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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808.

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und unbewußt der unendlichen Ferne, die uns von dem
ewigen Quell des Lichtes trennt, breiten sich die kind-
lichen Arme aus, das nahe geglaubte zu umfassen.
Doch schon die ersten Schritte sind ein Irrthum, und
wir eilen von dem einsamen Hügel der kindlichen Träu-
me, auf dem wir die ersten aufgehenden Strahlen
empfiengen, hinabwärts, in das tiefe Gewühl des Le-
bens, wo uns neue Dämmerung umfängt.

Der klare Quell wuchs bald zum Flusse an, das
innre Streben, stärker und kräftiger geworden, führ-
te uns immer ferner mit sich hinaus. Zwar vorüber
waren schnell die Stunden der Morgenröthe, es blie-
ben fern hinter uns die grünen Hügel der Kindheit, mit
ihren Frühlingsblumen und dem Traum von spielenden
Lämmern; doch heitrer und herrlicher scheint die zum
Scheitel steigende Sonne, und der grünende Pfad ist
noch durch keine Klippen unterbrochen. Wenn sich
dann, in den Stunden des glänzenden Mittags, die
Welt so frey und blühend dem innern Sinne öffnet,
wenn dem kühnen Gemüth, das noch nirgends die
Gränze seines Strebens gefunden, das ferne hohe Ge-
wölk noch als fernes Gebürge erscheint, das es zuletzt
noch leicht zu erreichen wähnt, da scheint in der süßen
Zeit der Rosen alles tiefe Sehnen sein Ziel gefunden zu
haben. Dort wo die Lilie der Rose sich vermählt, wo

gebreiteten Armen entgegen, eilt aber, statt zurück und
weiter aufwärts auf den Hügel, gerade vor- und herab-
wärts, wo noch Schatten ist.

und unbewußt der unendlichen Ferne, die uns von dem
ewigen Quell des Lichtes trennt, breiten ſich die kind-
lichen Arme aus, das nahe geglaubte zu umfaſſen.
Doch ſchon die erſten Schritte ſind ein Irrthum, und
wir eilen von dem einſamen Huͤgel der kindlichen Traͤu-
me, auf dem wir die erſten aufgehenden Strahlen
empfiengen, hinabwaͤrts, in das tiefe Gewuͤhl des Le-
bens, wo uns neue Daͤmmerung umfaͤngt.

Der klare Quell wuchs bald zum Fluſſe an, das
innre Streben, ſtaͤrker und kraͤftiger geworden, fuͤhr-
te uns immer ferner mit ſich hinaus. Zwar voruͤber
waren ſchnell die Stunden der Morgenroͤthe, es blie-
ben fern hinter uns die gruͤnen Huͤgel der Kindheit, mit
ihren Fruͤhlingsblumen und dem Traum von ſpielenden
Laͤmmern; doch heitrer und herrlicher ſcheint die zum
Scheitel ſteigende Sonne, und der gruͤnende Pfad iſt
noch durch keine Klippen unterbrochen. Wenn ſich
dann, in den Stunden des glaͤnzenden Mittags, die
Welt ſo frey und bluͤhend dem innern Sinne oͤffnet,
wenn dem kuͤhnen Gemuͤth, das noch nirgends die
Graͤnze ſeines Strebens gefunden, das ferne hohe Ge-
woͤlk noch als fernes Gebuͤrge erſcheint, das es zuletzt
noch leicht zu erreichen waͤhnt, da ſcheint in der ſuͤßen
Zeit der Roſen alles tiefe Sehnen ſein Ziel gefunden zu
haben. Dort wo die Lilie der Roſe ſich vermaͤhlt, wo

gebreiteten Armen entgegen, eilt aber, ſtatt zuruͤck und
weiter aufwaͤrts auf den Huͤgel, gerade vor- und herab-
waͤrts, wo noch Schatten iſt.
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[304/0318] und unbewußt der unendlichen Ferne, die uns von dem ewigen Quell des Lichtes trennt, breiten ſich die kind- lichen Arme aus, das nahe geglaubte zu umfaſſen. Doch ſchon die erſten Schritte ſind ein Irrthum, und wir eilen von dem einſamen Huͤgel der kindlichen Traͤu- me, auf dem wir die erſten aufgehenden Strahlen empfiengen, hinabwaͤrts, in das tiefe Gewuͤhl des Le- bens, wo uns neue Daͤmmerung umfaͤngt. Der klare Quell wuchs bald zum Fluſſe an, das innre Streben, ſtaͤrker und kraͤftiger geworden, fuͤhr- te uns immer ferner mit ſich hinaus. Zwar voruͤber waren ſchnell die Stunden der Morgenroͤthe, es blie- ben fern hinter uns die gruͤnen Huͤgel der Kindheit, mit ihren Fruͤhlingsblumen und dem Traum von ſpielenden Laͤmmern; doch heitrer und herrlicher ſcheint die zum Scheitel ſteigende Sonne, und der gruͤnende Pfad iſt noch durch keine Klippen unterbrochen. Wenn ſich dann, in den Stunden des glaͤnzenden Mittags, die Welt ſo frey und bluͤhend dem innern Sinne oͤffnet, wenn dem kuͤhnen Gemuͤth, das noch nirgends die Graͤnze ſeines Strebens gefunden, das ferne hohe Ge- woͤlk noch als fernes Gebuͤrge erſcheint, das es zuletzt noch leicht zu erreichen waͤhnt, da ſcheint in der ſuͤßen Zeit der Roſen alles tiefe Sehnen ſein Ziel gefunden zu haben. Dort wo die Lilie der Roſe ſich vermaͤhlt, wo *) *) gebreiteten Armen entgegen, eilt aber, ſtatt zuruͤck und weiter aufwaͤrts auf den Huͤgel, gerade vor- und herab- waͤrts, wo noch Schatten iſt.

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Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/318>, abgerufen am 24.11.2024.