesetze des folgerichtigen Denkens ihren denkbar schärfsten, kürzesten und übersichtlichsten Ausdruck, in ihr stellen sie sich in der konzisesten und knappsten Gestalt dar. Zugleich befreit uns die neue Zeichensprache von all' den Fesseln, in welche durch die Macht der Gewohnheit die Wortsprache den Menschengeist *) Vergl. das Literaturverzeichniss am Schlusse.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/138>, abgerufen am 25.11.2024.