Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.die Leidenschaft die unermeßliche Kluft zwischen ihm und dem Manne von so und so viel Tonnen Goldes ausgefüllt? Bewahre -- wie hätten die milden, anständigen Regungen in der Brust der jungen Holländerin einen so fürchterlichen Namen verdient! Es war etwas Anderes, das für Joseph sprach -- es war ein tönendes Wort, das allen Goldklang der Welt aufwog -- und man kann dreist annehmen, daß Joseph keine Gelegenheit verabsäumt hatte, dieses Wort voll und kräftig tönen zu lassen: Er hieß Baron! In Batavia war der alte Holländer mit seinen Plantagen, seinen Schiffen, seinen Hunderten von Sklaven, über deren Tod und Leben er Gewalt hatte, ein Fürst. In Europa gab er seine Tochter hin um den Namen: gnädige Frau. Joseph hatte sich in Batavia möglichst schnell trauen lassen, die Familie hatte jetzt glücklich Amsterdam erreicht, und während die Schwiegereltern mit der Einrichtung eines eben erstandenen großen Hauses beschäftigt waren, sollte Joseph mit seiner jungen Frau sein Stammgut besuchen. Dann nach kurzem Aufenthalt sollten sie zurückkehren und bis zum Tode der Schwiegereltern bei ihnen in Amsterdam wohnen, da diese es zur Bedingung im Ehecontracte gemacht, daß die einzige Tochter sich nicht von ihnen trenne. "Ich sehne mich danach", schrieb Joseph, "aus der Atmosphäre dieser Geldmenschen fortzukommen und auf meinem die Leidenschaft die unermeßliche Kluft zwischen ihm und dem Manne von so und so viel Tonnen Goldes ausgefüllt? Bewahre — wie hätten die milden, anständigen Regungen in der Brust der jungen Holländerin einen so fürchterlichen Namen verdient! Es war etwas Anderes, das für Joseph sprach — es war ein tönendes Wort, das allen Goldklang der Welt aufwog — und man kann dreist annehmen, daß Joseph keine Gelegenheit verabsäumt hatte, dieses Wort voll und kräftig tönen zu lassen: Er hieß Baron! In Batavia war der alte Holländer mit seinen Plantagen, seinen Schiffen, seinen Hunderten von Sklaven, über deren Tod und Leben er Gewalt hatte, ein Fürst. In Europa gab er seine Tochter hin um den Namen: gnädige Frau. Joseph hatte sich in Batavia möglichst schnell trauen lassen, die Familie hatte jetzt glücklich Amsterdam erreicht, und während die Schwiegereltern mit der Einrichtung eines eben erstandenen großen Hauses beschäftigt waren, sollte Joseph mit seiner jungen Frau sein Stammgut besuchen. Dann nach kurzem Aufenthalt sollten sie zurückkehren und bis zum Tode der Schwiegereltern bei ihnen in Amsterdam wohnen, da diese es zur Bedingung im Ehecontracte gemacht, daß die einzige Tochter sich nicht von ihnen trenne. „Ich sehne mich danach“, schrieb Joseph, „aus der Atmosphäre dieser Geldmenschen fortzukommen und auf meinem <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0035"/> die Leidenschaft die unermeßliche Kluft zwischen ihm und dem Manne von so und so viel Tonnen Goldes ausgefüllt? Bewahre — wie hätten die milden, anständigen Regungen in der Brust der jungen Holländerin einen so fürchterlichen Namen verdient! Es war etwas Anderes, das für Joseph sprach — es war ein tönendes Wort, das allen Goldklang der Welt aufwog — und man kann dreist annehmen, daß Joseph keine Gelegenheit verabsäumt hatte, dieses Wort voll und kräftig tönen zu lassen:</p><lb/> <p>Er hieß Baron!</p><lb/> <p>In Batavia war der alte Holländer mit seinen Plantagen, seinen Schiffen, seinen Hunderten von Sklaven, über deren Tod und Leben er Gewalt hatte, ein Fürst. In Europa gab er seine Tochter hin um den Namen: gnädige Frau.</p><lb/> <p>Joseph hatte sich in Batavia möglichst schnell trauen lassen, die Familie hatte jetzt glücklich Amsterdam erreicht, und während die Schwiegereltern mit der Einrichtung eines eben erstandenen großen Hauses beschäftigt waren, sollte Joseph mit seiner jungen Frau sein Stammgut besuchen. Dann nach kurzem Aufenthalt sollten sie zurückkehren und bis zum Tode der Schwiegereltern bei ihnen in Amsterdam wohnen, da diese es zur Bedingung im Ehecontracte gemacht, daß die einzige Tochter sich nicht von ihnen trenne. „Ich sehne mich danach“, schrieb Joseph, „aus der Atmosphäre dieser Geldmenschen fortzukommen und auf meinem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
die Leidenschaft die unermeßliche Kluft zwischen ihm und dem Manne von so und so viel Tonnen Goldes ausgefüllt? Bewahre — wie hätten die milden, anständigen Regungen in der Brust der jungen Holländerin einen so fürchterlichen Namen verdient! Es war etwas Anderes, das für Joseph sprach — es war ein tönendes Wort, das allen Goldklang der Welt aufwog — und man kann dreist annehmen, daß Joseph keine Gelegenheit verabsäumt hatte, dieses Wort voll und kräftig tönen zu lassen:
Er hieß Baron!
In Batavia war der alte Holländer mit seinen Plantagen, seinen Schiffen, seinen Hunderten von Sklaven, über deren Tod und Leben er Gewalt hatte, ein Fürst. In Europa gab er seine Tochter hin um den Namen: gnädige Frau.
Joseph hatte sich in Batavia möglichst schnell trauen lassen, die Familie hatte jetzt glücklich Amsterdam erreicht, und während die Schwiegereltern mit der Einrichtung eines eben erstandenen großen Hauses beschäftigt waren, sollte Joseph mit seiner jungen Frau sein Stammgut besuchen. Dann nach kurzem Aufenthalt sollten sie zurückkehren und bis zum Tode der Schwiegereltern bei ihnen in Amsterdam wohnen, da diese es zur Bedingung im Ehecontracte gemacht, daß die einzige Tochter sich nicht von ihnen trenne. „Ich sehne mich danach“, schrieb Joseph, „aus der Atmosphäre dieser Geldmenschen fortzukommen und auf meinem
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(2017-03-16T11:53:40Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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