der Schall. Wenn es wahrscheinlich sey, daß jene äußern Einflüsse, welche Veränderungen in der At- mosphäre zu bewirken pflegen, in jenem Zustand der Erde, welcher dem jetzigen des Jupiter näher stund, Bewegungen der Luft erzeugten, die an Geschwindig- keit dem Schalle wenigstens gleich kamen, so sey die Frage nicht ungereimt: ob nicht das, was jezt als Sturm mit einem rohen und anorgischen Laut erscheint, damals als wirklicher Ton vernommen sey, ob nicht die alten Sagen von der Harmonie der Weltkörper, von den Tönen des Universums, wirklich einige Wah- heit enthielten? Hieraus würde dann begreiflich, war- um Astronomie unter den Wissenschaften, Musik unter den Künsten das Aelteste sey. *) Den Rythmus der Bewegungen der Welten, wie er sich in der Atmos- phäre abspiegelt, habe der Mensch zuerst nachgespro- chen, und hierdurch eingeweihet in das harmonische Gesetz des Ganzen, habe sein Gemüth den Zusammen- hang der Naturereignisse, und die Beziehung der ein- zelnen Dinge auf das Ganze erkannt. Auf diese Wei- se sey die älteste Naturweisheit und die Sprache sel- ber, durch unmittelbare Offenbarung der Natur an den Menschen entstanden.
Es lassen sich freylich zur Bestätigung dieser Mey- nung keine direkten Beweise führen. Doch wird zu
*) Das musicalische System der Chinesen fängt nach Rous- sier eben da an, wo das der Griechen aufhöret.
der Schall. Wenn es wahrſcheinlich ſey, daß jene aͤußern Einfluͤſſe, welche Veraͤnderungen in der At- mosphaͤre zu bewirken pflegen, in jenem Zuſtand der Erde, welcher dem jetzigen des Jupiter naͤher ſtund, Bewegungen der Luft erzeugten, die an Geſchwindig- keit dem Schalle wenigſtens gleich kamen, ſo ſey die Frage nicht ungereimt: ob nicht das, was jezt als Sturm mit einem rohen und anorgiſchen Laut erſcheint, damals als wirklicher Ton vernommen ſey, ob nicht die alten Sagen von der Harmonie der Weltkoͤrper, von den Toͤnen des Univerſums, wirklich einige Wah- heit enthielten? Hieraus wuͤrde dann begreiflich, war- um Aſtronomie unter den Wiſſenſchaften, Muſik unter den Kuͤnſten das Aelteſte ſey. *) Den Rythmus der Bewegungen der Welten, wie er ſich in der Atmos- phaͤre abſpiegelt, habe der Menſch zuerſt nachgeſpro- chen, und hierdurch eingeweihet in das harmoniſche Geſetz des Ganzen, habe ſein Gemuͤth den Zuſammen- hang der Naturereigniſſe, und die Beziehung der ein- zelnen Dinge auf das Ganze erkannt. Auf dieſe Wei- ſe ſey die aͤlteſte Naturweisheit und die Sprache ſel- ber, durch unmittelbare Offenbarung der Natur an den Menſchen entſtanden.
Es laſſen ſich freylich zur Beſtaͤtigung dieſer Mey- nung keine direkten Beweiſe fuͤhren. Doch wird zu
*) Das muſicaliſche Syſtem der Chineſen faͤngt nach Rouſ- ſier eben da an, wo das der Griechen aufhoͤret.
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der Schall. Wenn es wahrſcheinlich ſey, daß jene
aͤußern Einfluͤſſe, welche Veraͤnderungen in der At-
mosphaͤre zu bewirken pflegen, in jenem Zuſtand der
Erde, welcher dem jetzigen des Jupiter naͤher ſtund,
Bewegungen der Luft erzeugten, die an Geſchwindig-
keit dem Schalle wenigſtens gleich kamen, ſo ſey die
Frage nicht ungereimt: ob nicht das, was jezt als
Sturm mit einem rohen und anorgiſchen Laut erſcheint,
damals als wirklicher Ton vernommen ſey, ob nicht
die alten Sagen von der Harmonie der Weltkoͤrper,
von den Toͤnen des Univerſums, wirklich einige Wah-
heit enthielten? Hieraus wuͤrde dann begreiflich, war-
um Aſtronomie unter den Wiſſenſchaften, Muſik unter
den Kuͤnſten das Aelteſte ſey. *) Den Rythmus der
Bewegungen der Welten, wie er ſich in der Atmos-
phaͤre abſpiegelt, habe der Menſch zuerſt nachgeſpro-
chen, und hierdurch eingeweihet in das harmoniſche
Geſetz des Ganzen, habe ſein Gemuͤth den Zuſammen-
hang der Naturereigniſſe, und die Beziehung der ein-
zelnen Dinge auf das Ganze erkannt. Auf dieſe Wei-
ſe ſey die aͤlteſte Naturweisheit und die Sprache ſel-
ber, durch unmittelbare Offenbarung der Natur an den
Menſchen entſtanden.
Es laſſen ſich freylich zur Beſtaͤtigung dieſer Mey-
nung keine direkten Beweiſe fuͤhren. Doch wird zu
*) Das muſicaliſche Syſtem der Chineſen faͤngt nach Rouſ-
ſier eben da an, wo das der Griechen aufhoͤret.
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Schubert, Gotthilf Heinrich: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden, 1808, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_naturwissenschaft_1808/77>, abgerufen am 27.11.2024.
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