Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

auf das Vorkommen des sporadischen Lautwandels
beziehen, in dem Sinne dass jeder Lautwandel in
irgend einer Phase sporadisch ist. Will man den
verschiedenen Standpunkt durchaus mit gegensätz-
licher Ausdrucksweise charakterisiren, so mag man von
absoluter und von relativer Gesetzmässigkeit reden.

Dass nun wir die wir dem unglücklicherweise
einmal eingebürgerten Ausdruck "Lautgesetze" einen
weiteren Sinn beilegen, in der Praxis, d. h. der
speciellen der Wort- und Formerklärung darum nicht
schlechter fahren, das darzuthun bleibt noch, freilich
als überflüssiges gutes Werk. Man hat mit der in-
fallibilistischen Lehre eine grössere Strenge in die
wissenschaftliche Forschung einzuführen gemeint. Dabei
ist man aber von einer falschen allgemeinen Ansicht
ausgegangen; die Strenge kann nicht am Objecte,
sondern nur am Subjecte sich äussern, nicht in der
Aufstellung eines strengeren Gesetzes, sondern in der
strengeren Beobachtung desjenigen ohne welches es
keine Wissenschaft gibt und das wiederum für alle
Wissenschaft ausreicht, des Causalitätsgesetzes. Diese
strengere Beobachtung vollzieht sich nun im stetigen
Fortschritt der Wissenschaft von selbst, diese vertauscht
immer nur allmählich den beschreibenden Charakter
mit dem erklärenden. Auch in der Sprachwissenschaft
war man anfänglich zu sehr durch das Sammeln von
Thatsachen in Anspruch genommen um in breiter
Linie der Erforschung der Ursachen nachzugehen;
aber einen vorläufigen Verzicht nach dieser Seite hin
als eine Verläugnung des Princips von den verschie-
denen Ursachen verschiedener Wirkungen anzusehen,
das scheint mir eine gewaltsame Unterstellung. Uebri-
gens muss uns auch heutzutage noch gestattet sein

auf das Vorkommen des sporadischen Lautwandels
beziehen, in dem Sinne dass jeder Lautwandel in
irgend einer Phase sporadisch ist. Will man den
verschiedenen Standpunkt durchaus mit gegensätz-
licher Ausdrucksweise charakterisiren, so mag man von
absoluter und von relativer Gesetzmässigkeit reden.

