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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
ein Merkmal und damit auch als ein Begriff anzuerkennen, wie denn auch
die Sprache dafür die soeben angeführten abstrakten Begriffswörter und
überhaupt -- vor allem in Gestalt der mit der Vorsilbe "un-" zusammen-
gesetzten Beiwörter und Hauptwörter -- eine Unmasse von Benennungen hat.

Es ist ein Merkmal des Schalles, Tons oder Klanges z. B., dass er
der Farbe (im eigentlichen, nicht im übertragenen Sinne) entbehrt, dass er
überhaupt nicht auf den Gesichtssinn wirkt. Wir erblicken darin eine Ver-
schiedenheit, einen Gegensatz, Kontrast desselben z. B. mit dem Bilde des
Spektrums. Soll auch "Kontrast" nicht als ein Merkmal gelten?

Warum, frage ich -- um noch ein Beispiel zu nehmen -- warum soll
es nicht ein Merkmal für die Katze der Insel Man ("Manxcat") genannt
werden, dass sie keinen Schwanz besitzt? Mir scheint es für die Katzen
dieser Rasse noch ein wichtigeres Merkmal zu sein, dass sie keinen, als
für die übrigen Katzen, dass sie einen Schwanz jeweils besitzen.

Wer sich diesem zuzustimmen weigerte, müsste vor allem ein unfehl-
bares, vom sprachlichen Ausdruck unabhüngiges Kennzeichen aufstellen, wo-
nach über die "positive" Natur eines Merkmals zu entscheiden wäre, z. B.
sich ergeben würde, ob parallel oder schneidend, ob gesund oder krank,
nützlich oder schädlich, frei oder gebunden, vorwärts oder rückwärts, gleich
oder verschieden, etc. das positive (Beziehungs-) Merkmal.

Sofern wir die Klasse "Mensch" als eine wohldefinirte anzusehen ver-
mögen, glauben wir mit dem Begriffe "Mensch" ein Mittel zu besitzen,
Alles, was (ein) Mensch ist, zu unterscheiden von allem Erdenklichen, was
es nicht ist. Diese Unterscheidung ist eine gegenseitige. Im ferneren
Besitze des fundamentalen Begriffs der Verneinung, "begreifen" wir damit
auch, was es heisst, wenn sich die für den "Menschen" charakteristische
Merkmalgruppe an einem Objekt des Denkens nicht, oder nicht vollständig,
vorfinden sollte. Wir haben damit von selbst auch den "Begriff": "Nicht-
Mensch", und haben es gar nicht nötig, nach weiteren gemeinsamen Merk-
malen "von Dreieck, Wehmut und Schwefelsäure etc." noch besonders zu
suchen, indem das Nichtzutreffen jener bestimmten Merkmalgruppe als
Merkmal völlig genügt, um den Begriff "Nicht-Mensch" zu charakterisiren
und (kraft des in Gestalt dieses Merkmals in uns wirksamen Prinzips) die
Klasse "Nicht-mensch" zu einer genau ebenso wohldefinirten Klasse zu
machen, als die Klasse "Mensch" es war. Vergl. g3) der Einleitung.

Auch wer die Existenz eines Inhaltes zu dem angeblichen Begriffe
Nichtmensch leugnet, indem er bei einer engeren, doktrinären, Auffassung
des "Begriffes" verharrt, wird aber wenigstens zugeben müssen, dass ein
"Umfang" zu diesem streitigen Begriffe in Gestalt der Klasse wirklich
vorhanden ist (S. 99), dass der Begriff mindestens "dem Umfange nach"
existirt -- und dies genügt für eine Logik des Umfanges!

Allerdings muss die Mannigfaltigkeit unsrer Denkobjekte, damit
in ihr der Negationsbegriff aufstellbar ist, gewisse Anforderungen*)

*) Diese Anforderungen vermöchte aber eine neben dem Menschen auch die
Dreiecke, Wehmut und Schwefelsäure nebst noch vielem andern enthaltende
Mannigfaltigkeit -- für unser obiges Beispiel -- in der That zu erfüllen.
Schröder, Algebra der Logik. 22

§ 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen.
ein Merkmal und damit auch als ein Begriff anzuerkennen, wie denn auch
die Sprache dafür die soeben angeführten abstrakten Begriffswörter und
überhaupt — vor allem in Gestalt der mit der Vorsilbe „un-“ zusammen-
gesetzten Beiwörter und Hauptwörter — eine Unmasse von Benennungen hat.

