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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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die, wie Sigwart, auf einem, dem hier zu rechtfertigenden entgegen-
gesetzten Standpunkte bestehen zu müssen glauben.

Wir haben jetzt den Sinn der Aussagen b) und g) als der beiden
Deutungsmöglichkeiten von a) selbständig festgestellt und vorweg
die einschlägigen Benennungsfragen erledigt.

Nunmehr können wir dazu schreiten, zu zeigen, dass die Bedeu-
tung der beiden Urteile b
), g) in der That grundverschieden ist. Im An-
schluss daran wird sich dann auch herausstellen, welches von beiden
die dem Urteil a) rechtmässig zukommende Deutung ist.

Ob in a) die Verneinungspartikel "nicht" in dem angeführten
Sinne zur Kopula, oder ob sie zum Prädikat geschlagen wird, wird
sich als gleichgültig uns nur dann erweisen, wenn das Urteil a) ein
singulares ist, d. h. wenn das Subjekt A des Urteils Keine Klasse, son-
dern ein Individuum vorstellt, wenn es mithin nicht durch einen Ge-
meinnamen als ein vieldeutiger Term, sondern als ein eindeutiger Term
durch einen Eigennamen ausgedrückt sich darstellt.

Stellt A einen Punkt unsrer Mannigfaltigkeit vor, so decken sich
die Aussagen b') und g'). Wenn der Punkt einem Gebiete B nicht
angehört, so gehört er notwendig dem Aussengebiete, der Negation
des letztern oder dem Gebiete Nicht-B an, und umgekehrt. Der Punkt
kann nicht gespalten werden; er kann nicht in zwei einander aus-
schliessende Gebiete zugleich hineinragen.

Ebenso, wenn A ein Individuum vorstellt.

Die Musik von Beethoven -- ich meine diese selber, und zwar (um
ein ganz individuelles Subjekt zu erhalten) bei einer bestimmten Gelegen-
heit von gewissen Künstlern exekutirt, nicht etwa aber die gedruckten
Noten -- "ist nicht" schwarz. Sie ist folglich "nicht-schwarz".

Oder, um noch ein besseres Beispiel zu nehmen:

Das Kind frägt: "Darf ich dies thun?" Der Vater sagt: "Nein!"
und er mag diese Antwort ausführlicher in den Satz kleiden: "Du
darfst dies nicht thun."

Dies ist zunächst wol zu unterscheiden von: Du darfst es "nicht thun",
d. h. Du darfst es unterlassen! Man sieht: die Verneinungspartikel gehört
nicht zu dem ihr unmittelbar folgenden Worte "thun", sondern zu dem
Worte "darfst" und wäre logisch-konsequenter Weise, aber im Gegensatz
zum Sprachgebrauche, eigentlich voranzustellen dem Prädikate "darfst dies
thun" des entsprechenden bejahenden Urteils. Im Englischen wird sie schon
etwas weiter vorangenommen: "You dare not do that", und am unzwei-
deutigsten prägt sich ihre Bezugnahme auf das Verbum "dürfen", wel-
ches das nachfolgende regirt, im Französischen aus: "Tu ne dois pas
faire cela".

Ob wir nun das Verbot "Du darfst dies nicht thun" wie vor-

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die, wie Sigwart, auf einem, dem hier zu rechtfertigenden entgegen-
gesetzten Standpunkte bestehen zu müssen glauben.

Wir haben jetzt den Sinn der Aussagen β) und γ) als der beiden
Deutungsmöglichkeiten von α) selbständig festgestellt und vorweg
die einschlägigen Benennungsfragen erledigt.

Nunmehr können wir dazu schreiten, zu zeigen, dass die Bedeu-
tung der beiden Urteile β
), γ) in der That grundverschieden ist. Im An-
schluss daran wird sich dann auch herausstellen, welches von beiden
die dem Urteil α) rechtmässig zukommende Deutung ist.

Ob in α) die Verneinungspartikel „nicht“ in dem angeführten
Sinne zur Kopula, oder ob sie zum Prädikat geschlagen wird, wird
sich als gleichgültig uns nur dann erweisen, wenn das Urteil α) ein
singulares ist, d. h. wenn das Subjekt A des Urteils Keine Klasse, son-
dern ein Individuum vorstellt, wenn es mithin nicht durch einen Ge-
meinnamen als ein vieldeutiger Term, sondern als ein eindeutiger Term
durch einen Eigennamen ausgedrückt sich darstellt.

Stellt A einen Punkt unsrer Mannigfaltigkeit vor, so decken sich
die Aussagen β') und γ'). Wenn der Punkt einem Gebiete B nicht
angehört, so gehört er notwendig dem Aussengebiete, der Negation
des letztern oder dem Gebiete Nicht-B an, und umgekehrt. Der Punkt
kann nicht gespalten werden; er kann nicht in zwei einander aus-
schliessende Gebiete zugleich hineinragen.

