Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 17). 1. Bd. Stuttgart, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Es war ein wunderschöner Frühlingsabend. Anstatt des eintönigen Grüns, das sich später im Sommer über alles Laub ausbreitet, prangte jeder Busch und Baum noch in einer andern Farbe; der eine war grün, der andre fast rosa, der dritte gelbbraun; dazwischen ragte der dunkle Ernst einer Fichte oder Tanne, deren breite, flache, sich schwer über dem Boden zuneigenden Äste der Frühling mit hellgrünen Spitzen verziert hatte. Zwischen ein paar schlanken, silbernen Birkenstämmen, die sich anmutig in ihre hellen Laubgewänder hüllten, sah man die düstere Glut des Sonnenunterganges in einem aufsteigenden Gewitter versinken.

Zu den Füßen der Birken, aus dem noch nicht hinweggefegten dürren Herbstlaub steckten einige Maiglöckchen ihre neugierigen Köpfchen über die sie umschließenden grünen Blätterdüten heraus. Ihr holder Duft mische sich mit dem Geruch des vorjährigen Herbstmoders, aber über das alles hinaus schwebte noch ein andrer Duft, der immer stärker, berauschender, betäubender wurde, etwas bezwingend Süßes, in das sich eine unheimliche Unlauterkeit mischte.

Aus einem Gewirr von metallisch-braun glänzenden Ahornsträuchen ragte, ganz mit weißen Blüten bedeckt, ein ungeheurer Faulbaum auf. Er schien dem jungen Mann zuzunicken, zu winken. Swoyschin ging auf ihn zu. Ja dort ...! Zu seinen Füßen breitete

Es war ein wunderschöner Frühlingsabend. Anstatt des eintönigen Grüns, das sich später im Sommer über alles Laub ausbreitet, prangte jeder Busch und Baum noch in einer andern Farbe; der eine war grün, der andre fast rosa, der dritte gelbbraun; dazwischen ragte der dunkle Ernst einer Fichte oder Tanne, deren breite, flache, sich schwer über dem Boden zuneigenden Äste der Frühling mit hellgrünen Spitzen verziert hatte. Zwischen ein paar schlanken, silbernen Birkenstämmen, die sich anmutig in ihre hellen Laubgewänder hüllten, sah man die düstere Glut des Sonnenunterganges in einem aufsteigenden Gewitter versinken.

Zu den Füßen der Birken, aus dem noch nicht hinweggefegten dürren Herbstlaub steckten einige Maiglöckchen ihre neugierigen Köpfchen über die sie umschließenden grünen Blätterdüten heraus. Ihr holder Duft mische sich mit dem Geruch des vorjährigen Herbstmoders, aber über das alles hinaus schwebte noch ein andrer Duft, der immer stärker, berauschender, betäubender wurde, etwas bezwingend Süßes, in das sich eine unheimliche Unlauterkeit mischte.

Aus einem Gewirr von metallisch-braun glänzenden Ahornsträuchen ragte, ganz mit weißen Blüten bedeckt, ein ungeheurer Faulbaum auf. Er schien dem jungen Mann zuzunicken, zu winken. Swoyschin ging auf ihn zu. Ja dort …! Zu seinen Füßen breitete

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0147" n="146"/>
        <p>Es war ein wunderschöner Frühlingsabend. Anstatt des eintönigen Grüns, das sich später im Sommer über alles Laub ausbreitet, prangte jeder Busch und Baum noch in einer andern Farbe; der eine war grün, der andre fast rosa, der dritte gelbbraun; dazwischen ragte der dunkle Ernst einer Fichte oder Tanne, deren breite, flache, sich schwer über dem Boden zuneigenden Äste der Frühling mit hellgrünen Spitzen verziert hatte. Zwischen ein paar schlanken, silbernen Birkenstämmen, die sich anmutig in ihre hellen Laubgewänder hüllten, sah man die düstere Glut des Sonnenunterganges in einem aufsteigenden Gewitter versinken.</p>
        <p>Zu den Füßen der Birken, aus dem noch nicht hinweggefegten dürren Herbstlaub steckten einige Maiglöckchen ihre neugierigen Köpfchen über die sie umschließenden grünen Blätterdüten heraus. Ihr holder Duft mische sich mit dem Geruch des vorjährigen Herbstmoders, aber über das alles hinaus schwebte noch ein andrer Duft, der immer stärker, berauschender, betäubender wurde, etwas bezwingend Süßes, in das sich eine unheimliche Unlauterkeit mischte.</p>
        <p>Aus einem Gewirr von metallisch-braun glänzenden Ahornsträuchen ragte, ganz mit weißen Blüten bedeckt, ein ungeheurer Faulbaum auf. Er schien dem jungen Mann zuzunicken, zu winken. Swoyschin ging auf ihn zu. Ja dort &#x2026;! Zu seinen Füßen breitete
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0147] Es war ein wunderschöner Frühlingsabend. Anstatt des eintönigen Grüns, das sich später im Sommer über alles Laub ausbreitet, prangte jeder Busch und Baum noch in einer andern Farbe; der eine war grün, der andre fast rosa, der dritte gelbbraun; dazwischen ragte der dunkle Ernst einer Fichte oder Tanne, deren breite, flache, sich schwer über dem Boden zuneigenden Äste der Frühling mit hellgrünen Spitzen verziert hatte. Zwischen ein paar schlanken, silbernen Birkenstämmen, die sich anmutig in ihre hellen Laubgewänder hüllten, sah man die düstere Glut des Sonnenunterganges in einem aufsteigenden Gewitter versinken. Zu den Füßen der Birken, aus dem noch nicht hinweggefegten dürren Herbstlaub steckten einige Maiglöckchen ihre neugierigen Köpfchen über die sie umschließenden grünen Blätterdüten heraus. Ihr holder Duft mische sich mit dem Geruch des vorjährigen Herbstmoders, aber über das alles hinaus schwebte noch ein andrer Duft, der immer stärker, berauschender, betäubender wurde, etwas bezwingend Süßes, in das sich eine unheimliche Unlauterkeit mischte. Aus einem Gewirr von metallisch-braun glänzenden Ahornsträuchen ragte, ganz mit weißen Blüten bedeckt, ein ungeheurer Faulbaum auf. Er schien dem jungen Mann zuzunicken, zu winken. Swoyschin ging auf ihn zu. Ja dort …! Zu seinen Füßen breitete

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche „—“ werden als normale Gedankenstriche „–“ wiedergegeben.
  • Die Majuskelschreibweise Ae, Oe, Ue wird als Ä, Ö, Ü wiedergegeben.
  • Worttrennungen am Zeilenende werden ignoriert. Das Wort wird noch auf der gleichen Seite vervollständigt.
  • Die Transkription folgt im Übrigen dem Original.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber01_1899/147
Zitationshilfe: Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 17). 1. Bd. Stuttgart, 1899, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber01_1899/147>, abgerufen am 19.05.2024.