Es ist ein Merkmal des Schalles, Tons oder Klanges z. B., dass er
der Farbe (im eigentlichen, nicht im übertragenen Sinne) entbehrt, dass er
überhaupt nicht auf den Gesichtssinn wirkt. Wir erblicken darin eine Ver-
schiedenheit, einen Gegensatz, Kontrast desselben z. B. mit dem Bilde des
Spektrums. Soll auch „Kontrast“ nicht als ein Merkmal gelten?

Warum, frage ich — um noch ein Beispiel zu nehmen — warum soll
es nicht ein Merkmal für die Katze der Insel Man („Manxcat“) genannt
werden, dass sie keinen Schwanz besitzt? Mir scheint es für die Katzen
dieser Rasse noch ein wichtigeres Merkmal zu sein, dass sie keinen, als
für die übrigen Katzen, dass sie einen Schwanz jeweils besitzen.

Wer sich diesem zuzustimmen weigerte, müsste vor allem ein unfehl-
bares, vom sprachlichen Ausdruck unabhüngiges Kennzeichen aufstellen, wo-
nach über die „positive“ Natur eines Merkmals zu entscheiden wäre, z. B.
sich ergeben würde, ob parallel oder schneidend, ob gesund oder krank,
nützlich oder schädlich, frei oder gebunden, vorwärts oder rückwärts, gleich
oder verschieden, etc. das positive (Beziehungs-) Merkmal.

Sofern wir die Klasse „Mensch“ als eine wohldefinirte anzusehen ver-
mögen, glauben wir mit dem Begriffe „Mensch“ ein Mittel zu besitzen,
Alles, was (ein) Mensch ist, zu unterscheiden von allem Erdenklichen, was
es nicht ist. Diese Unterscheidung ist eine gegenseitige. Im ferneren
Besitze des fundamentalen Begriffs der Verneinung, „begreifen“ wir damit
auch, was es heisst, wenn sich die für den „Menschen“ charakteristische
Merkmalgruppe an einem Objekt des Denkens nicht, oder nicht vollständig,
vorfinden sollte. Wir haben damit von selbst auch den „Begriff“: „Nicht-
Mensch“, und haben es gar nicht nötig, nach weiteren gemeinsamen Merk-
malen „von Dreieck, Wehmut und Schwefelsäure etc.“ noch besonders zu
suchen, indem das Nichtzutreffen jener bestimmten Merkmalgruppe als
Merkmal völlig genügt, um den Begriff „Nicht-Mensch“ zu charakterisiren
und (kraft des in Gestalt dieses Merkmals in uns wirksamen Prinzips) die
Klasse „Nicht-mensch“ zu einer genau ebenso wohldefinirten Klasse zu
machen, als die Klasse „Mensch“ es war. Vergl. γ3) der Einleitung.

Auch wer die Existenz eines Inhaltes zu dem angeblichen Begriffe
Nichtmensch leugnet, indem er bei einer engeren, doktrinären, Auffassung
des „Begriffes“ verharrt, wird aber wenigstens zugeben müssen, dass ein
Umfang“ zu diesem streitigen Begriffe in Gestalt der Klasse wirklich
vorhanden ist (S. 99), dass der Begriff mindestens „dem Umfange nach“
existirt — und dies genügt für eine Logik des Umfanges!

