Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Angst und Schrecken ergriffen, da er mitten in die Greuel des Terrorismus hineingerathen war, und nachdem er das blutige Haupt seines Freundes Adam Lux gesehen. Er suchte seine Heimat wieder zu erreichen. Nach einer gefahrvollen Wanderung endlich in Trier angekommen, wurde er erkannt und sofort verhaftet. Jetzt saß er in Trier im Gefängnisse.

Baron Windschrot hatte zwei Kinder, Joseph und Leonore. Beide waren von einer unverheiratheten Tante erzogen, welche nach dem Tode ihrer Mutter dem Haushalt des Barons vorstand. Diese Tante war eine strenge, adelstolze, gottesfürchtige Dame, die es sich zur Aufgabe setzte, das junge Blut vor dem Verderben zu bewahren, womit das Beispiel des Hausherrn es bedrohte. Gottlob, diese Aufgabe zeigte sich nicht schwer. Die beiden Kinder waren zwar nicht übermäßig lenksam und geduldig, sondern bewiesen beide, daß sie in hohem Maße Das besaßen, was man bei Kindern Eigensinn und bei Erwachsenen Charakter nennt. Aber da nichts leichter in Kindern zu erwecken ist, als gerade Geburtsstolz und Hochmuth, so sah die gestrenge Stiftsdame ihre Bemühungen, in den kleinen Windschrot's das Bewußtsein ihrer Würde und ihres Standes wachzurufen, das sie vor den gemeinen Neigungen des lustigen Papa's schützen sollte, mit dem glänzendsten Erfolge gekrönt. Joseph und Leonore trugen in der That ihre kleinen Näschen so hoch, daß es eine wahre Freude anzusehen war; der Bube wurde so vorwitzig, das

Angst und Schrecken ergriffen, da er mitten in die Greuel des Terrorismus hineingerathen war, und nachdem er das blutige Haupt seines Freundes Adam Lux gesehen. Er suchte seine Heimat wieder zu erreichen. Nach einer gefahrvollen Wanderung endlich in Trier angekommen, wurde er erkannt und sofort verhaftet. Jetzt saß er in Trier im Gefängnisse.

Baron Windschrot hatte zwei Kinder, Joseph und Leonore. Beide waren von einer unverheiratheten Tante erzogen, welche nach dem Tode ihrer Mutter dem Haushalt des Barons vorstand. Diese Tante war eine strenge, adelstolze, gottesfürchtige Dame, die es sich zur Aufgabe setzte, das junge Blut vor dem Verderben zu bewahren, womit das Beispiel des Hausherrn es bedrohte. Gottlob, diese Aufgabe zeigte sich nicht schwer. Die beiden Kinder waren zwar nicht übermäßig lenksam und geduldig, sondern bewiesen beide, daß sie in hohem Maße Das besaßen, was man bei Kindern Eigensinn und bei Erwachsenen Charakter nennt. Aber da nichts leichter in Kindern zu erwecken ist, als gerade Geburtsstolz und Hochmuth, so sah die gestrenge Stiftsdame ihre Bemühungen, in den kleinen Windschrot's das Bewußtsein ihrer Würde und ihres Standes wachzurufen, das sie vor den gemeinen Neigungen des lustigen Papa's schützen sollte, mit dem glänzendsten Erfolge gekrönt. Joseph und Leonore trugen in der That ihre kleinen Näschen so hoch, daß es eine wahre Freude anzusehen war; der Bube wurde so vorwitzig, das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0026"/>
Angst und Schrecken ergriffen, da er mitten in die Greuel des Terrorismus hineingerathen      war, und nachdem er das blutige Haupt seines Freundes Adam Lux gesehen. Er suchte seine Heimat      wieder zu erreichen. Nach einer gefahrvollen Wanderung endlich in Trier angekommen, wurde er      erkannt und sofort verhaftet. Jetzt saß er in Trier im Gefängnisse.</p><lb/>
        <p>Baron Windschrot hatte zwei Kinder, Joseph und Leonore. Beide waren von einer      unverheiratheten Tante erzogen, welche nach dem Tode ihrer Mutter dem Haushalt des Barons      vorstand. Diese Tante war eine strenge, adelstolze, gottesfürchtige Dame, die es sich zur      Aufgabe setzte, das junge Blut vor dem Verderben zu bewahren, womit das Beispiel des Hausherrn      es bedrohte. Gottlob, diese Aufgabe zeigte sich nicht schwer. Die beiden Kinder waren zwar      nicht übermäßig lenksam und geduldig, sondern bewiesen beide, daß sie in hohem Maße Das      besaßen, was man bei Kindern Eigensinn und bei Erwachsenen Charakter nennt. Aber da nichts      leichter in Kindern zu erwecken ist, als gerade Geburtsstolz und Hochmuth, so sah die gestrenge      Stiftsdame ihre Bemühungen, in den kleinen Windschrot's das Bewußtsein ihrer Würde und ihres      Standes wachzurufen, das sie vor den gemeinen Neigungen des lustigen Papa's schützen sollte,      mit dem glänzendsten Erfolge gekrönt. Joseph und Leonore trugen in der That ihre kleinen      Näschen so hoch, daß es eine wahre Freude anzusehen war; der Bube wurde so vorwitzig, das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] Angst und Schrecken ergriffen, da er mitten in die Greuel des Terrorismus hineingerathen war, und nachdem er das blutige Haupt seines Freundes Adam Lux gesehen. Er suchte seine Heimat wieder zu erreichen. Nach einer gefahrvollen Wanderung endlich in Trier angekommen, wurde er erkannt und sofort verhaftet. Jetzt saß er in Trier im Gefängnisse. Baron Windschrot hatte zwei Kinder, Joseph und Leonore. Beide waren von einer unverheiratheten Tante erzogen, welche nach dem Tode ihrer Mutter dem Haushalt des Barons vorstand. Diese Tante war eine strenge, adelstolze, gottesfürchtige Dame, die es sich zur Aufgabe setzte, das junge Blut vor dem Verderben zu bewahren, womit das Beispiel des Hausherrn es bedrohte. Gottlob, diese Aufgabe zeigte sich nicht schwer. Die beiden Kinder waren zwar nicht übermäßig lenksam und geduldig, sondern bewiesen beide, daß sie in hohem Maße Das besaßen, was man bei Kindern Eigensinn und bei Erwachsenen Charakter nennt. Aber da nichts leichter in Kindern zu erwecken ist, als gerade Geburtsstolz und Hochmuth, so sah die gestrenge Stiftsdame ihre Bemühungen, in den kleinen Windschrot's das Bewußtsein ihrer Würde und ihres Standes wachzurufen, das sie vor den gemeinen Neigungen des lustigen Papa's schützen sollte, mit dem glänzendsten Erfolge gekrönt. Joseph und Leonore trugen in der That ihre kleinen Näschen so hoch, daß es eine wahre Freude anzusehen war; der Bube wurde so vorwitzig, das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/26
Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/26>, abgerufen am 21.11.2024.