Dass nun wir die wir dem unglücklicherweise
einmal eingebürgerten Ausdruck „Lautgesetze“ einen
weiteren Sinn beilegen, in der Praxis, d. h. der
speciellen der Wort- und Formerklärung darum nicht
schlechter fahren, das darzuthun bleibt noch, freilich
als überflüssiges gutes Werk. Man hat mit der in-
fallibilistischen Lehre eine grössere Strenge in die
wissenschaftliche Forschung einzuführen gemeint. Dabei
ist man aber von einer falschen allgemeinen Ansicht
ausgegangen; die Strenge kann nicht am Objecte,
sondern nur am Subjecte sich äussern, nicht in der
Aufstellung eines strengeren Gesetzes, sondern in der
strengeren Beobachtung desjenigen ohne welches es
keine Wissenschaft gibt und das wiederum für alle
Wissenschaft ausreicht, des Causalitätsgesetzes. Diese
strengere Beobachtung vollzieht sich nun im stetigen
Fortschritt der Wissenschaft von selbst, diese vertauscht
immer nur allmählich den beschreibenden Charakter
mit dem erklärenden. Auch in der Sprachwissenschaft
war man anfänglich zu sehr durch das Sammeln von
Thatsachen in Anspruch genommen um in breiter
Linie der Erforschung der Ursachen nachzugehen;
aber einen vorläufigen Verzicht nach dieser Seite hin
als eine Verläugnung des Princips von den verschie-
denen Ursachen verschiedener Wirkungen anzusehen,
das scheint mir eine gewaltsame Unterstellung. Uebri-
gens muss uns auch heutzutage noch gestattet sein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0044" n="32"/>
auf das Vorkommen des sporadischen Lautwandels<lb/>
beziehen, in dem Sinne dass jeder Lautwandel in<lb/>
irgend einer Phase sporadisch ist. Will man den<lb/>
verschiedenen Standpunkt durchaus mit gegensätz-<lb/>
licher Ausdrucksweise charakterisiren, so mag man von<lb/>
absoluter und von relativer Gesetzmässigkeit reden.</p><lb/>
        <p>Dass nun wir die wir dem unglücklicherweise<lb/>
einmal eingebürgerten Ausdruck &#x201E;Lautgesetze&#x201C; einen<lb/>
weiteren Sinn beilegen, in der <hi rendition="#g">Praxis</hi>, d. h. der<lb/>
speciellen der Wort- und Formerklärung darum nicht<lb/>
schlechter fahren, das darzuthun bleibt noch, freilich<lb/>
als überflüssiges gutes Werk. Man hat mit der in-<lb/>
fallibilistischen Lehre eine grössere Strenge in die<lb/>
wissenschaftliche Forschung einzuführen gemeint. Dabei<lb/>
ist man aber von einer falschen allgemeinen Ansicht<lb/>
ausgegangen; die Strenge kann nicht am Objecte,<lb/>
sondern nur am Subjecte sich äussern, nicht in der<lb/>
Aufstellung eines strengeren Gesetzes, sondern in der<lb/>
strengeren Beobachtung desjenigen ohne welches es<lb/>
keine Wissenschaft gibt und das wiederum für alle<lb/>
Wissenschaft ausreicht, des Causalitätsgesetzes. Diese<lb/>
strengere Beobachtung vollzieht sich nun im stetigen<lb/>
Fortschritt der Wissenschaft von selbst, diese vertauscht<lb/>
immer nur allmählich den beschreibenden Charakter<lb/>
mit dem erklärenden. Auch in der Sprachwissenschaft<lb/>
war man anfänglich zu sehr durch das Sammeln von<lb/>
Thatsachen in Anspruch genommen um in breiter<lb/>
Linie der Erforschung der Ursachen nachzugehen;<lb/>
aber einen vorläufigen Verzicht nach dieser Seite hin<lb/>
als eine Verläugnung des Princips von den verschie-<lb/>
denen Ursachen verschiedener Wirkungen anzusehen,<lb/>
das scheint mir eine gewaltsame Unterstellung. Uebri-<lb/>
gens muss  uns auch heutzutage  noch gestattet sein<lb/><lb/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0044] auf das Vorkommen des sporadischen Lautwandels beziehen, in dem Sinne dass jeder Lautwandel in irgend einer Phase sporadisch ist. Will man den verschiedenen Standpunkt durchaus mit gegensätz- licher Ausdrucksweise charakterisiren, so mag man von absoluter und von relativer Gesetzmässigkeit reden. Dass nun wir die wir dem unglücklicherweise einmal eingebürgerten Ausdruck „Lautgesetze“ einen weiteren Sinn beilegen, in der Praxis, d. h. der speciellen der Wort- und Formerklärung darum nicht schlechter fahren, das darzuthun bleibt noch, freilich als überflüssiges gutes Werk. Man hat mit der in- fallibilistischen Lehre eine grössere Strenge in die wissenschaftliche Forschung einzuführen gemeint. Dabei ist man aber von einer falschen allgemeinen Ansicht ausgegangen; die Strenge kann nicht am Objecte, sondern nur am Subjecte sich äussern, nicht in der Aufstellung eines strengeren Gesetzes, sondern in der strengeren Beobachtung desjenigen ohne welches es keine Wissenschaft gibt und das wiederum für alle Wissenschaft ausreicht, des Causalitätsgesetzes. Diese strengere Beobachtung vollzieht sich nun im stetigen Fortschritt der Wissenschaft von selbst, diese vertauscht immer nur allmählich den beschreibenden Charakter mit dem erklärenden. Auch in der Sprachwissenschaft war man anfänglich zu sehr durch das Sammeln von Thatsachen in Anspruch genommen um in breiter Linie der Erforschung der Ursachen nachzugehen; aber einen vorläufigen Verzicht nach dieser Seite hin als eine Verläugnung des Princips von den verschie- denen Ursachen verschiedener Wirkungen anzusehen, das scheint mir eine gewaltsame Unterstellung. Uebri- gens muss uns auch heutzutage noch gestattet sein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/44
Zitationshilfe: Schuchardt, Hugo: Ueber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin, 1885, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuchardt_lautgesetze_1885/44>, abgerufen am 21.11.2024.