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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891.

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Fünfzehnte Vorlesung.
keinen Prozess führte bis ihn sein Lehrer auf Zahlung des Honorars ver-
klagte. ("In dem Prozesse musste in zwei verschiedenen Verhandlungen ein
verschiedener Spruch gefällt werden. Zunächst war die Bedingung des
Vertrages noch nicht eingetreten: Euathlus hatte bis dahin noch keinen
Prozess gewonnen, war also noch nicht zur Bezahlung verpflichtet. Er
musste also diesen Prozess gewinnen. Aber eben hierdurch veränderte sich
die Sachlage und es musste dem Protagoras das Recht gewährt werden,
auf Grund des veränderten Verhältnisses eine zweite Klage anhängig zu
machen, die nunmehr zu seinem Vorteil entschieden werden musste". Ueberweg1
p. 360 sq.). Auf hier nur gestreifte Schwierigkeiten und die traditionellen
logischen Paradoxien geht Mr. Peirce in 10c mit grossem Scharfsinn ein.

Um den Sinn einer Aussage zu einem vollkommen bestimmten zu
machen, ist nicht erforderlich, dass dieselbe über alles Erdenkliche,
dass sie vollständige Auskunft gebe. Jede noch so ausführliche oder
detaillirte Aussage, mag sie auch von Weisheit strotzen, ist nur ein
verschwindend kleines Bruchstück aus der vollen Wahrheit, welche
die ganze Wirklichkeit beschreibend umfassen müsste; sie ist und
bleibt nur ein kurzer Auszug (an "abstract"), in welchem von einer
ungeheuren Mehrheit von Nebenumständen, für die Untersuchung un-
wesentlich erscheinenden Ereignissen, Verhältnissen und Beziehungen
abgesehen, abstrahirt wird; ja sogar auch wesentliche Beziehungen
verschwiegen, eventuell für fernere Aussagen aufgespart, der Fort-
setzung der Untersuchung oder Mitteilung vorbehalten werden.

Ich kann darum nicht umhin, die Formel des deutschen Zeugeneides
(wie ich sie wenigstens bei schöffengerichtlichen Verhandlungen kennen
gelernt habe) nach welcher Zeuge einfach schwören muss "nichts zu ver-
schweigen"
(statt etwa: "nichts, was nach des Zeugen bestem Ermessen für
die Untersuchung von Belang sein könnte", oder vielleicht: "nichts, wonach
er gefragt wird") schon in logischer Hinsicht zu beanstanden.

All' unser Wissen, nicht nur, sondern auch unser Aussagen bleibt
Stückwerk. Bei den kategorischen Urteilen wenigstens -- auf die
andern kommen wir noch eingehend zu sprechen -- scheint für die
Bestimmtheit der Aussage es auszureichen, wenn Subjekt und Prädi-
kat derselben wohldefinirte Klassen sind, deren Determination -- mag
sie näher auch in der Aussage selbst erst erfolgen -- doch mittelst
anderweitig schon bekannter Klassen, mittelst gegebener Begriffe er-
folgt. [Bei dem Subjekt des oben angeführten Beispiels "Diese Aus-
sage ist unwahr", war solches -- in der suppositio realis, d. h. wenn
"diese Aussage" nicht blos als grammatikalischer Satz, als Wortgefüge,
sondern dem Sinne nach genommen wird -- wie erkannt, nicht der Fall.]

Soll eine verständliche Aussage mit solchem bestimmten Sinne
auch noch den Anspruch auf Wahrheit verbinden, so muss -- ob zwar

Fünfzehnte Vorlesung.
keinen Prozess führte bis ihn sein Lehrer auf Zahlung des Honorars ver-
klagte. („In dem Prozesse musste in zwei verschiedenen Verhandlungen ein
verschiedener Spruch gefällt werden. Zunächst war die Bedingung des
Vertrages noch nicht eingetreten: Euathlus hatte bis dahin noch keinen
Prozess gewonnen, war also noch nicht zur Bezahlung verpflichtet. Er
musste also diesen Prozess gewinnen. Aber eben hierdurch veränderte sich
die Sachlage und es musste dem Protagoras das Recht gewährt werden,
auf Grund des veränderten Verhältnisses eine zweite Klage anhängig zu
machen, die nunmehr zu seinem Vorteil entschieden werden musste“. Ueberweg1
p. 360 sq.). Auf hier nur gestreifte Schwierigkeiten und die traditionellen
logischen Paradoxien geht Mr. Peirce in 10c mit grossem Scharfsinn ein.

Um den Sinn einer Aussage zu einem vollkommen bestimmten zu
machen, ist nicht erforderlich, dass dieselbe über alles Erdenkliche,
dass sie vollständige Auskunft gebe. Jede noch so ausführliche oder
detaillirte Aussage, mag sie auch von Weisheit strotzen, ist nur ein
verschwindend kleines Bruchstück aus der vollen Wahrheit, welche
die ganze Wirklichkeit beschreibend umfassen müsste; sie ist und
bleibt nur ein kurzer Auszug (an „abstract“), in welchem von einer
ungeheuren Mehrheit von Nebenumständen, für die Untersuchung un-
wesentlich erscheinenden Ereignissen, Verhältnissen und Beziehungen
abgesehen, abstrahirt wird; ja sogar auch wesentliche Beziehungen
verschwiegen, eventuell für fernere Aussagen aufgespart, der Fort-
setzung der Untersuchung oder Mitteilung vorbehalten werden.

