mos, den wir kurz, wenn auch nicht erschöpfend, die Ideenwelt, Gedankenwelt des Individuums nennen mögen.
r) Was uns zur Anerkennung auch des Makrokosmus, der Aussen- welt nötigt, zwingt, ist die schon von früh auf gemachte und seitdem fast unaufhörlich wiederholte Wahrnehmung resp. innere Erfahrung, dass wir über gewisse Teile der uns unmittelbar bewussten Gedanken- welt nicht willkürlich verfügen können.
Schon der Säugling kann das Gefühl des Hungers nicht willkürlich beseitigen, kann sich dem Eindruck blendenden Lichtes, wenn er etwa schlafen möchte, nicht verschliessen. Andere Teile unsrer Gedankenwelt, dagegen, sind wir uns unmittelbar bewusst, selbstthätig, frei, nach unserm Willen zu gestalten. Wir können uns z. B., sobald es uns beliebt, einen grünen Tannenbaum vorstellen, oder, wenn wir mögen, auch einen schnee- bedeckten, desgleichen rote Farbe, etc. etc. Wir mögen uns angenehmer Erlebnisse, einer hübschen Melodie erinnern und uns auch bessere Zustände hoffnungsfreudig ausmalen. Schwerer schon fällt es, unangenehme Er- innerungen los zu werden.
s) Einzelnes, was in unser Bewusstsein eintritt, empfinden wir unangenehm als Schmerz, Leid, Ärgerniss, Kummer; Manches lässt uns als ein gleichgültig Empfundenes indifferent, Anderes empfinden wir als angenehm mit Genuss, Lust, Wohlbehagen, Freude. Jenes erstere veranlasst uns, die Beseitigung, dieses letztere, die Fortdauer, eventuell Wiederholung seiner selbst zu erstreben. Abermaliges Rätsel: das Wesen der Affekte, von Zu- und Abneigung, von Schmerz und Lust.
Dass beides, wenn auch vermutlich davon bedingt und stets davon begleitet, nicht -- wie nach der materialistischen Weltanschauung -- lediglich in Bewegungszuständen, in einem mehr oder weniger rhythmisch ausgeführten Tanze unsrer Gehirnmoleküle bestehen könne, dass auch der vollendetste Automat noch kein fühlender Mensch wäre, Empfindung über- haupt nicht auflösbar ist in Bewegung, steht mir vorderhand dogmatisch fest. Dafür gegebene "Beweise" vermag ich indessen als solche nicht anzuerkennen.
t) Durch unsre physischen und psychischen Triebe, durch die Ab- neigung, auch Furcht, vor Schmerz, sowie die Erwartung von, Aus- sicht auf Genuss bedingt, bilden sich Wünsche in uns aus, werden wir uns gewisser Willensstrebungen, eines bestimmten Wollens un- mittelbar bewusst; wir nehmen Willensakte in uns vor. Und diese Thatsache des Vorhandenseins eines menschlichen Willens nun hängt auf das innigste mit der Anerkennung der Aussenwelt zusammen; sie scheint geradezu eine Vorbedingung*) zu dieser zu bilden, indem die
*) Auch umgekehrt würde unser Wille unfähig sein in die Erscheinung zu treten ohne das Hinzukommen der Aussenwelt als eines Gegenstandes, an welchem derselbe sich erprobt, bethätigt und übt.
Einleitung.
mos, den wir kurz, wenn auch nicht erschöpfend, die Ideenwelt, Gedankenwelt des Individuums nennen mögen.
ϱ) Was uns zur Anerkennung auch des Makrokosmus, der Aussen- welt nötigt, zwingt, ist die schon von früh auf gemachte und seitdem fast unaufhörlich wiederholte Wahrnehmung resp. innere Erfahrung, dass wir über gewisse Teile der uns unmittelbar bewussten Gedanken- welt nicht willkürlich verfügen können.
Schon der Säugling kann das Gefühl des Hungers nicht willkürlich beseitigen, kann sich dem Eindruck blendenden Lichtes, wenn er etwa schlafen möchte, nicht verschliessen. Andere Teile unsrer Gedankenwelt, dagegen, sind wir uns unmittelbar bewusst, selbstthätig, frei, nach unserm Willen zu gestalten. Wir können uns z. B., sobald es uns beliebt, einen grünen Tannenbaum vorstellen, oder, wenn wir mögen, auch einen schnee- bedeckten, desgleichen rote Farbe, etc. etc. Wir mögen uns angenehmer Erlebnisse, einer hübschen Melodie erinnern und uns auch bessere Zustände hoffnungsfreudig ausmalen. Schwerer schon fällt es, unangenehme Er- innerungen los zu werden.
σ) Einzelnes, was in unser Bewusstsein eintritt, empfinden wir unangenehm als Schmerz, Leid, Ärgerniss, Kummer; Manches lässt uns als ein gleichgültig Empfundenes indifferent, Anderes empfinden wir als angenehm mit Genuss, Lust, Wohlbehagen, Freude. Jenes erstere veranlasst uns, die Beseitigung, dieses letztere, die Fortdauer, eventuell Wiederholung seiner selbst zu erstreben. Abermaliges Rätsel: das Wesen der Affekte, von Zu- und Abneigung, von Schmerz und Lust.
