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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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zween Schachten ein Durchschlag versucht wurde. Der
Leichnam, ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, war
Anfangs weich, wurde aber, so bald man ihn an die
Luft gebracht, so hart als Stein. Funfzig Jahre
hatte derselbe in einer Tiefe von 300 Ellen, in jenem
Vitriolwasser gelegen, und niemand hätte die noch un-
veränderten Gesichtszüge des verunglückten Jünglings
erkannt, niemand die Zeit, seit welcher er in dem
Schachte gelegen, gewußt, da die Bergchronicken so
wie die Volkssagen bey der Menge der Unglücksfälle in
Ungewißheit waren, hätte nicht das Andenken der ehe-
mals geliebten Züge eine alte treue Liebe bewahrt.
Denn als um den kaum hervorgezogenen Leichnam, das
Volk, die unbekannten jugendlichen Gesichtszüge be-
trachtend steht, da kömmt an Krücken und mit grauem
Haar ein altes Mütterchen, mit Thränen über den ge-
liebten Toden, der ihr verlobter Bräutigam gewesen,
hinsinkend, die Stunde segnend, da ihr noch an den
Pforten des Grabes ein solches Wiedersehen gegönnt
war, und das Volk sahe mit Verwunderung die Wie-
dervereinigung dieses seltnen Paares, davon das Eine,
im Tode und in tiefer Gruft das jugendliche Aussehen,
das Andre, bey dem Verwelken und Veralten des Leibes
die jugendliche Liebe, treu und unverändert erhalten
hatte, und wie bey der 50jährigen Silberhochzeit der
noch jugendliche Bräutigam starr und kalt, die al-
te und graue Braut voll warmer Liebe gefunden
wurden.


zween Schachten ein Durchſchlag verſucht wurde. Der
Leichnam, ganz mit Eiſenvitriol durchdrungen, war
Anfangs weich, wurde aber, ſo bald man ihn an die
Luft gebracht, ſo hart als Stein. Funfzig Jahre
hatte derſelbe in einer Tiefe von 300 Ellen, in jenem
Vitriolwaſſer gelegen, und niemand haͤtte die noch un-
veraͤnderten Geſichtszuͤge des verungluͤckten Juͤnglings
erkannt, niemand die Zeit, ſeit welcher er in dem
Schachte gelegen, gewußt, da die Bergchronicken ſo
wie die Volksſagen bey der Menge der Ungluͤcksfaͤlle in
Ungewißheit waren, haͤtte nicht das Andenken der ehe-
mals geliebten Zuͤge eine alte treue Liebe bewahrt.
Denn als um den kaum hervorgezogenen Leichnam, das
Volk, die unbekannten jugendlichen Geſichtszuͤge be-
trachtend ſteht, da koͤmmt an Kruͤcken und mit grauem
Haar ein altes Muͤtterchen, mit Thraͤnen uͤber den ge-
liebten Toden, der ihr verlobter Braͤutigam geweſen,
hinſinkend, die Stunde ſegnend, da ihr noch an den
Pforten des Grabes ein ſolches Wiederſehen gegoͤnnt
war, und das Volk ſahe mit Verwunderung die Wie-
dervereinigung dieſes ſeltnen Paares, davon das Eine,
im Tode und in tiefer Gruft das jugendliche Ausſehen,
das Andre, bey dem Verwelken und Veralten des Leibes
die jugendliche Liebe, treu und unveraͤndert erhalten
hatte, und wie bey der 50jaͤhrigen Silberhochzeit der
noch jugendliche Braͤutigam ſtarr und kalt, die al-
te und graue Braut voll warmer Liebe gefunden
wurden.


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[216/0230] zween Schachten ein Durchſchlag verſucht wurde. Der Leichnam, ganz mit Eiſenvitriol durchdrungen, war Anfangs weich, wurde aber, ſo bald man ihn an die Luft gebracht, ſo hart als Stein. Funfzig Jahre hatte derſelbe in einer Tiefe von 300 Ellen, in jenem Vitriolwaſſer gelegen, und niemand haͤtte die noch un- veraͤnderten Geſichtszuͤge des verungluͤckten Juͤnglings erkannt, niemand die Zeit, ſeit welcher er in dem Schachte gelegen, gewußt, da die Bergchronicken ſo wie die Volksſagen bey der Menge der Ungluͤcksfaͤlle in Ungewißheit waren, haͤtte nicht das Andenken der ehe- mals geliebten Zuͤge eine alte treue Liebe bewahrt. Denn als um den kaum hervorgezogenen Leichnam, das Volk, die unbekannten jugendlichen Geſichtszuͤge be- trachtend ſteht, da koͤmmt an Kruͤcken und mit grauem Haar ein altes Muͤtterchen, mit Thraͤnen uͤber den ge- liebten Toden, der ihr verlobter Braͤutigam geweſen, hinſinkend, die Stunde ſegnend, da ihr noch an den Pforten des Grabes ein ſolches Wiederſehen gegoͤnnt war, und das Volk ſahe mit Verwunderung die Wie- dervereinigung dieſes ſeltnen Paares, davon das Eine, im Tode und in tiefer Gruft das jugendliche Ausſehen, das Andre, bey dem Verwelken und Veralten des Leibes die jugendliche Liebe, treu und unveraͤndert erhalten hatte, und wie bey der 50jaͤhrigen Silberhochzeit der noch jugendliche Braͤutigam ſtarr und kalt, die al- te und graue Braut voll warmer Liebe gefunden wurden.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/230>, abgerufen am 21.11.2024.