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Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

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"Die Lautgesetze wirken ausnahmslos innerhalb
desselben Dialektes
." In dem Ausdruck "ein
und derselbe Dialekt" steckt eine Unklarheit; wir
wissen nicht ob wir ihn a priori oder a posteriori zu
fassen haben (ob wir z. B. sagen sollen: "im Dialekt
von Neapel, in dem von Rom, in dem von Florenz u. s. w.
ist lat. k vor e und i zu c geworden" oder: "c = ke, i
herrscht in der Sprache von ganz Süd- und Mittel-
italien"). Das Letztere empfiehlt der damit verbundene
Ausdruck "ein und dieselbe Periode", welcher nur so
genommen werden kann; das Erstere aber die prin-
cipielle Erwägung, und so pflegt man denn in der That
hier unter "Dialekt" eine ganz einheitliche Sprach-
gemeinschaft zu verstehen. Allein gibt es die? Selbst
Delbrück steigt, um eine wirkliche Einheitlichkeit
zu finden, innerhalb deren die Ausnahmslosigkeit der
Lautgesetze gelte, zur Individualsprache herab und
zwar zu deren Momentandurchschnitt. Ob diese Be-
schränkung des junggrammatischen Satzes nicht eigent-
lich ihn aufhebt, oder wenigstens seinen praktischen
Werth, das will ich nicht weiter untersuchen (Tobler1
schon hatte gesagt: "je enger die Kreise werden, um
so mehr nähern sie sich dem Individuellen, welches
niemals von Gesetzen erschöpft werden kann"); mir
aber geschieht nicht einmal damit genüge, mir scheint
nicht einmal in, diesem Falle nothwendige Einheitlich-
keit erweislich. So weit directe Beobachtung an uns
selbst oder an Anderen reicht, ist die Aussprache des
Individuums von Schwankungen nie frei, worunter
ich natürlich keine in strenger Gemässheit der Zeit-
folge auftretenden Veränderungen begreife. Mit dieser
endlosen Sprachspaltung geht endlose Sprachmischung
Hand in Hand. Die Beeinflussung des einen Dialektes

„Die Lautgesetze wirken ausnahmslos innerhalb
desselben Dialektes
.“ In dem Ausdruck „ein
und derselbe Dialekt“ steckt eine Unklarheit; wir
wissen nicht ob wir ihn a priori oder a posteriori zu
fassen haben (ob wir z. B. sagen sollen: „im Dialekt
von Neapel, in dem von Rom, in dem von Florenz u. s. w.
ist lat. k vor e und i zu geworden“ oder: „ = ke, i
herrscht in der Sprache von ganz Süd- und Mittel-
italien“). Das Letztere empfiehlt der damit verbundene
Ausdruck „ein und dieselbe Periode“, welcher nur so
genommen werden kann; das Erstere aber die prin-
cipielle Erwägung, und so pflegt man denn in der That
hier unter „Dialekt“ eine ganz einheitliche Sprach-
gemeinschaft zu verstehen. Allein gibt es die? Selbst
Delbrück steigt, um eine wirkliche Einheitlichkeit
zu finden, innerhalb deren die Ausnahmslosigkeit der
Lautgesetze gelte, zur Individualsprache herab und
zwar zu deren Momentandurchschnitt. Ob diese Be-
schränkung des junggrammatischen Satzes nicht eigent-
lich ihn aufhebt, oder wenigstens seinen praktischen
Werth, das will ich nicht weiter untersuchen (Tobler₁
schon hatte gesagt: „je enger die Kreise werden, um
so mehr nähern sie sich dem Individuellen, welches
niemals von Gesetzen erschöpft werden kann“); mir
aber geschieht nicht einmal damit genüge, mir scheint
nicht einmal in, diesem Falle nothwendige Einheitlich-
keit erweislich. So weit directe Beobachtung an uns
selbst oder an Anderen reicht, ist die Aussprache des
Individuums von Schwankungen nie frei, worunter
ich natürlich keine in strenger Gemässheit der Zeit-
folge auftretenden Veränderungen begreife. Mit dieser
endlosen Sprachspaltung geht endlose Sprachmischung
Hand in Hand. Die Beeinflussung des einen Dialektes

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[10/0022] „Die Lautgesetze wirken ausnahmslos innerhalb desselben Dialektes.“ In dem Ausdruck „ein und derselbe Dialekt“ steckt eine Unklarheit; wir wissen nicht ob wir ihn a priori oder a posteriori zu fassen haben (ob wir z. B. sagen sollen: „im Dialekt von Neapel, in dem von Rom, in dem von Florenz u. s. w. ist lat. k vor e und i zu č geworden“ oder: „č = ke, i herrscht in der Sprache von ganz Süd- und Mittel- italien“). Das Letztere empfiehlt der damit verbundene Ausdruck „ein und dieselbe Periode“, welcher nur so genommen werden kann; das Erstere aber die prin- cipielle Erwägung, und so pflegt man denn in der That hier unter „Dialekt“ eine ganz einheitliche Sprach- gemeinschaft zu verstehen. Allein gibt es die? Selbst Delbrück steigt, um eine wirkliche Einheitlichkeit zu finden, innerhalb deren die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze gelte, zur Individualsprache herab und zwar zu deren Momentandurchschnitt. Ob diese Be- schränkung des junggrammatischen Satzes nicht eigent- lich ihn aufhebt, oder wenigstens seinen praktischen Werth, das will ich nicht weiter untersuchen (Tobler₁ schon hatte gesagt: „je enger die Kreise werden, um so mehr nähern sie sich dem Individuellen, welches niemals von Gesetzen erschöpft werden kann“); mir aber geschieht nicht einmal damit genüge, mir scheint nicht einmal in, diesem Falle nothwendige Einheitlich- keit erweislich. So weit directe Beobachtung an uns selbst oder an Anderen reicht, ist die Aussprache des Individuums von Schwankungen nie frei, worunter ich natürlich keine in strenger Gemässheit der Zeit- folge auftretenden Veränderungen begreife. Mit dieser endlosen Sprachspaltung geht endlose Sprachmischung Hand in Hand. Die Beeinflussung des einen Dialektes

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Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/22>, abgerufen am 21.11.2024.