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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
wenigstens ernstlich bestrebt -- wie dies auch Leibniz von sich sagt
(vergl. Trendelenburg l. c.) immer -- die ersten Prinzipien zu suchen,
"welche sonst als trocken und ohne Reiz die Köpfe kaum kosteten und
schnell wieder fahren liessen".

Das dritte der obigen Themata (mit dessen Betrachtung wir noch
nicht zu Ende sind), scheint mir nun aber den naturgemässen Aus-
gangspunkt zu bilden, an welchen die ferneren Themata der Logik als
einer Lehre von den Begriffen, Urteilen und Schlüssen (in neuerer Ab-
grenzung auch noch Methoden) anzuknüpfen sind. In der That:

In der mit Schöpfung einer Sprache verknüpften Notwendigkeit der
Namengebung wurzelt auch die Bildung der "Begriffe".

Es bedarf und verdient dies näher dargelegt zu werden, doch
mögen wir an den Kernpunkt der Frage erst nach einigen weiteren
Vorbetrachtungen herantreten -- vergl. e2) und folgende Chiffren.

o1) Zunächst wol in der Welt des äusserlich Wahrnehmbaren be-
merken wir, dass manche Dinge sich nahezu unverändert, stetig, in
der Zeit forterhalten, dass sie, wie man sagen kann, eine zeitlang, oft
eine lange Zeit hindurch, "dieselben" (genauer: sich gleich-) bleiben. Die
Kontinuität wird zunächst in unserm Bewusstsein hergestellt, indem
wir bei andauernder sowie wiederholter Wahrnehmung des Dinges inne
werden, dass es uns als "dasselbe" (the same) erscheint, als welches
es uns schon früher erschienen ist, und schreiben wir auch dem der
Erscheinung des Dinges zugrunde liegenden Wirklichen die ent-
sprechende Stetigkeit des Daseins zu. Die Sprache benennt dieses
Ding, gibt ihm einen Namen, der bei jeder erneuten Wahrnehmung
ebendieses Dinges ausschliesslich gebraucht wird, desgleichen, wenn
man kundgeben will, dass man sich dasselbe in freier Erinnerung vor-
stelle, m. a. W. wenn man von ebendiesem Dinge reden will. Der
Name wird ein "Eigenname" (nomen proprium, singular term) -- im
gewöhnlichen Sinne des Wortes -- sein.

In des Wortes engster Bedeutung genommen sollte der "Eigenname"
nur das Ding in einem bestimmten Augenblick, Momente seines Daseins
bezeichnen dürfen. Das gegenwärtige Berlin ist ein anderes als das Berlin
vom Ende des vorigen Jahrhunderts, daher "Berlin" streng genommen erst
dann ein Eigenname, wenn als bekannt gelten kann, aus welcher Epoche
man es sich vorstellen will.

Merkur, Venus, Erde, Mars, etc. sind beispielsweise darnach Eigen-
namen. Indessen illustriren unsre Beispiele das Wesen des Eigen-
namens bis jetzt erst einseitig, indem sie hinsichtlich dessen, was sie
bedeuten, alle herausgegriffen sind aus der Sphäre der konkreten Dinge
oder Gegenstände.

Einleitung.
wenigstens ernstlich bestrebt — wie dies auch Leibniz von sich sagt
(vergl. Trendelenburg l. c.) immer — die ersten Prinzipien zu suchen,
„welche sonst als trocken und ohne Reiz die Köpfe kaum kosteten und
schnell wieder fahren liessen“.

Das dritte der obigen Themata (mit dessen Betrachtung wir noch
nicht zu Ende sind), scheint mir nun aber den naturgemässen Aus-
gangspunkt zu bilden, an welchen die ferneren Themata der Logik als
einer Lehre von den Begriffen, Urteilen und Schlüssen (in neuerer Ab-
grenzung auch noch Methoden) anzuknüpfen sind. In der That:

In der mit Schöpfung einer Sprache verknüpften Notwendigkeit der
Namengebung wurzelt auch die Bildung derBegriffe“.

Es bedarf und verdient dies näher dargelegt zu werden, doch
mögen wir an den Kernpunkt der Frage erst nach einigen weiteren
Vorbetrachtungen herantreten — vergl. η2) und folgende Chiffren.

