Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Worte, z. B. mancher religiöser Hymnen
der früheren Zeit, erregen, wenn wir uns ihrer Wir-
kung überlassen, Gefühle und Kräfte in uns, welche
fast von einer magischen Wirksamkeit ihrer dunkeln Bil-
dersprache zeugen, obgleich diese, neben der nüchternen
Prosa unsrer neuern (moralischen) Gesänge, die in
demselben Grade erkälten und entkräften, einem hö-
hern Wahnsinne gleicht, der, vor Liebe sterbend, wie
dort Ophelia, mit Blumen spielt. Der religiöse Cul-
tus, mit seinen vielfach mißverstandenen symbolischen
Handlungen, ist nichts anders, als ein solcher Hym-
nus, dessen Worte Handlungen sind, welche ihre ma-
gische Wirkung auf das empfänglichere Gemüth nicht
leicht verfehlen. Der Cultus höherer Art gehört ganz
in die Region der prophetischen Welt zu Hause, und
wird aus dieser verstanden, während der Cultus nie-
deren Ranges, aus der Region der pythischen Begei-
sterung hervorgehet.

Endlich, so zeigt auch jene hieroglyphische Bil-
dersprache, die man besonders an egyptischen alten
Denkmälern und an den seltsamen Gestalten der alten
Götzenbilder der Morgenländer kennen gelernt hat, eine
auffallende Verwandschaft mit der Traumbildersprache.
Vielleicht könnte es gelingen, durch Hülfe dieser Ver-
wandschaft den verloren gegangenen Schlüssel auch für
den bisher noch nicht enträthselten Theil jener Natur-
zeichensprache zu finden, womit dann für uns mehr
als eine bloße Erweiterung unserer archäologischen und
mythologischen Kenntnisse würde gewonnen werden:
eine Ansicht von der Bedeutung der uns umgebenden
Natur, von welcher sich unsre gewöhnliche Naturkunde
nichts träumen lässet.

3. Die

Die Worte, z. B. mancher religioͤſer Hymnen
der fruͤheren Zeit, erregen, wenn wir uns ihrer Wir-
kung uͤberlaſſen, Gefuͤhle und Kraͤfte in uns, welche
faſt von einer magiſchen Wirkſamkeit ihrer dunkeln Bil-
derſprache zeugen, obgleich dieſe, neben der nuͤchternen
Proſa unſrer neuern (moraliſchen) Geſaͤnge, die in
demſelben Grade erkaͤlten und entkraͤften, einem hoͤ-
hern Wahnſinne gleicht, der, vor Liebe ſterbend, wie
dort Ophelia, mit Blumen ſpielt. Der religioͤſe Cul-
tus, mit ſeinen vielfach mißverſtandenen ſymboliſchen
Handlungen, iſt nichts anders, als ein ſolcher Hym-
nus, deſſen Worte Handlungen ſind, welche ihre ma-
giſche Wirkung auf das empfaͤnglichere Gemuͤth nicht
leicht verfehlen. Der Cultus hoͤherer Art gehoͤrt ganz
in die Region der prophetiſchen Welt zu Hauſe, und
wird aus dieſer verſtanden, waͤhrend der Cultus nie-
deren Ranges, aus der Region der pythiſchen Begei-
ſterung hervorgehet.

Endlich, ſo zeigt auch jene hieroglyphiſche Bil-
derſprache, die man beſonders an egyptiſchen alten
Denkmaͤlern und an den ſeltſamen Geſtalten der alten
Goͤtzenbilder der Morgenlaͤnder kennen gelernt hat, eine
auffallende Verwandſchaft mit der Traumbilderſprache.
Vielleicht koͤnnte es gelingen, durch Huͤlfe dieſer Ver-
wandſchaft den verloren gegangenen Schluͤſſel auch fuͤr
den bisher noch nicht entraͤthſelten Theil jener Natur-
zeichenſprache zu finden, womit dann fuͤr uns mehr
als eine bloße Erweiterung unſerer archaͤologiſchen und
mythologiſchen Kenntniſſe wuͤrde gewonnen werden:
eine Anſicht von der Bedeutung der uns umgebenden
Natur, von welcher ſich unſre gewoͤhnliche Naturkunde
nichts traͤumen laͤſſet.

3. Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0033" n="23"/>
        <p>Die Worte, z. B. mancher religio&#x0364;&#x017F;er Hymnen<lb/>
der fru&#x0364;heren Zeit, erregen, wenn wir uns ihrer Wir-<lb/>
kung u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en, Gefu&#x0364;hle und Kra&#x0364;fte in uns, welche<lb/>
fa&#x017F;t von einer magi&#x017F;chen Wirk&#x017F;amkeit ihrer dunkeln Bil-<lb/>
der&#x017F;prache zeugen, obgleich die&#x017F;e, neben der nu&#x0364;chternen<lb/>
Pro&#x017F;a un&#x017F;rer neuern (morali&#x017F;chen) Ge&#x017F;a&#x0364;nge, die in<lb/>
dem&#x017F;elben Grade erka&#x0364;lten und entkra&#x0364;ften, einem ho&#x0364;-<lb/>
hern Wahn&#x017F;inne gleicht, der, vor Liebe &#x017F;terbend, wie<lb/>
dort Ophelia, mit Blumen &#x017F;pielt. Der religio&#x0364;&#x017F;e Cul-<lb/>
tus, mit &#x017F;einen vielfach mißver&#x017F;tandenen &#x017F;ymboli&#x017F;chen<lb/>
Handlungen, i&#x017F;t nichts anders, als ein &#x017F;olcher Hym-<lb/>
nus, de&#x017F;&#x017F;en Worte Handlungen &#x017F;ind, welche ihre ma-<lb/>
gi&#x017F;che Wirkung auf das empfa&#x0364;nglichere Gemu&#x0364;th nicht<lb/>
leicht verfehlen. Der Cultus ho&#x0364;herer Art geho&#x0364;rt ganz<lb/>
in die Region der propheti&#x017F;chen Welt zu Hau&#x017F;e, und<lb/>
wird aus die&#x017F;er ver&#x017F;tanden, wa&#x0364;hrend der Cultus nie-<lb/>
deren Ranges, aus der Region der pythi&#x017F;chen Begei-<lb/>
&#x017F;terung hervorgehet.</p><lb/>
        <p>Endlich, &#x017F;o zeigt auch jene hieroglyphi&#x017F;che Bil-<lb/>
der&#x017F;prache, die man be&#x017F;onders an egypti&#x017F;chen alten<lb/>
Denkma&#x0364;lern und an den &#x017F;elt&#x017F;amen Ge&#x017F;talten der alten<lb/>
Go&#x0364;tzenbilder der Morgenla&#x0364;nder kennen gelernt hat, eine<lb/>
auffallende Verwand&#x017F;chaft mit der Traumbilder&#x017F;prache.<lb/>
Vielleicht ko&#x0364;nnte es gelingen, durch Hu&#x0364;lfe die&#x017F;er Ver-<lb/>
wand&#x017F;chaft den verloren gegangenen Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el auch fu&#x0364;r<lb/>
den bisher noch nicht entra&#x0364;th&#x017F;elten Theil jener Natur-<lb/>
zeichen&#x017F;prache zu finden, womit dann fu&#x0364;r uns mehr<lb/>
als eine bloße Erweiterung un&#x017F;erer archa&#x0364;ologi&#x017F;chen und<lb/>
mythologi&#x017F;chen Kenntni&#x017F;&#x017F;e wu&#x0364;rde gewonnen werden:<lb/>
eine An&#x017F;icht von der Bedeutung der uns umgebenden<lb/>
Natur, von welcher &#x017F;ich un&#x017F;re gewo&#x0364;hnliche Naturkunde<lb/>
nichts tra&#x0364;umen la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et.</p>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch">3. Die</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0033] Die Worte, z. B. mancher religioͤſer Hymnen der fruͤheren Zeit, erregen, wenn wir uns ihrer Wir- kung uͤberlaſſen, Gefuͤhle und Kraͤfte in uns, welche faſt von einer magiſchen Wirkſamkeit ihrer dunkeln Bil- derſprache zeugen, obgleich dieſe, neben der nuͤchternen Proſa unſrer neuern (moraliſchen) Geſaͤnge, die in demſelben Grade erkaͤlten und entkraͤften, einem hoͤ- hern Wahnſinne gleicht, der, vor Liebe ſterbend, wie dort Ophelia, mit Blumen ſpielt. Der religioͤſe Cul- tus, mit ſeinen vielfach mißverſtandenen ſymboliſchen Handlungen, iſt nichts anders, als ein ſolcher Hym- nus, deſſen Worte Handlungen ſind, welche ihre ma- giſche Wirkung auf das empfaͤnglichere Gemuͤth nicht leicht verfehlen. Der Cultus hoͤherer Art gehoͤrt ganz in die Region der prophetiſchen Welt zu Hauſe, und wird aus dieſer verſtanden, waͤhrend der Cultus nie- deren Ranges, aus der Region der pythiſchen Begei- ſterung hervorgehet. Endlich, ſo zeigt auch jene hieroglyphiſche Bil- derſprache, die man beſonders an egyptiſchen alten Denkmaͤlern und an den ſeltſamen Geſtalten der alten Goͤtzenbilder der Morgenlaͤnder kennen gelernt hat, eine auffallende Verwandſchaft mit der Traumbilderſprache. Vielleicht koͤnnte es gelingen, durch Huͤlfe dieſer Ver- wandſchaft den verloren gegangenen Schluͤſſel auch fuͤr den bisher noch nicht entraͤthſelten Theil jener Natur- zeichenſprache zu finden, womit dann fuͤr uns mehr als eine bloße Erweiterung unſerer archaͤologiſchen und mythologiſchen Kenntniſſe wuͤrde gewonnen werden: eine Anſicht von der Bedeutung der uns umgebenden Natur, von welcher ſich unſre gewoͤhnliche Naturkunde nichts traͤumen laͤſſet. 3. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/33
Zitationshilfe: Schubert, Gotthilf Heinrich von: Die Symbolik des Traumes. Bamberg, 1814, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubert_symbolik_1814/33>, abgerufen am 03.12.2024.