Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrem Wohnsitz losgelöst und mit anderen zusammen-
gewürfelt werden". Von der Bildung der romanischen
Nationen an rückwärts bis zu den ersten Anfängen
des römischen Volkes nehmen wir eine fast ununter-
brochene Serie mannigfacher Mischungen wahr, deren
nicht bloss die romanische, sondern auch die lateinische
Grammatik eingedenk zu sein hat. Paul2 glaubt den
Ausdruck "Dialektmischung" in "Entlehnung eines
Wortes aus einem fremden Dialekt" verbessern zu müs-
sen. Wir können uns allerdings fremde Wörter an-
eignen, aber auch die fremde Sprechweise uns ganz
geläufiger. Es ist eine bekannte Thatsache dass
Deutsche bei intensivem Verkehr mit Juden leicht in's
Jüdeln verfallen; wenn sich nun in Folge dessen die
jüdische Aussprache eines aus jüdischem Munde be-
sonders häufig gehörten Wortes, wie etwa Persent =
Perzent bei einem Deutschen festsetzt, kann man da
von einem Lehnwort reden? Und ebenso wenig sind
Lehnwörter franz. haut, gater, goupil, wenn sie nämlich
wirklich in ihrem Anlaut durch deutsches hoch, wüsten,
Wolf beeinflusst worden, also im Munde romanisirter
Germanen entstanden sind; die Anlässe dieser Vor-
gänge freilich sind dunkel, es müsste denn etwa bei
dem letzten Worte die Jagdliebhaberei der Germanen
massgebend gewesen sein (wie der Stadtrömer viel-
leicht sein vulpes und lupus als ganze Wörter von
irgend welchen jagdfreundlichen Italikern entlehnte).

"Die Lautgesetze wirken ausnahmslos innerhalb
derselben Periode
." Es ist dies nur eine er-
gänzende Bestimmung. Innerhalb erst nachträglich
festzustellender zeitlicher Grenzen vollzieht sich ein
Lautgesetz in der ganzen Ausdehnung der Sprach-
genossenschaft und in der ganzen Ausdehnung des

Schuchardt, Ueber die Lautgesetze. 2

ihrem Wohnsitz losgelöst und mit anderen zusammen-
gewürfelt werden“. Von der Bildung der romanischen
Nationen an rückwärts bis zu den ersten Anfängen
des römischen Volkes nehmen wir eine fast ununter-
brochene Serie mannigfacher Mischungen wahr, deren
nicht bloss die romanische, sondern auch die lateinische
Grammatik eingedenk zu sein hat. Paul2 glaubt den
Ausdruck „Dialektmischung“ in „Entlehnung eines
Wortes aus einem fremden Dialekt“ verbessern zu müs-
sen. Wir können uns allerdings fremde Wörter an-
eignen, aber auch die fremde Sprechweise uns ganz
geläufiger. Es ist eine bekannte Thatsache dass
Deutsche bei intensivem Verkehr mit Juden leicht in's
Jüdeln verfallen; wenn sich nun in Folge dessen die
jüdische Aussprache eines aus jüdischem Munde be-
sonders häufig gehörten Wortes, wie etwa Persent =
Perzent bei einem Deutschen festsetzt, kann man da
von einem Lehnwort reden? Und ebenso wenig sind
Lehnwörter franz. haut, gâter, goupil, wenn sie nämlich
wirklich in ihrem Anlaut durch deutsches hoch, wüsten,
Wolf beeinflusst worden, also im Munde romanisirter
Germanen entstanden sind; die Anlässe dieser Vor-
gänge freilich sind dunkel, es müsste denn etwa bei
dem letzten Worte die Jagdliebhaberei der Germanen
massgebend gewesen sein (wie der Stadtrömer viel-
leicht sein vulpes und lupus als ganze Wörter von
irgend welchen jagdfreundlichen Italikern entlehnte).

„Die Lautgesetze wirken ausnahmslos innerhalb
derselben Periode
.“ Es ist dies nur eine er-
gänzende Bestimmung. Innerhalb erst nachträglich
festzustellender zeitlicher Grenzen vollzieht sich ein
Lautgesetz in der ganzen Ausdehnung der Sprach-
genossenschaft und in der ganzen Ausdehnung des

