Schubin, Ossip: Vollmondzauber. In: Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek (Fünfzehnter Jahrgang. Band 18). 2. Bd. Stuttgart, 1899.Sie richtet sich mühsam in den Kissen auf, mühsam und keuchend, um nach der Uhr zu sehen. Halb acht Uhr, - jetzt muß sie kommen. Horch, ein Wagen auf der Straße unten - nein, er fährt vorüber ... nichts. O Gott, wie sind die Stunden lang! Eine Krankenpflegerin sitzt strickend neben Ginas Bett. Die stählernen Nadeln klappern aneinander. Ärgerlich über das Geräusch gebietet ihr Gina, sich still zu verhalten. Die Pflegerin steckt die Strickerei in einen großen Beutel aus buntgeblümtem Kattun. Dann faltet sie die Hände, seufzt, langweilt sich. Gina schließt die Augen, thut, als ob sie schliefe. Die Pflegerin mustert sie aufmerksam. Der Schlief sieht täuschend echt aus. Ein letztes Mal überlegt sich's die Wärterin, dann steht sie auf, verläßt das Zimmer. Mit einem listigen Lächeln, leise wie eine Katze, kriecht Gina aus ihrem Bett, geht auf das Fenster zu, das die Pflegerin sorgfältig geschlossen hat, und öffnet es. Gierig atmet sie die kühle, feuchte Luft. Sie sagen alle, daß sie sich hüten muß vor erneuter Erkältung, daß ihr ein einziger kalter Luftzug verderblich werden kann. Thorheiten! Es ist nicht der kalte Luftzug, der sie töten wird. Was an ihr zehrt, was ihr am Leben frißt, das ist die Sehnsucht nach Zdenko Swoyschin. Sie blickt hinaus. Über den smaragdgrünen, nassen Rasenplätzen Sie richtet sich mühsam in den Kissen auf, mühsam und keuchend, um nach der Uhr zu sehen. Halb acht Uhr, – jetzt muß sie kommen. Horch, ein Wagen auf der Straße unten – nein, er fährt vorüber … nichts. O Gott, wie sind die Stunden lang! Eine Krankenpflegerin sitzt strickend neben Ginas Bett. Die stählernen Nadeln klappern aneinander. Ärgerlich über das Geräusch gebietet ihr Gina, sich still zu verhalten. Die Pflegerin steckt die Strickerei in einen großen Beutel aus buntgeblümtem Kattun. Dann faltet sie die Hände, seufzt, langweilt sich. Gina schließt die Augen, thut, als ob sie schliefe. Die Pflegerin mustert sie aufmerksam. Der Schlief sieht täuschend echt aus. Ein letztes Mal überlegt sich’s die Wärterin, dann steht sie auf, verläßt das Zimmer. Mit einem listigen Lächeln, leise wie eine Katze, kriecht Gina aus ihrem Bett, geht auf das Fenster zu, das die Pflegerin sorgfältig geschlossen hat, und öffnet es. Gierig atmet sie die kühle, feuchte Luft. Sie sagen alle, daß sie sich hüten muß vor erneuter Erkältung, daß ihr ein einziger kalter Luftzug verderblich werden kann. Thorheiten! Es ist nicht der kalte Luftzug, der sie töten wird. Was an ihr zehrt, was ihr am Leben frißt, das ist die Sehnsucht nach Zdenko Swoyschin. Sie blickt hinaus. Über den smaragdgrünen, nassen Rasenplätzen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0047" n="47"/> <p>Sie richtet sich mühsam in den Kissen auf, mühsam und keuchend, um nach der Uhr zu sehen. Halb acht Uhr, – jetzt muß sie kommen. Horch, ein Wagen auf der Straße unten – nein, er fährt vorüber … nichts.</p> <p>O Gott, wie sind die Stunden lang! Eine Krankenpflegerin sitzt strickend neben Ginas Bett. Die stählernen Nadeln klappern aneinander. Ärgerlich über das Geräusch gebietet ihr Gina, sich still zu verhalten. Die Pflegerin steckt die Strickerei in einen großen Beutel aus buntgeblümtem Kattun. Dann faltet sie die Hände, seufzt, langweilt sich. Gina schließt die Augen, thut, als ob sie schliefe. Die Pflegerin mustert sie aufmerksam. Der Schlief sieht täuschend echt aus. Ein letztes Mal überlegt sich’s die Wärterin, dann steht sie auf, verläßt das Zimmer.</p> <p>Mit einem listigen Lächeln, leise wie eine Katze, kriecht Gina aus ihrem Bett, geht auf das Fenster zu, das die Pflegerin sorgfältig geschlossen hat, und öffnet es. Gierig atmet sie die kühle, feuchte Luft. Sie sagen alle, daß sie sich hüten muß vor erneuter Erkältung, daß ihr ein einziger kalter Luftzug verderblich werden kann.</p> <p>Thorheiten!</p> <p>Es ist nicht der kalte Luftzug, der sie töten wird. Was an ihr zehrt, was ihr am Leben frißt, das ist die Sehnsucht nach Zdenko Swoyschin. Sie blickt hinaus. Über den smaragdgrünen, nassen Rasenplätzen </p> </div> </body> </text> </TEI> [47/0047]
Sie richtet sich mühsam in den Kissen auf, mühsam und keuchend, um nach der Uhr zu sehen. Halb acht Uhr, – jetzt muß sie kommen. Horch, ein Wagen auf der Straße unten – nein, er fährt vorüber … nichts.
O Gott, wie sind die Stunden lang! Eine Krankenpflegerin sitzt strickend neben Ginas Bett. Die stählernen Nadeln klappern aneinander. Ärgerlich über das Geräusch gebietet ihr Gina, sich still zu verhalten. Die Pflegerin steckt die Strickerei in einen großen Beutel aus buntgeblümtem Kattun. Dann faltet sie die Hände, seufzt, langweilt sich. Gina schließt die Augen, thut, als ob sie schliefe. Die Pflegerin mustert sie aufmerksam. Der Schlief sieht täuschend echt aus. Ein letztes Mal überlegt sich’s die Wärterin, dann steht sie auf, verläßt das Zimmer.
Mit einem listigen Lächeln, leise wie eine Katze, kriecht Gina aus ihrem Bett, geht auf das Fenster zu, das die Pflegerin sorgfältig geschlossen hat, und öffnet es. Gierig atmet sie die kühle, feuchte Luft. Sie sagen alle, daß sie sich hüten muß vor erneuter Erkältung, daß ihr ein einziger kalter Luftzug verderblich werden kann.
Thorheiten!
Es ist nicht der kalte Luftzug, der sie töten wird. Was an ihr zehrt, was ihr am Leben frißt, das ist die Sehnsucht nach Zdenko Swoyschin. Sie blickt hinaus. Über den smaragdgrünen, nassen Rasenplätzen
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