Allerdings muss die Mannigfaltigkeit unsrer Denkobjekte, damit
in ihr der Negationsbegriff aufstellbar ist, gewisse Anforderungen*)

*) Diese Anforderungen vermöchte aber eine neben dem Menschen auch die
Dreiecke, Wehmut und Schwefelsäure nebst noch vielem andern enthaltende
Mannigfaltigkeit — für unser obiges Beispiel — in der That zu erfüllen.
Schröder, Algebra der Logik. 22
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[337/0357] § 15. Negative Urteile als negativ prädizirende anzusehen. ein Merkmal und damit auch als ein Begriff anzuerkennen, wie denn auch die Sprache dafür die soeben angeführten abstrakten Begriffswörter und überhaupt — vor allem in Gestalt der mit der Vorsilbe „un-“ zusammen- gesetzten Beiwörter und Hauptwörter — eine Unmasse von Benennungen hat. Es ist ein Merkmal des Schalles, Tons oder Klanges z. B., dass er der Farbe (im eigentlichen, nicht im übertragenen Sinne) entbehrt, dass er überhaupt nicht auf den Gesichtssinn wirkt. Wir erblicken darin eine Ver- schiedenheit, einen Gegensatz, Kontrast desselben z. B. mit dem Bilde des Spektrums. Soll auch „Kontrast“ nicht als ein Merkmal gelten? Warum, frage ich — um noch ein Beispiel zu nehmen — warum soll es nicht ein Merkmal für die Katze der Insel Man („Manxcat“) genannt werden, dass sie keinen Schwanz besitzt? Mir scheint es für die Katzen dieser Rasse noch ein wichtigeres Merkmal zu sein, dass sie keinen, als für die übrigen Katzen, dass sie einen Schwanz jeweils besitzen. Wer sich diesem zuzustimmen weigerte, müsste vor allem ein unfehl- bares, vom sprachlichen Ausdruck unabhüngiges Kennzeichen aufstellen, wo- nach über die „positive“ Natur eines Merkmals zu entscheiden wäre, z. B. sich ergeben würde, ob parallel oder schneidend, ob gesund oder krank, nützlich oder schädlich, frei oder gebunden, vorwärts oder rückwärts, gleich oder verschieden, etc. das positive (Beziehungs-) Merkmal. Sofern wir die Klasse „Mensch“ als eine wohldefinirte anzusehen ver- mögen, glauben wir mit dem Begriffe „Mensch“ ein Mittel zu besitzen, Alles, was (ein) Mensch ist, zu unterscheiden von allem Erdenklichen, was es nicht ist. Diese Unterscheidung ist eine gegenseitige. Im ferneren Besitze des fundamentalen Begriffs der Verneinung, „begreifen“ wir damit auch, was es heisst, wenn sich die für den „Menschen“ charakteristische Merkmalgruppe an einem Objekt des Denkens nicht, oder nicht vollständig, vorfinden sollte. Wir haben damit von selbst auch den „Begriff“: „Nicht- Mensch“, und haben es gar nicht nötig, nach weiteren gemeinsamen Merk- malen „von Dreieck, Wehmut und Schwefelsäure etc.“ noch besonders zu suchen, indem das Nichtzutreffen jener bestimmten Merkmalgruppe als Merkmal völlig genügt, um den Begriff „Nicht-Mensch“ zu charakterisiren und (kraft des in Gestalt dieses Merkmals in uns wirksamen Prinzips) die Klasse „Nicht-mensch“ zu einer genau ebenso wohldefinirten Klasse zu machen, als die Klasse „Mensch“ es war. Vergl. γ3) der Einleitung. Auch wer die Existenz eines Inhaltes zu dem angeblichen Begriffe Nichtmensch leugnet, indem er bei einer engeren, doktrinären, Auffassung des „Begriffes“ verharrt, wird aber wenigstens zugeben müssen, dass ein „Umfang“ zu diesem streitigen Begriffe in Gestalt der Klasse wirklich vorhanden ist (S. 99), dass der Begriff mindestens „dem Umfange nach“ existirt — und dies genügt für eine Logik des Umfanges! Allerdings muss die Mannigfaltigkeit unsrer Denkobjekte, damit in ihr der Negationsbegriff aufstellbar ist, gewisse Anforderungen *) *) Diese Anforderungen vermöchte aber eine neben dem Menschen auch die Dreiecke, Wehmut und Schwefelsäure nebst noch vielem andern enthaltende Mannigfaltigkeit — für unser obiges Beispiel — in der That zu erfüllen. Schröder, Algebra der Logik. 22

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/357>, abgerufen am 21.11.2024.