Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubin, Ossip: Etiquette. Eine Rococo-Arabeske. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

Er konnte sie nicht entbehren. Sie war gutmüthig und unerschrocken mit der Unerschrockenheit des Leichtsinns. Trotz der furchtbaren Ansteckungsgefahr wich sie nicht von seinem Lager, theilte sich nicht ohne einen gewissen Heldenmuth in seine Pflege mit seinen drei vernachlässigten Töchtern Mesdames Louise, Adelaide und Victoire oder, wie er die armen, freudlos hinalternden Damen in einem Augenblick übermüthiger Laune verächtlicher Zärtlichkeit benannt hatte: Chiffe, Coche, Graille.

Da, inmitten dieser gottlosen, jeder Religion vergessenden Zeit, entbrennt zwischen Aiguillonisten und Choiseulisten - zwischen der Partei kirchlicher und der der weltlichen Ambition - ein fanatischer Streit um das Seelenheil des Königs. Das Allerheiligste wird entwürdigt zum Zankapfel zwischen den Parteien. Hier verlangt, dort schnöde zurückgewiesen, irrt das Viaticum tagelang unstät durch die Corridore des Königsschlosses.

Das Viaticum oder die Du Barry! Es ist wie ein Kriegsruf, den sich die streitenden Parteien entgegen schreien. Und - o der widerspruchsvollen, gotteslästerlichen Zeit! - die

Er konnte sie nicht entbehren. Sie war gutmüthig und unerschrocken mit der Unerschrockenheit des Leichtsinns. Trotz der furchtbaren Ansteckungsgefahr wich sie nicht von seinem Lager, theilte sich nicht ohne einen gewissen Heldenmuth in seine Pflege mit seinen drei vernachlässigten Töchtern Mesdames Louise, Adelaide und Victoire oder, wie er die armen, freudlos hinalternden Damen in einem Augenblick übermüthiger Laune verächtlicher Zärtlichkeit benannt hatte: Chiffe, Coche, Graille.

Da, inmitten dieser gottlosen, jeder Religion vergessenden Zeit, entbrennt zwischen Aiguillonisten und Choiseulisten – zwischen der Partei kirchlicher und der der weltlichen Ambition – ein fanatischer Streit um das Seelenheil des Königs. Das Allerheiligste wird entwürdigt zum Zankapfel zwischen den Parteien. Hier verlangt, dort schnöde zurückgewiesen, irrt das Viaticum tagelang unstät durch die Corridore des Königsschlosses.

Das Viaticum oder die Du Barry! Es ist wie ein Kriegsruf, den sich die streitenden Parteien entgegen schreien. Und – o der widerspruchsvollen, gotteslästerlichen Zeit! – die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0015" n="15"/>
        <p>Er konnte sie nicht entbehren. Sie war gutmüthig und unerschrocken mit der Unerschrockenheit des Leichtsinns. Trotz der furchtbaren Ansteckungsgefahr wich sie nicht von seinem Lager, theilte sich nicht ohne einen gewissen Heldenmuth in seine Pflege mit seinen drei vernachlässigten Töchtern Mesdames Louise, Adelaide und Victoire oder, wie er die armen, freudlos hinalternden Damen in einem Augenblick übermüthiger Laune verächtlicher Zärtlichkeit benannt hatte: Chiffe, Coche, Graille.</p>
        <p>Da, inmitten dieser gottlosen, jeder Religion vergessenden Zeit, entbrennt zwischen Aiguillonisten und Choiseulisten &#x2013; zwischen der Partei kirchlicher und der der weltlichen Ambition &#x2013; ein fanatischer Streit um das Seelenheil des Königs. Das Allerheiligste wird entwürdigt zum Zankapfel zwischen den Parteien. Hier verlangt, dort schnöde zurückgewiesen, irrt das Viaticum tagelang unstät durch die Corridore des Königsschlosses.</p>
        <p>Das Viaticum oder die Du Barry! Es ist wie ein Kriegsruf, den sich die streitenden Parteien entgegen schreien. Und &#x2013; o der widerspruchsvollen, gotteslästerlichen Zeit! &#x2013; die
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0015] Er konnte sie nicht entbehren. Sie war gutmüthig und unerschrocken mit der Unerschrockenheit des Leichtsinns. Trotz der furchtbaren Ansteckungsgefahr wich sie nicht von seinem Lager, theilte sich nicht ohne einen gewissen Heldenmuth in seine Pflege mit seinen drei vernachlässigten Töchtern Mesdames Louise, Adelaide und Victoire oder, wie er die armen, freudlos hinalternden Damen in einem Augenblick übermüthiger Laune verächtlicher Zärtlichkeit benannt hatte: Chiffe, Coche, Graille. Da, inmitten dieser gottlosen, jeder Religion vergessenden Zeit, entbrennt zwischen Aiguillonisten und Choiseulisten – zwischen der Partei kirchlicher und der der weltlichen Ambition – ein fanatischer Streit um das Seelenheil des Königs. Das Allerheiligste wird entwürdigt zum Zankapfel zwischen den Parteien. Hier verlangt, dort schnöde zurückgewiesen, irrt das Viaticum tagelang unstät durch die Corridore des Königsschlosses. Das Viaticum oder die Du Barry! Es ist wie ein Kriegsruf, den sich die streitenden Parteien entgegen schreien. Und – o der widerspruchsvollen, gotteslästerlichen Zeit! – die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Die großen Umlaute ”Ue“ der Vorlage wurden der heutigen Schreibweise ”Ü“ angepasst.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_etiquette_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_etiquette_1887/15
Zitationshilfe: Schubin, Ossip: Etiquette. Eine Rococo-Arabeske. Berlin, 1887, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_etiquette_1887/15>, abgerufen am 21.11.2024.