Schuchardt, Ueber die Lautgesetze. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="17"/>
ihrem Wohnsitz losgelöst und mit anderen zusammen-<lb/>
gewürfelt werden&#x201C;. Von der Bildung der romanischen<lb/>
Nationen an rückwärts bis zu den ersten Anfängen<lb/>
des römischen Volkes nehmen wir eine fast ununter-<lb/>
brochene Serie mannigfacher Mischungen wahr, deren<lb/>
nicht bloss die romanische, sondern auch die lateinische<lb/>
Grammatik eingedenk zu sein hat. <hi rendition="#k">Paul<hi rendition="#sub">2</hi></hi> glaubt den<lb/>
Ausdruck &#x201E;Dialektmischung&#x201C; in &#x201E;Entlehnung eines<lb/>
Wortes aus einem fremden Dialekt&#x201C; verbessern zu müs-<lb/>
sen. Wir können uns allerdings fremde Wörter an-<lb/>
eignen, aber auch die fremde Sprechweise uns ganz<lb/>
geläufiger. Es ist eine bekannte Thatsache dass<lb/>
Deutsche bei intensivem Verkehr mit Juden leicht in's<lb/>
Jüdeln verfallen; wenn sich nun in Folge dessen die<lb/>
jüdische Aussprache eines aus jüdischem Munde be-<lb/>
sonders häufig gehörten Wortes, wie etwa <hi rendition="#i">Persent</hi> =<lb/><hi rendition="#i">Perzent</hi> bei einem Deutschen festsetzt, kann man da<lb/>
von einem Lehnwort reden? Und ebenso wenig sind<lb/>
Lehnwörter franz. <hi rendition="#i">haut</hi>, <hi rendition="#i">gâter</hi>, <hi rendition="#i">goupil</hi>, wenn sie nämlich<lb/>
wirklich in ihrem Anlaut durch deutsches <hi rendition="#i">hoch</hi>, <hi rendition="#i">wüsten</hi>,<lb/><hi rendition="#i">Wolf</hi> beeinflusst worden, also im Munde romanisirter<lb/>
Germanen entstanden sind; die Anlässe dieser Vor-<lb/>
gänge freilich sind dunkel, es müsste denn etwa bei<lb/>
dem letzten Worte die Jagdliebhaberei der Germanen<lb/>
massgebend gewesen sein (wie der Stadtrömer viel-<lb/>
leicht sein <hi rendition="#i">vulpes</hi> und <hi rendition="#i">lupus</hi> als ganze Wörter von<lb/>
irgend welchen jagdfreundlichen Italikern entlehnte).</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Lautgesetze wirken ausnahmslos <hi rendition="#g">innerhalb<lb/>
derselben Periode</hi>.&#x201C; Es ist dies nur eine er-<lb/>
gänzende Bestimmung. Innerhalb erst nachträglich<lb/>
festzustellender zeitlicher Grenzen vollzieht sich ein<lb/>
Lautgesetz in der ganzen Ausdehnung der Sprach-<lb/>
genossenschaft und in der ganzen Ausdehnung des<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Schuchardt, Ueber die Lautgesetze. 2</fw><lb/><lb/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0029] ihrem Wohnsitz losgelöst und mit anderen zusammen- gewürfelt werden“. Von der Bildung der romanischen Nationen an rückwärts bis zu den ersten Anfängen des römischen Volkes nehmen wir eine fast ununter- brochene Serie mannigfacher Mischungen wahr, deren nicht bloss die romanische, sondern auch die lateinische Grammatik eingedenk zu sein hat. Paul2 glaubt den Ausdruck „Dialektmischung“ in „Entlehnung eines Wortes aus einem fremden Dialekt“ verbessern zu müs- sen. Wir können uns allerdings fremde Wörter an- eignen, aber auch die fremde Sprechweise uns ganz geläufiger. Es ist eine bekannte Thatsache dass Deutsche bei intensivem Verkehr mit Juden leicht in's Jüdeln verfallen; wenn sich nun in Folge dessen die jüdische Aussprache eines aus jüdischem Munde be- sonders häufig gehörten Wortes, wie etwa Persent = Perzent bei einem Deutschen festsetzt, kann man da von einem Lehnwort reden? Und ebenso wenig sind Lehnwörter franz. haut, gâter, goupil, wenn sie nämlich wirklich in ihrem Anlaut durch deutsches hoch, wüsten, Wolf beeinflusst worden, also im Munde romanisirter Germanen entstanden sind; die Anlässe dieser Vor- gänge freilich sind dunkel, es müsste denn etwa bei dem letzten Worte die Jagdliebhaberei der Germanen massgebend gewesen sein (wie der Stadtrömer viel- leicht sein vulpes und lupus als ganze Wörter von irgend welchen jagdfreundlichen Italikern entlehnte). „Die Lautgesetze wirken ausnahmslos innerhalb derselben Periode.“ Es ist dies nur eine er- gänzende Bestimmung. Innerhalb erst nachträglich festzustellender zeitlicher Grenzen vollzieht sich ein Lautgesetz in der ganzen Ausdehnung der Sprach- genossenschaft und in der ganzen Ausdehnung des Schuchardt, Ueber die Lautgesetze. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/29
Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/29>, abgerufen am 21.11.2024.