nur anzuerkennen vermögen für eine völlig leere Mannigfaltigkeit 1, eine Mannigfaltigkeit, welche selbst gar kein Element oder Individuum enthält -- und eine solche schliessen wir von unsern Betrachtungen grundsätzlich aus.
Die vorstehende Überlegung würde -- mutatis mutandis -- auch statt- haft gewesen sein, wenn man in ihr das Symbol 1 von Anfang an durch den Namen irgend einer speziellen Klasse b der erstbetrachteten Mannigfaltig- keit ersetzt hätte; sie würde ebenso auf die absurde Gleichung 0 = b ge- führt haben. Und zwar wie folgt: Es gelte 0 a für jede Klasse a. Versteht man unter a die Klasse derjenigen Gebiete, welche gleich b sind, so muss diese neben b (welches ja von allen Gebieten ganz allein gleich b ist) auch die identische 0 enthalten, was eben die Subsumtion 0 a behauptet. Dann muss also auch 0 ein solches Gebiet sein, welches gleich b ist; es folgt (im Widerspruch mit Obigem) so: 0 = b -- für jedes b!
Diese Überlegungen zeigen, dass Boole's universelle Interpretation der 1 in der That eine zu weitgehende gewesen.*)
Im eigentlichen Gebietekalkul, für die Gebiete a einer Mannigfal- tigkeit 1 von Punkten z. B., lässt sich die Subsumtion 0 a, wie wir schon sahen, ganz unumschränkt aufrecht erhalten.
Doch ist nun die Frage zu beantworten, inwiefern sich die Ge- setze des Kalkuls auch auf die Mannigfaltigkeit, gebildet aus allen möglichen Klassen, aus irgendwelchen Objekten des Denkens werden über- tragen lassen.
Es ist gezeigt, dass es unzulässig ist, diese Mannigfaltigkeit 1 vollkommen bestimmungslos, sie gänzlich uneingeschränkt oder offen zu lassen, indem sich gewisse denkmögliche Formulirungen der Prädi- katklasse a schon in (2x) als unzulässig erwiesen. Wie muss sie nun aber beschaffen sein, damit auf sie angewendet, die Regeln des Kal- kuls, insbesondre die Def. (2x), zu Widersprüchen in sich nicht mehr führen können?
Ich will die Antwort auf diese schwierige Frage zu geben versuchen.
Wir haben es zunächst zu thun mit einer Mannigfaltigkeit von irgend welchen "Dingen" -- Objekten des Denkens überhaupt -- als "Elementen" oder "Individuen". Diese mögen (sämtlich oder auch zum Teil) von vornherein gegeben, oder aber (zum andern Teil oder sämt- lich) nur begrifflich irgendwie bestimmt sein. Denn völlig bestimmungs- los dürfen sie, wie schon gezeigt, nicht bleiben.
Damit die Symbole 0 und 1 etc. nach den Regeln des Kalkuls in dieser Mannigfaltigkeit verwendbar seien, wird dieselbe hinsichtlich
*) Bei Abfassung meines "Operationskreis etc." hatte ich diesen Umstand noch nicht beachtet.
Vierte Vorlesung.
nur anzuerkennen vermögen für eine völlig leere Mannigfaltigkeit 1, eine Mannigfaltigkeit, welche selbst gar kein Element oder Individuum enthält — und eine solche schliessen wir von unsern Betrachtungen grundsätzlich aus.
Die vorstehende Überlegung würde — mutatis mutandis — auch statt- haft gewesen sein, wenn man in ihr das Symbol 1 von Anfang an durch den Namen irgend einer speziellen Klasse b der erstbetrachteten Mannigfaltig- keit ersetzt hätte; sie würde ebenso auf die absurde Gleichung 0 = b ge- führt haben. Und zwar wie folgt: Es gelte 0 ⋹ a für jede Klasse a. Versteht man unter a die Klasse derjenigen Gebiete, welche gleich b sind, so muss diese neben b (welches ja von allen Gebieten ganz allein gleich b ist) auch die identische 0 enthalten, was eben die Subsumtion 0 ⋹ a behauptet. Dann muss also auch 0 ein solches Gebiet sein, welches gleich b ist; es folgt (im Widerspruch mit Obigem) so: 0 = b — für jedes b!
Diese Überlegungen zeigen, dass Boole's universelle Interpretation der 1 in der That eine zu weitgehende gewesen.*)
Im eigentlichen Gebietekalkul, für die Gebiete a einer Mannigfal- tigkeit 1 von Punkten z. B., lässt sich die Subsumtion 0 ⋹ a, wie wir schon sahen, ganz unumschränkt aufrecht erhalten.