Ebenso, wenn A ein Individuum vorstellt.

Die Musik von Beethoven — ich meine diese selber, und zwar (um
ein ganz individuelles Subjekt zu erhalten) bei einer bestimmten Gelegen-
heit von gewissen Künstlern exekutirt, nicht etwa aber die gedruckten
Noten — »ist nicht« schwarz. Sie ist folglich »nicht-schwarz«.

Oder, um noch ein besseres Beispiel zu nehmen:

Das Kind frägt: „Darf ich dies thun?“ Der Vater sagt: „Nein!“
und er mag diese Antwort ausführlicher in den Satz kleiden: „Du
darfst dies nicht thun.“

Dies ist zunächst wol zu unterscheiden von: Du darfst es »nicht thun«,
d. h. Du darfst es unterlassen! Man sieht: die Verneinungspartikel gehört
nicht zu dem ihr unmittelbar folgenden Worte „thun“, sondern zu dem
Worte „darfst“ und wäre logisch-konsequenter Weise, aber im Gegensatz
zum Sprachgebrauche, eigentlich voranzustellen dem Prädikate „darfst dies
thun“ des entsprechenden bejahenden Urteils. Im Englischen wird sie schon
etwas weiter vorangenommen: „You dare not do that“, und am unzwei-
deutigsten prägt sich ihre Bezugnahme auf das Verbum „dürfen“, wel-
ches das nachfolgende regirt, im Französischen aus: „Tu ne dois pas
faire cela“.

Ob wir nun das Verbot „Du darfst dies nicht thun“ wie vor-

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[326/0346] Siebente Vorlesung. die, wie Sigwart, auf einem, dem hier zu rechtfertigenden entgegen- gesetzten Standpunkte bestehen zu müssen glauben. Wir haben jetzt den Sinn der Aussagen β) und γ) als der beiden Deutungsmöglichkeiten von α) selbständig festgestellt und vorweg die einschlägigen Benennungsfragen erledigt. Nunmehr können wir dazu schreiten, zu zeigen, dass die Bedeu- tung der beiden Urteile β), γ) in der That grundverschieden ist. Im An- schluss daran wird sich dann auch herausstellen, welches von beiden die dem Urteil α) rechtmässig zukommende Deutung ist. Ob in α) die Verneinungspartikel „nicht“ in dem angeführten Sinne zur Kopula, oder ob sie zum Prädikat geschlagen wird, wird sich als gleichgültig uns nur dann erweisen, wenn das Urteil α) ein singulares ist, d. h. wenn das Subjekt A des Urteils Keine Klasse, son- dern ein Individuum vorstellt, wenn es mithin nicht durch einen Ge- meinnamen als ein vieldeutiger Term, sondern als ein eindeutiger Term durch einen Eigennamen ausgedrückt sich darstellt. Stellt A einen Punkt unsrer Mannigfaltigkeit vor, so decken sich die Aussagen β') und γ'). Wenn der Punkt einem Gebiete B nicht angehört, so gehört er notwendig dem Aussengebiete, der Negation des letztern oder dem Gebiete Nicht-B an, und umgekehrt. Der Punkt kann nicht gespalten werden; er kann nicht in zwei einander aus- schliessende Gebiete zugleich hineinragen. Ebenso, wenn A ein Individuum vorstellt. Die Musik von Beethoven — ich meine diese selber, und zwar (um ein ganz individuelles Subjekt zu erhalten) bei einer bestimmten Gelegen- heit von gewissen Künstlern exekutirt, nicht etwa aber die gedruckten Noten — »ist nicht« schwarz. Sie ist folglich »nicht-schwarz«. Oder, um noch ein besseres Beispiel zu nehmen: Das Kind frägt: „Darf ich dies thun?“ Der Vater sagt: „Nein!“ und er mag diese Antwort ausführlicher in den Satz kleiden: „Du darfst dies nicht thun.“ Dies ist zunächst wol zu unterscheiden von: Du darfst es »nicht thun«, d. h. Du darfst es unterlassen! Man sieht: die Verneinungspartikel gehört nicht zu dem ihr unmittelbar folgenden Worte „thun“, sondern zu dem Worte „darfst“ und wäre logisch-konsequenter Weise, aber im Gegensatz zum Sprachgebrauche, eigentlich voranzustellen dem Prädikate „darfst dies thun“ des entsprechenden bejahenden Urteils. Im Englischen wird sie schon etwas weiter vorangenommen: „You dare not do that“, und am unzwei- deutigsten prägt sich ihre Bezugnahme auf das Verbum „dürfen“, wel- ches das nachfolgende regirt, im Französischen aus: „Tu ne dois pas faire cela“. Ob wir nun das Verbot „Du darfst dies nicht thun“ wie vor-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/346>, abgerufen am 23.11.2024.