Ich kann darum nicht umhin, die Formel des deutschen Zeugeneides
(wie ich sie wenigstens bei schöffengerichtlichen Verhandlungen kennen
gelernt habe) nach welcher Zeuge einfach schwören muss „nichts zu ver-
schweigen“
(statt etwa: „nichts, was nach des Zeugen bestem Ermessen für
die Untersuchung von Belang sein könnte“, oder vielleicht: „nichts, wonach
er gefragt wird“) schon in logischer Hinsicht zu beanstanden.

All’ unser Wissen, nicht nur, sondern auch unser Aussagen bleibt
Stückwerk. Bei den kategorischen Urteilen wenigstens — auf die
andern kommen wir noch eingehend zu sprechen — scheint für die
Bestimmtheit der Aussage es auszureichen, wenn Subjekt und Prädi-
kat derselben wohldefinirte Klassen sind, deren Determination — mag
sie näher auch in der Aussage selbst erst erfolgen — doch mittelst
anderweitig schon bekannter Klassen, mittelst gegebener Begriffe er-
folgt. [Bei dem Subjekt des oben angeführten Beispiels „Diese Aus-
sage ist unwahr“, war solches — in der suppositio realis, d. h. wenn
„diese Aussage“ nicht blos als grammatikalischer Satz, als Wortgefüge,
sondern dem Sinne nach genommen wird — wie erkannt, nicht der Fall.]

Soll eine verständliche Aussage mit solchem bestimmten Sinne
auch noch den Anspruch auf Wahrheit verbinden, so muss — ob zwar

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[8/0032] Fünfzehnte Vorlesung. keinen Prozess führte bis ihn sein Lehrer auf Zahlung des Honorars ver- klagte. („In dem Prozesse musste in zwei verschiedenen Verhandlungen ein verschiedener Spruch gefällt werden. Zunächst war die Bedingung des Vertrages noch nicht eingetreten: Euathlus hatte bis dahin noch keinen Prozess gewonnen, war also noch nicht zur Bezahlung verpflichtet. Er musste also diesen Prozess gewinnen. Aber eben hierdurch veränderte sich die Sachlage und es musste dem Protagoras das Recht gewährt werden, auf Grund des veränderten Verhältnisses eine zweite Klage anhängig zu machen, die nunmehr zu seinem Vorteil entschieden werden musste“. Ueberweg1 p. 360 sq.). Auf hier nur gestreifte Schwierigkeiten und die traditionellen logischen Paradoxien geht Mr. Peirce in 10c mit grossem Scharfsinn ein. Um den Sinn einer Aussage zu einem vollkommen bestimmten zu machen, ist nicht erforderlich, dass dieselbe über alles Erdenkliche, dass sie vollständige Auskunft gebe. Jede noch so ausführliche oder detaillirte Aussage, mag sie auch von Weisheit strotzen, ist nur ein verschwindend kleines Bruchstück aus der vollen Wahrheit, welche die ganze Wirklichkeit beschreibend umfassen müsste; sie ist und bleibt nur ein kurzer Auszug (an „abstract“), in welchem von einer ungeheuren Mehrheit von Nebenumständen, für die Untersuchung un- wesentlich erscheinenden Ereignissen, Verhältnissen und Beziehungen abgesehen, abstrahirt wird; ja sogar auch wesentliche Beziehungen verschwiegen, eventuell für fernere Aussagen aufgespart, der Fort- setzung der Untersuchung oder Mitteilung vorbehalten werden. Ich kann darum nicht umhin, die Formel des deutschen Zeugeneides (wie ich sie wenigstens bei schöffengerichtlichen Verhandlungen kennen gelernt habe) nach welcher Zeuge einfach schwören muss „nichts zu ver- schweigen“ (statt etwa: „nichts, was nach des Zeugen bestem Ermessen für die Untersuchung von Belang sein könnte“, oder vielleicht: „nichts, wonach er gefragt wird“) schon in logischer Hinsicht zu beanstanden. All’ unser Wissen, nicht nur, sondern auch unser Aussagen bleibt Stückwerk. Bei den kategorischen Urteilen wenigstens — auf die andern kommen wir noch eingehend zu sprechen — scheint für die Bestimmtheit der Aussage es auszureichen, wenn Subjekt und Prädi- kat derselben wohldefinirte Klassen sind, deren Determination — mag sie näher auch in der Aussage selbst erst erfolgen — doch mittelst anderweitig schon bekannter Klassen, mittelst gegebener Begriffe er- folgt. [Bei dem Subjekt des oben angeführten Beispiels „Diese Aus- sage ist unwahr“, war solches — in der suppositio realis, d. h. wenn „diese Aussage“ nicht blos als grammatikalischer Satz, als Wortgefüge, sondern dem Sinne nach genommen wird — wie erkannt, nicht der Fall.] Soll eine verständliche Aussage mit solchem bestimmten Sinne auch noch den Anspruch auf Wahrheit verbinden, so muss — ob zwar

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 2, Abt. 1. Leipzig, 1891, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik0201_1891/32>, abgerufen am 23.11.2024.