Doch ist nun die Frage zu beantworten, inwiefern sich die Ge- setze des Kalkuls auch auf die Mannigfaltigkeit, gebildet aus allen möglichen Klassen, aus irgendwelchen Objekten des Denkens werden über- tragen lassen.
Es ist gezeigt, dass es unzulässig ist, diese Mannigfaltigkeit 1 vollkommen bestimmungslos, sie gänzlich uneingeschränkt oder offen zu lassen, indem sich gewisse denkmögliche Formulirungen der Prädi- katklasse a schon in (2×) als unzulässig erwiesen. Wie muss sie nun aber beschaffen sein, damit auf sie angewendet, die Regeln des Kal- kuls, insbesondre die Def. (2×), zu Widersprüchen in sich nicht mehr führen können?
Ich will die Antwort auf diese schwierige Frage zu geben versuchen.
Wir haben es zunächst zu thun mit einer Mannigfaltigkeit von irgend welchen „Dingen“ — Objekten des Denkens überhaupt — als „Elementen“ oder „Individuen“. Diese mögen (sämtlich oder auch zum Teil) von vornherein gegeben, oder aber (zum andern Teil oder sämt- lich) nur begrifflich irgendwie bestimmt sein. Denn völlig bestimmungs- los dürfen sie, wie schon gezeigt, nicht bleiben.
Damit die Symbole 0 und 1 etc. nach den Regeln des Kalkuls in dieser Mannigfaltigkeit verwendbar seien, wird dieselbe hinsichtlich
*) Bei Abfassung meines „Operationskreis etc.“ hatte ich diesen Umstand noch nicht beachtet.
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Vierte Vorlesung.
nur anzuerkennen vermögen für eine völlig leere Mannigfaltigkeit 1,
eine Mannigfaltigkeit, welche selbst gar kein Element oder Individuum
enthält — und eine solche schliessen wir von unsern Betrachtungen
grundsätzlich aus.
Die vorstehende Überlegung würde — mutatis mutandis — auch statt-
haft gewesen sein, wenn man in ihr das Symbol 1 von Anfang an durch
den Namen irgend einer speziellen Klasse b der erstbetrachteten Mannigfaltig-
keit ersetzt hätte; sie würde ebenso auf die absurde Gleichung 0 = b ge-
führt haben. Und zwar wie folgt: Es gelte 0 ⋹ a für jede Klasse a.
Versteht man unter a die Klasse derjenigen Gebiete, welche gleich b sind,
so muss diese neben b (welches ja von allen Gebieten ganz allein gleich
b ist) auch die identische 0 enthalten, was eben die Subsumtion 0 ⋹ a
behauptet. Dann muss also auch 0 ein solches Gebiet sein, welches gleich
b ist; es folgt (im Widerspruch mit Obigem) so: 0 = b — für jedes b!
Diese Überlegungen zeigen, dass Boole's universelle Interpretation
der 1 in der That eine zu weitgehende gewesen. *)
Im eigentlichen Gebietekalkul, für die Gebiete a einer Mannigfal-
tigkeit 1 von Punkten z. B., lässt sich die Subsumtion 0 ⋹ a, wie wir
schon sahen, ganz unumschränkt aufrecht erhalten.
Doch ist nun die Frage zu beantworten, inwiefern sich die Ge-
setze des Kalkuls auch auf die Mannigfaltigkeit, gebildet aus allen
möglichen Klassen, aus irgendwelchen Objekten des Denkens werden über-
tragen lassen.
Es ist gezeigt, dass es unzulässig ist, diese Mannigfaltigkeit 1
vollkommen bestimmungslos, sie gänzlich uneingeschränkt oder offen
zu lassen, indem sich gewisse denkmögliche Formulirungen der Prädi-
katklasse a schon in (2×) als unzulässig erwiesen. Wie muss sie nun
aber beschaffen sein, damit auf sie angewendet, die Regeln des Kal-
kuls, insbesondre die Def. (2×), zu Widersprüchen in sich nicht mehr
führen können?
Ich will die Antwort auf diese schwierige Frage zu geben versuchen.
Wir haben es zunächst zu thun mit einer Mannigfaltigkeit von
irgend welchen „Dingen“ — Objekten des Denkens überhaupt — als
„Elementen“ oder „Individuen“. Diese mögen (sämtlich oder auch zum
Teil) von vornherein gegeben, oder aber (zum andern Teil oder sämt-
lich) nur begrifflich irgendwie bestimmt sein. Denn völlig bestimmungs-
los dürfen sie, wie schon gezeigt, nicht bleiben.
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/266>, abgerufen am 21.11.2024.
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