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Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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was sie zum Scherz gelernt, nicht einmal im Ernste anwenden? Eine Vogelflinte und ein paar verschossene Jagdcostüme für Frauen befanden sich in einer Bodenkammer. Gertrude mußte sie herunterholen, vom Verwalter Pulver und Schrot schaffen, und dann begannen die beiden Mädchen, in halbem Männercostüme, ihren Jagdzug, der zwei blutjungen Repphühnern und einem Hasenjünglinge in der zartesten Blüte seines Alters das Leben kosten sollte.

Unglücklicherweise war der neue Förster Wilddieben auf der Fährte, und wir sahen, wie nahe die kühne Unternehmung Leonorens an einem höchst unangenehmen Ausgang vorüberstreifte. Hätte nicht der Bauernhof, das Eigenthum eines früheren Gutsunterthanen der Windschrot, auf ihrem Wege gelegen und eine verschwiegene Zuflucht geboten, in der Jagdkleider und Waffe abgeworfen und verborgen werden konnten -- wer weiß, ob der junge Forstmann jene ritterliche und rücksichtsvolle Höflichkeit bewiesen, für welche Leonore ihm so viel Dank wußte?

Als sie von der Jagd heimgekehrt, dachte Leonore mit einem seltsamen, nicht leicht zu erklärenden Gefühle an den Förster. Sie war vor ihm geflohen; er hatte ihr kleines Vergehen durchschaut, sie beschämt. Eine solche Verlegenheit giebt einem Manne immer einen gewissen Vortheil über ein weibliches Wesen. Es ist ein Anfang von gegenseitigen Beziehungen da, wie sie vielleicht eine lange Bekanntschaft nicht gegeben hätte.

was sie zum Scherz gelernt, nicht einmal im Ernste anwenden? Eine Vogelflinte und ein paar verschossene Jagdcostüme für Frauen befanden sich in einer Bodenkammer. Gertrude mußte sie herunterholen, vom Verwalter Pulver und Schrot schaffen, und dann begannen die beiden Mädchen, in halbem Männercostüme, ihren Jagdzug, der zwei blutjungen Repphühnern und einem Hasenjünglinge in der zartesten Blüte seines Alters das Leben kosten sollte.

Unglücklicherweise war der neue Förster Wilddieben auf der Fährte, und wir sahen, wie nahe die kühne Unternehmung Leonorens an einem höchst unangenehmen Ausgang vorüberstreifte. Hätte nicht der Bauernhof, das Eigenthum eines früheren Gutsunterthanen der Windschrot, auf ihrem Wege gelegen und eine verschwiegene Zuflucht geboten, in der Jagdkleider und Waffe abgeworfen und verborgen werden konnten — wer weiß, ob der junge Forstmann jene ritterliche und rücksichtsvolle Höflichkeit bewiesen, für welche Leonore ihm so viel Dank wußte?

Als sie von der Jagd heimgekehrt, dachte Leonore mit einem seltsamen, nicht leicht zu erklärenden Gefühle an den Förster. Sie war vor ihm geflohen; er hatte ihr kleines Vergehen durchschaut, sie beschämt. Eine solche Verlegenheit giebt einem Manne immer einen gewissen Vortheil über ein weibliches Wesen. Es ist ein Anfang von gegenseitigen Beziehungen da, wie sie vielleicht eine lange Bekanntschaft nicht gegeben hätte.

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[0046] was sie zum Scherz gelernt, nicht einmal im Ernste anwenden? Eine Vogelflinte und ein paar verschossene Jagdcostüme für Frauen befanden sich in einer Bodenkammer. Gertrude mußte sie herunterholen, vom Verwalter Pulver und Schrot schaffen, und dann begannen die beiden Mädchen, in halbem Männercostüme, ihren Jagdzug, der zwei blutjungen Repphühnern und einem Hasenjünglinge in der zartesten Blüte seines Alters das Leben kosten sollte. Unglücklicherweise war der neue Förster Wilddieben auf der Fährte, und wir sahen, wie nahe die kühne Unternehmung Leonorens an einem höchst unangenehmen Ausgang vorüberstreifte. Hätte nicht der Bauernhof, das Eigenthum eines früheren Gutsunterthanen der Windschrot, auf ihrem Wege gelegen und eine verschwiegene Zuflucht geboten, in der Jagdkleider und Waffe abgeworfen und verborgen werden konnten — wer weiß, ob der junge Forstmann jene ritterliche und rücksichtsvolle Höflichkeit bewiesen, für welche Leonore ihm so viel Dank wußte? Als sie von der Jagd heimgekehrt, dachte Leonore mit einem seltsamen, nicht leicht zu erklärenden Gefühle an den Förster. Sie war vor ihm geflohen; er hatte ihr kleines Vergehen durchschaut, sie beschämt. Eine solche Verlegenheit giebt einem Manne immer einen gewissen Vortheil über ein weibliches Wesen. Es ist ein Anfang von gegenseitigen Beziehungen da, wie sie vielleicht eine lange Bekanntschaft nicht gegeben hätte.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:53:40Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:53:40Z)

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Zitationshilfe: Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/46>, abgerufen am 23.11.2024.