Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 18). 2. Bd. Stuttgart, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

eignen Bett entnommene Decke über ihn. Er riegelte jetzt doch den Fensterladen zu, um das unheimliche Mondlicht auszusperren, und ließ eine brennende Kerze auf dem Tisch inmitten des Zimmers stehen. Dann streckte er sich auf sein Lager aus.

Auch er schlief bald ein, bald und fest.

Mit einemmal war's ihm mitten im Traum, als höre er ferne Musik. Musik ... eine sonderbare Musik. Etwas Undeutliches, Unbeschreibliches, eine Melodie, deren Umrisse er nicht finden konnte, so fern und verschwommen klang sie herüber, etwas, das an Äolsharfen und die Stimmen des Windes erinnerte. Er horchte atemlos, jetzt hörte er deutlich den Rhythmus eines Walzers.

Immer noch im Traum sah er sich um, wo das alles herkam, und blickte gerade auf den Kirchhof hinunter. Und dort zwischen den Leichensteinen tanzten bleiche Mädchen, in regenbogenfarbige Dünste eingehüllt.

Da, aus einem der Gräber erhob sich etwas Schmales, Schwarzes, eine schlanke Gestalt mit einer tief in das Gesicht gezogenen Kapuze, unter der man ein Paar glühende Augen grausam schimmern sah.

Plötzlich warf sie die dunkle Hülle ab, wie ein Schmetterling aus der Puppe schlüpft, und stand da im Brautkleid, Schleier und Myrtenkranz auf dem Kopf.

Sie warf übermütig die Arme in die Luft. Und es war etwas Schreckliches in ihrem Gesicht, der sieghafte

eignen Bett entnommene Decke über ihn. Er riegelte jetzt doch den Fensterladen zu, um das unheimliche Mondlicht auszusperren, und ließ eine brennende Kerze auf dem Tisch inmitten des Zimmers stehen. Dann streckte er sich auf sein Lager aus.

Auch er schlief bald ein, bald und fest.

Mit einemmal war’s ihm mitten im Traum, als höre er ferne Musik. Musik … eine sonderbare Musik. Etwas Undeutliches, Unbeschreibliches, eine Melodie, deren Umrisse er nicht finden konnte, so fern und verschwommen klang sie herüber, etwas, das an Äolsharfen und die Stimmen des Windes erinnerte. Er horchte atemlos, jetzt hörte er deutlich den Rhythmus eines Walzers.

Immer noch im Traum sah er sich um, wo das alles herkam, und blickte gerade auf den Kirchhof hinunter. Und dort zwischen den Leichensteinen tanzten bleiche Mädchen, in regenbogenfarbige Dünste eingehüllt.

Da, aus einem der Gräber erhob sich etwas Schmales, Schwarzes, eine schlanke Gestalt mit einer tief in das Gesicht gezogenen Kapuze, unter der man ein Paar glühende Augen grausam schimmern sah.

Plötzlich warf sie die dunkle Hülle ab, wie ein Schmetterling aus der Puppe schlüpft, und stand da im Brautkleid, Schleier und Myrtenkranz auf dem Kopf.

Sie warf übermütig die Arme in die Luft. Und es war etwas Schreckliches in ihrem Gesicht, der sieghafte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0158" n="158"/>
eignen Bett entnommene Decke über ihn. Er riegelte jetzt doch den Fensterladen zu, um das unheimliche Mondlicht auszusperren, und ließ eine brennende Kerze auf dem Tisch inmitten des Zimmers stehen. Dann streckte er sich auf sein Lager aus.</p>
        <p>Auch er schlief bald ein, bald und fest.</p>
        <p>Mit einemmal war&#x2019;s ihm mitten im Traum, als höre er ferne Musik. Musik &#x2026; eine sonderbare Musik. Etwas Undeutliches, Unbeschreibliches, eine Melodie, deren Umrisse er nicht finden konnte, so fern und verschwommen klang sie herüber, etwas, das an Äolsharfen und die Stimmen des Windes erinnerte. Er horchte atemlos, jetzt hörte er deutlich den Rhythmus eines Walzers.</p>
        <p>Immer noch im Traum sah er sich um, wo das alles herkam, und blickte gerade auf den Kirchhof hinunter. Und dort zwischen den Leichensteinen tanzten bleiche Mädchen, in regenbogenfarbige Dünste eingehüllt.</p>
        <p>Da, aus einem der Gräber erhob sich etwas Schmales, Schwarzes, eine schlanke Gestalt mit einer tief in das Gesicht gezogenen Kapuze, unter der man ein Paar glühende Augen grausam schimmern sah.</p>
        <p>Plötzlich warf sie die dunkle Hülle ab, wie ein Schmetterling aus der Puppe schlüpft, und stand da im Brautkleid, Schleier und Myrtenkranz auf dem Kopf.</p>
        <p>Sie warf übermütig die Arme in die Luft. Und es war etwas Schreckliches in ihrem Gesicht, der sieghafte
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0158] eignen Bett entnommene Decke über ihn. Er riegelte jetzt doch den Fensterladen zu, um das unheimliche Mondlicht auszusperren, und ließ eine brennende Kerze auf dem Tisch inmitten des Zimmers stehen. Dann streckte er sich auf sein Lager aus. Auch er schlief bald ein, bald und fest. Mit einemmal war’s ihm mitten im Traum, als höre er ferne Musik. Musik … eine sonderbare Musik. Etwas Undeutliches, Unbeschreibliches, eine Melodie, deren Umrisse er nicht finden konnte, so fern und verschwommen klang sie herüber, etwas, das an Äolsharfen und die Stimmen des Windes erinnerte. Er horchte atemlos, jetzt hörte er deutlich den Rhythmus eines Walzers. Immer noch im Traum sah er sich um, wo das alles herkam, und blickte gerade auf den Kirchhof hinunter. Und dort zwischen den Leichensteinen tanzten bleiche Mädchen, in regenbogenfarbige Dünste eingehüllt. Da, aus einem der Gräber erhob sich etwas Schmales, Schwarzes, eine schlanke Gestalt mit einer tief in das Gesicht gezogenen Kapuze, unter der man ein Paar glühende Augen grausam schimmern sah. Plötzlich warf sie die dunkle Hülle ab, wie ein Schmetterling aus der Puppe schlüpft, und stand da im Brautkleid, Schleier und Myrtenkranz auf dem Kopf. Sie warf übermütig die Arme in die Luft. Und es war etwas Schreckliches in ihrem Gesicht, der sieghafte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche „—“ werden als normale Gedankenstriche „–“ wiedergegeben.
  • Die Majuskelschreibweise Ae, Oe, Ue wird als Ä, Ö, Ü wiedergegeben.
  • Worttrennungen am Zeilenende werden ignoriert. Das Wort wird noch auf der gleichen Seite vervollständigt.
  • Die Transkription folgt im Übrigen dem Original.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber02_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber02_1899/158
Zitationshilfe: Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 18). 2. Bd. Stuttgart, 1899, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_vollmondzauber02_1899/158>, abgerufen am 23.11.2024.