ω1) Zunächst wol in der Welt des äusserlich Wahrnehmbaren be-
merken wir, dass manche Dinge sich nahezu unverändert, stetig, in
der Zeit forterhalten, dass sie, wie man sagen kann, eine zeitlang, oft
eine lange Zeit hindurch, „dieselben“ (genauer: sich gleich-) bleiben. Die
Kontinuität wird zunächst in unserm Bewusstsein hergestellt, indem
wir bei andauernder sowie wiederholter Wahrnehmung des Dinges inne
werden, dass es uns als „dasselbe“ (the same) erscheint, als welches
es uns schon früher erschienen ist, und schreiben wir auch dem der
Erscheinung des Dinges zugrunde liegenden Wirklichen die ent-
sprechende Stetigkeit des Daseins zu. Die Sprache benennt dieses
Ding, gibt ihm einen Namen, der bei jeder erneuten Wahrnehmung
ebendieses Dinges ausschliesslich gebraucht wird, desgleichen, wenn
man kundgeben will, dass man sich dasselbe in freier Erinnerung vor-
stelle, m. a. W. wenn man von ebendiesem Dinge reden will. Der
Name wird ein „Eigenname“ (nomen proprium, singular term) — im
gewöhnlichen Sinne des Wortes — sein.

In des Wortes engster Bedeutung genommen sollte der „Eigenname“
nur das Ding in einem bestimmten Augenblick, Momente seines Daseins
bezeichnen dürfen. Das gegenwärtige Berlin ist ein anderes als das Berlin
vom Ende des vorigen Jahrhunderts, daher „Berlin“ streng genommen erst
dann ein Eigenname, wenn als bekannt gelten kann, aus welcher Epoche
man es sich vorstellen will.

Merkur, Venus, Erde, Mars, etc. sind beispielsweise darnach Eigen-
namen. Indessen illustriren unsre Beispiele das Wesen des Eigen-
namens bis jetzt erst einseitig, indem sie hinsichtlich dessen, was sie
bedeuten, alle herausgegriffen sind aus der Sphäre der konkreten Dinge
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[56/0076] Einleitung. wenigstens ernstlich bestrebt — wie dies auch Leibniz von sich sagt (vergl. Trendelenburg l. c.) immer — die ersten Prinzipien zu suchen, „welche sonst als trocken und ohne Reiz die Köpfe kaum kosteten und schnell wieder fahren liessen“. Das dritte der obigen Themata (mit dessen Betrachtung wir noch nicht zu Ende sind), scheint mir nun aber den naturgemässen Aus- gangspunkt zu bilden, an welchen die ferneren Themata der Logik als einer Lehre von den Begriffen, Urteilen und Schlüssen (in neuerer Ab- grenzung auch noch Methoden) anzuknüpfen sind. In der That: In der mit Schöpfung einer Sprache verknüpften Notwendigkeit der Namengebung wurzelt auch die Bildung der „Begriffe“. Es bedarf und verdient dies näher dargelegt zu werden, doch mögen wir an den Kernpunkt der Frage erst nach einigen weiteren Vorbetrachtungen herantreten — vergl. η2) und folgende Chiffren. ω1) Zunächst wol in der Welt des äusserlich Wahrnehmbaren be- merken wir, dass manche Dinge sich nahezu unverändert, stetig, in der Zeit forterhalten, dass sie, wie man sagen kann, eine zeitlang, oft eine lange Zeit hindurch, „dieselben“ (genauer: sich gleich-) bleiben. Die Kontinuität wird zunächst in unserm Bewusstsein hergestellt, indem wir bei andauernder sowie wiederholter Wahrnehmung des Dinges inne werden, dass es uns als „dasselbe“ (the same) erscheint, als welches es uns schon früher erschienen ist, und schreiben wir auch dem der Erscheinung des Dinges zugrunde liegenden Wirklichen die ent- sprechende Stetigkeit des Daseins zu. Die Sprache benennt dieses Ding, gibt ihm einen Namen, der bei jeder erneuten Wahrnehmung ebendieses Dinges ausschliesslich gebraucht wird, desgleichen, wenn man kundgeben will, dass man sich dasselbe in freier Erinnerung vor- stelle, m. a. W. wenn man von ebendiesem Dinge reden will. Der Name wird ein „Eigenname“ (nomen proprium, singular term) — im gewöhnlichen Sinne des Wortes — sein. In des Wortes engster Bedeutung genommen sollte der „Eigenname“ nur das Ding in einem bestimmten Augenblick, Momente seines Daseins bezeichnen dürfen. Das gegenwärtige Berlin ist ein anderes als das Berlin vom Ende des vorigen Jahrhunderts, daher „Berlin“ streng genommen erst dann ein Eigenname, wenn als bekannt gelten kann, aus welcher Epoche man es sich vorstellen will. Merkur, Venus, Erde, Mars, etc. sind beispielsweise darnach Eigen- namen. Indessen illustriren unsre Beispiele das Wesen des Eigen- namens bis jetzt erst einseitig, indem sie hinsichtlich dessen, was sie bedeuten, alle herausgegriffen sind aus der Sphäre der konkreten Dinge oder Gegenstände.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/76>, abgerufen am 04.12.2024.