Dass beides, wenn auch vermutlich davon bedingt und stets davon begleitet, nicht — wie nach der materialistischen Weltanschauung — lediglich in Bewegungszuständen, in einem mehr oder weniger rhythmisch ausgeführten Tanze unsrer Gehirnmoleküle bestehen könne, dass auch der vollendetste Automat noch kein fühlender Mensch wäre, Empfindung über- haupt nicht auflösbar ist in Bewegung, steht mir vorderhand dogmatisch fest. Dafür gegebene „Beweise“ vermag ich indessen als solche nicht anzuerkennen.
τ) Durch unsre physischen und psychischen Triebe, durch die Ab- neigung, auch Furcht, vor Schmerz, sowie die Erwartung von, Aus- sicht auf Genuss bedingt, bilden sich Wünsche in uns aus, werden wir uns gewisser Willensstrebungen, eines bestimmten Wollens un- mittelbar bewusst; wir nehmen Willensakte in uns vor. Und diese Thatsache des Vorhandenseins eines menschlichen Willens nun hängt auf das innigste mit der Anerkennung der Aussenwelt zusammen; sie scheint geradezu eine Vorbedingung*) zu dieser zu bilden, indem die
*) Auch umgekehrt würde unser Wille unfähig sein in die Erscheinung zu treten ohne das Hinzukommen der Aussenwelt als eines Gegenstandes, an welchem derselbe sich erprobt, bethätigt und übt.
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Einleitung.
mos, den wir kurz, wenn auch nicht erschöpfend, die Ideenwelt,
Gedankenwelt des Individuums nennen mögen.
ϱ) Was uns zur Anerkennung auch des Makrokosmus, der Aussen-
welt nötigt, zwingt, ist die schon von früh auf gemachte und seitdem
fast unaufhörlich wiederholte Wahrnehmung resp. innere Erfahrung,
dass wir über gewisse Teile der uns unmittelbar bewussten Gedanken-
welt nicht willkürlich verfügen können.
Schon der Säugling kann das Gefühl des Hungers nicht willkürlich
beseitigen, kann sich dem Eindruck blendenden Lichtes, wenn er etwa
schlafen möchte, nicht verschliessen. Andere Teile unsrer Gedankenwelt,
dagegen, sind wir uns unmittelbar bewusst, selbstthätig, frei, nach unserm
Willen zu gestalten. Wir können uns z. B., sobald es uns beliebt, einen
grünen Tannenbaum vorstellen, oder, wenn wir mögen, auch einen schnee-
bedeckten, desgleichen rote Farbe, etc. etc. Wir mögen uns angenehmer
Erlebnisse, einer hübschen Melodie erinnern und uns auch bessere Zustände
hoffnungsfreudig ausmalen. Schwerer schon fällt es, unangenehme Er-
innerungen los zu werden.
σ) Einzelnes, was in unser Bewusstsein eintritt, empfinden wir
unangenehm als Schmerz, Leid, Ärgerniss, Kummer; Manches lässt uns
als ein gleichgültig Empfundenes indifferent, Anderes empfinden wir
als angenehm mit Genuss, Lust, Wohlbehagen, Freude. Jenes erstere
veranlasst uns, die Beseitigung, dieses letztere, die Fortdauer, eventuell
Wiederholung seiner selbst zu erstreben. Abermaliges Rätsel: das
Wesen der Affekte, von Zu- und Abneigung, von Schmerz und Lust.
Dass beides, wenn auch vermutlich davon bedingt und stets davon
begleitet, nicht — wie nach der materialistischen Weltanschauung —
lediglich in Bewegungszuständen, in einem mehr oder weniger rhythmisch
ausgeführten Tanze unsrer Gehirnmoleküle bestehen könne, dass auch der
vollendetste Automat noch kein fühlender Mensch wäre, Empfindung über-
haupt nicht auflösbar ist in Bewegung, steht mir vorderhand dogmatisch fest.
Dafür gegebene „Beweise“ vermag ich indessen als solche nicht anzuerkennen.
τ) Durch unsre physischen und psychischen Triebe, durch die Ab-
neigung, auch Furcht, vor Schmerz, sowie die Erwartung von, Aus-
sicht auf Genuss bedingt, bilden sich Wünsche in uns aus, werden
wir uns gewisser Willensstrebungen, eines bestimmten Wollens un-
mittelbar bewusst; wir nehmen Willensakte in uns vor. Und diese
Thatsache des Vorhandenseins eines menschlichen Willens nun hängt
auf das innigste mit der Anerkennung der Aussenwelt zusammen; sie
scheint geradezu eine Vorbedingung *) zu dieser zu bilden, indem die
*) Auch umgekehrt würde unser Wille unfähig sein in die Erscheinung zu
treten ohne das Hinzukommen der Aussenwelt als eines Gegenstandes, an welchem
derselbe sich erprobt, bethätigt und übt.
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/42>, abgerufen am 23.11.2024.
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